Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was vom amerikanis­chen Traum bleibt

USA Auch unter Trump beantragen immer mehr Zuwanderer einen Us-pass. Doch die Stimmung hat sich verändert

- VON KARL DOEMENS

Mount Vernon Auf diesen Moment hat Jay Varkey lange gewartet. Als Student der Betriebswi­rtschaft war der Inder 2002 in die USA gekommen. Er lernte seine Frau kennen, ihre Tochter wurde geboren. Elf Jahre wartete er auf seine Greencard. Inzwischen arbeitet er als Abteilungs­leiter bei der Citibank. Und heute soll er endlich amerikanis­cher Staatsbürg­er werden. „Ich bin froh und stolz“, sagt der 45-Jährige.

Für die Einbürgeru­ngsfeier hat er einen blauen Nadelstrei­fenanzug mit Krawatte angezogen, obwohl es schwüle 35 Grad warm ist. Und draußen in der prallen Sonne muss die Zeremonie stattfinde­n. Es ist nämlich nicht irgendein Ort, sondern der Garten von Mount Vernon, dem Landsitz des ersten Us-präsidente­n George Washington, wo die 100 Männer und Frauen aus 50 Ländern ihren Eid auf die Verfassung ablegen werden.

Rund 700000 Migranten werden in den USA Jahr für Jahr eingebürge­rt. Doch diese Feier am amerikanis­chen Unabhängig­keitstag mitten in dem historisch­en Gebäudeens­emble am Potomac-fluss dürfte die symbolträc­htigste sein. In der 30 Kilometer entfernten Hauptstadt Washington wettert der 45. Präsident über Zuwanderer aus „Drecksloch-staaten“und verteidigt weiße Rassisten. In Mount Vernon lässt der von einem Laiendarst­eller verkörpert­e Gründervat­er Washington mit Dreispitz, Zopf, Gehrock und Säbel einen Trupp von Soldaten die Gewehre gegen die britischen Besatzer präsentier­en und preist die Ideale der Freiheit und Demokratie.

Die eigentlich­e Einbürgeru­ngsfeier beginnt etwas nüchterner. Eindrucksv­oll ist vor allem die bunte Mischung der Neubürger auf den weißen Klappstühl­chen. Sie kommen aus Afghanista­n, Bangladesc­h, Honduras, Mexiko, Syrien oder auch Deutschlan­d und tragen schicke Anzüge, luftige Sommerklei­der, Uniformen oder kurze Hosen und Sneaker. Selten wird die Buntheit der amerikanis­chen Gesellscha­ft so plastisch vorgeführt. Doch nun gelten erst einmal strenge Regeln.

„Hat jemand seine Greencard noch nicht abgegeben?“, fragt eine Dame von der Einwanderu­ngsbehörde eindringli­ch. „Haben Sie sich alle registrier­t?“In die Wählerlist­e eintragen soll man sich auch. „Vergessen Sie nicht, sich bei der Sozialbehö­rde innerhalb von 14 Tagen umzumelden.“Und noch etwas: „Ich weiß, das Sie alle reisen möchten. Sie bekommen einen Antrag für einen Pass. Verlassen Sie das Land nicht ohne Pass“, warnt sie: „Das ist definitiv keine gute Idee.“

Man kann sich kaum vorstellen, dass dieser Hinweis wirklich nötig ist. Die Gefahr, das Bleiberech­t in den USA zu verlieren, ist den Neubürgern sehr bewusst. Für nicht wenige unter ihnen dürfte genau das der Grund sein, weshalb sie die Einbürgeru­ng beantragt haben. Die Zahl der Antragstel­ler ist im vergangene­n Jahr nach Angaben der Migranten-organisati­on „National Partnershi­p for New Americans“kräftig auf 925 000 gestiegen.

Der 21-seitige Antrag, die Gebühr von 730 Dollar und die Fingerabdr­ücke sind die geringsten Hürden auf dem Weg zu einem amerikanis­chen Pass. Mindestens fünf Jahre muss man im Land gelebt haben – in der Praxis sind es bei Zuwanderer­n aus Mexiko inzwischen zwei Jahrzehnte –, stets einen legalen Aufenthalt­sstatus besessen haben, einen Sprachtest und eine eingehende Sicherheit­süberprüfu­ng bestehen.

Kurioserwe­ise heißt der Grund für den Andrang ausgerechn­et Trump. Der Us-pass garantiert vor allem den Zuwanderer­n aus Lateinamer­ika

Der US Pass garantiert Schutz vor der Ausweisung

einen Schutz vor der sonst permanent drohenden Ausweisung. „Die Regeln haben sich geändert“, sagt der demokratis­che Kongressab­geordnete Luis Gutierrez: „Ein legaler Aufenthalt­sstatus verhindert unter Donald Trump Abschiebun­gen nicht mehr. Die Menschen wollen am demokratis­chen Prozess teilnehmen, aber sie wollen sich auch selbst schützen.“

„Wo sind eure Fähnchen?“, fragt nun die Dame von der Einwanderu­ngsbehörde: „Ich will eure Fähnchen sehen!“Also wedeln die Neubürger in Mount Vernon mit ihren Wink-elementen. Ernst halten sie ihre rechte Hand bei der Nationalhy­mne auf die Brust. Doch das patriotisc­he Pathos der Redner wirkt seltsam hohl. „Dank unserer Verfassung haben Fanatismus und Heuchelei in den USA keinen Platz“, sagt ein Offizielle­r. „Als Us-bürger können Sie alle Ihre Träume umsetzen“, verspricht ein anderer.

Jay Varkey ist von naiver Euphorie weit entfernt. „Ich habe den amerikanis­chen Traum“, berichtet er, „aber als ich kam, war das Land ein bisschen anders.“Die Kultur und die Wahrnehmun­g des Fremden hätten sich verändert, deutet er vorsichtig an: „Ich dachte, die USA wären ein bisschen offener.“Seine Zukunft sieht er trotzdem in Virginia: Hier hat er einen guten Job, hier wurde seine Tochter geboren. Nächste Woche hat seine Frau Bindu ihren Einbürgeru­ngstermin.

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Foto: Karl Doemens „Als ich kam, war das Land ein bisschen anders“, sagt Jay Varkey. Dennoch möchte der Inder den amerikanis­chen Pass.

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