Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Bethe Strings“als Vielteilch­en-quantenzus­tände? Physikern aus Augsburg, Berlin, Dresden, Mumbai, Nijmegen und San Diego gelang jetzt der experiment­elle Nachweis

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bindungsri­chtungsabh­ängige magnetisch­e Wechselwir­kung aufweisen, der Kitaev-spinflüssi­gkeitszust­and konnte jedoch nicht zweifelsfr­ei nachgewies­en werden. Dies liegt daran, dass in der Realität zusätzlich­e, im Modell nicht enthaltene Wechselwir­kungen einen festen Spinzustan­d favorisier­en. Experiment­e unter Druck „Bethe Strings“sind Anregungen stark gebundener Elektronen-spins in eindimensi­onalen Quantenspi­nsystemen. Benannt sind diese Quantenspi­nzustände nach Hans Bethe, der sie 1931 erstmals theoretisc­h beschriebe­n hat. Erstmals experiment­ell nachgewies­en wurden „Bethe Strings“jetzt von den Physikern Prof. Dr. Alois Loidl und Dr. Zhe Wang, die gemeinsam mit ihren Kooperatio­nspartnern aus Berlin, Dresden, Mumbai, Nijmegen und San Diego, die im Februar 2018 im internatio­nal renommiert­en Journal „Nature“über ihren Erfolg berichten konnten. 1933 vor den Nationalso­zialisten in die USA geflohen und als Leiter der Theorieabt­eilung in Los Alamos an der Entwicklun­g der Atombombe mitwirkend, galt Hans Bethe als einer der führenden Kernphysik­er. Den Physik-nobelpreis erhielt er 1967 für die Theorie über die Energieerz­eugung in Sternen. In seiner frühen wissenscha­ftlichen Karriere befasste sich Bethe allerdings intensiv mit Festkörper­physik, insbesonde­re mit der Elektronen­theorie von Metallen. So veröffentl­ichte er 1931 in der „Zeitschrif­t für Physik“einen Aufsatz mit dem Titel „Eigenwerte und Eigenfunkt­ionen der linearen Atomkette“über Quantenspi­nzustände in einer Dimension. Auf der Basis einer Theorie von Werner Heisenberg und mit dem sogenannte­n Bethe-ansatz, einer Methode, die theoretisc­h später vielfältig weiterentw­ickelt wurde und heute ein wichtiges mathematis­ches Werkzeug der statistisc­hen Physik ist, gelang ihm eine exakte Lösung des eindimensi­onalen quantenmec­hanischen Vielteilch­ensystems. Bei einem solchen System handelt es sich um eine eindimensi­onale Kette von Atomen auf festen Positionen, die einen Elektronen-spin S = 1/2 tragen. Vielteilch­en-„string“-zustände entspreche­n Anregungen gekoppelte­r quantenmec­hanischer Spins, also magnetisch­er Eigendreh-momente der Elektronen, die fest aneinander gebunden sich nahezu frei in der eindimensi­onalen Kette bewegen können. Erstmals experiment­eller Nachweis möglich Das Fehlen passender eindimensi­onaler Materialie­n und geeigneter experiment­eller Methoden machte die experiment­elle Überprüfun­g derartiger Vielteilch­en-„string“-zustände und den Nachweis ihrer Anregungen bislang unmöglich. Extreme Fortschrit­te in der Materialsy­nthese einerseits und die Entwicklun­g von optischer Spektrosko­pie im Terahertz-frequenzbe­reich in sehr hohen Magnetfeld­ern anderersei­ts ermöglicht­en nun erstmals diesen experiment­ellen Nachweis. In einem ersten Schritt wurden am Helmholtz-zentrum in Berlin und im Hochfeldma­gnetlabor des Helmholtzz­entrums Experiment­en am Paul Scherrer Institut in der Schweiz wurde das Probenmate­rial innerhalb einer Druckzelle mit Myonen bombardier­t, mit positiv geladenen Elementart­eilchen also, die ein Spinmoment tragen. Die Polarisati­on des Myonenspin­s ist eine sehr empfindlic­he Sonde lokaler Magnetfeld­er im Probenmate­rial. Diese Experiment­e mit Myonen am Paul Scherrer Institut bestätigte­n die bereits in Augsburg beobachtet­e Unterdrück­ung der magnetisch­en Ordnung in ß-li2iro3 unter hohem Druck, die auf die Bildung einer Spinflüssi­gkeit Dresden-rossendorf Srco2v2o8-kristalle synthetisi­ert und charakteri­siert. Diese Kristalle, in denen die Kobalt-ionen eine eindimensi­onale Spinkette mit Spin S = 1/2 bilden, wurden dann von Loidl und Wang im Hochfeldma­gnetlabor der Radbouduni­versiteit in Nijmegen in einem weiten Magnetfeld­bereich von 4 bis 28 Tesla (zum Vergleich: das Erdmagnetf­eld in Mitteleuro­pa hat eine Stärke von ungefähr 0,00005 Tesla) untersucht. Die dabei entdeckten „String“-anregungen konnten schließlic­h von Wissenscha­ftlern der University of California in San Diego mit dem Bethe-ansatz berechnet und exakt beschriebe­n werden. „Der von uns gelieferte Beweis der Existenz und der Stabilität dieser exotischen Spinstrukt­uren ist zunächst mit Blick auf die weitere Erforschun­g der Spindynami­k im Bereich des Quantenmag­netismus ein enormer Fortschrit­t“,

Das Ausfrieren einer Spinflüssi­gkeit kann durch Unvollkomm­enheiten im Material, also durch Gitterdefe­kte verursacht werden. Die Arbeitsgru­ppe hat daher auch äußerst akkurat die Kristallst­ruktur vor, während und nach den Druckexper­imenten untersucht. Dies ergab jedoch keine Hinweise auf Kristall-defektbild­ung. „Die Koexistenz flüssiger und gefrorener Spinbereic­he scheint deshalb eine allgemeine Eigenschaf­t von ß-li2iro3 unter hohem Druck zu sein“, fasst Gegenwart die gewonnenen Einsichten zusammen. Unverstand­en sei bislang, ob die ausgefrore­nen Spins sich in Klumpen – analog zu Eisbergen im Ozean – formieren oder ob sie flüssige Bereiche umringen, analog zur dünnen Eisfläche eines gefrierend­en Sees. „In jedem Fall ist die unter Druck beobachtet­e Phase unterschie­dlich zur vorhergesa­gten Kitaevspin­flüssigkei­t. Daher muss die bestehende Theorie erweitert werden“, so Tsirlin. erläutert Loidl. Dies gelte darüber hinaus aber auch für zahlreiche weitere Bereiche, für die die Anwendung und Weiterentw­icklungen des Bethe-ansatzes von herausrage­nder Bedeutung seien – angefangen bei kalten Quantengas­en über die Stringtheo­rie in der Elementart­eilchenphy­sik bis hin zu Problemen in Quanten-informatio­nssystemen.

 ??  ?? Die elementare­n Bausteine magnetisch­er Materialie­n, sogenannte Spins, können unterschie­dliche Zustände annehmen, die in Analogie zu Aggregatsz­uständen oft als fest (kristallin) oder gasförmig (ungeordnet) bezeichnet werden. Zwischenzu­stände von Spins,...
Die elementare­n Bausteine magnetisch­er Materialie­n, sogenannte Spins, können unterschie­dliche Zustände annehmen, die in Analogie zu Aggregatsz­uständen oft als fest (kristallin) oder gasförmig (ungeordnet) bezeichnet werden. Zwischenzu­stände von Spins,...
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