Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wir sprechen, also sind wir Wie verhalten sich Sprache und Identität bei Sprecherinnen und Sprechern deutscher Minderheitensprachen zueinander?
Der eine oder andere Urlauber hat es sicher schon erlebt: Man reist durch Norditalien oder die USA und hört die Einheimischen in einer Sprache reden, die vertraut und doch anders klingt: Deutschbasierte Minderheitensprachen nennen Fachleute dieses Phänomen. Es sind ursprünglich deutsche Dialekte, die von einzelnen Gruppen in Gebieten gesprochen werden, in denen eigentlich andere Sprache – wortwörtlich – tonangebend sind, beispielsweise in der Ukraine, in den USA oder auch in Italien. Minderheitensprachen sind allerdings mehr als nur ein Mittel zur Kommunikation, sie sind immer auch Ausdruck der Individualität und der Gemeinschaft der Sprechenden. Diesem Zusammenhang von Sprache und Identität gehen die Augsburger Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Alfred Wildfeuer und Sebastian Franz auf den Grund. Allein aus der Stimme des Sprechenden lassen sich Rückschlüsse auf Alter und Geschlecht ziehen. Doch das ist nicht alles: Jeder Mensch hat eine individuelle Sprechweise, den sogenannten Idiolekt, der sich beispielsweise in der Wortwahl und Aussprache zeigt. Das Sprachverhalten gibt auch Auskunft darüber, wer wir sind oder wer wir sein wollen. Für die Sprecherinnen und Sprecher der Minderheitensprachen bedeutet ihre Mehrsprachigkeit auch Gemeinschaft. „Die Sprache selbst ist ein Identitymarker“, erklärt Franz. „Sie dient der Stabilisierung der Gruppe nach innen und der Abgrenzung nach außen.“Wie die Sprecherinnen und Sprecher von Minderheitensprachen selbst ihre Mehrsprachigkeit wahrnehmen, ist eine der Fragen, die die Augsburger Sprachwissenschaftler interessiert. Um dies herauszufinden, forschen Wildfeuer und Franz vor Ort. Sie führen situativnarrative Interviews, die verschriftlicht und dann analysiert werden. Diese Arbeitspraxis fern des Klischees vom Elfenbeinturm ist es auch, die für Franz und Wildfeuer den besonderen Reiz der Sprachsiedlungsforschung ausmacht: „Man ist nah am Menschen. Sprache kommt aus der Realität der Sprecher und knüpft auch dort an.“Nicht immer freilich verläuft die Arbeit reibungslos: „Manchmal finden wir in den einschlägigen Regionen nur noch ganz wenige oder gar keine Sprecher der jeweiligen Minderheitensprache mehr“, so Franz, die entsprechenden Kompetenzen in der jüngeren Generation seien meist rückläufig. In Italien setzt man sich jedoch in den fünfzehn deutschen Sprachinseln bereits aktiv für den Erhalt der Minderheitensprache ein. „Unsere Arbeit“, so Wildfeuer, wird dabei gerne als willkommene Unterstützung aufgefasst.“