Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Albtraum kehrt zurück

England Die Vergiftung eines Pärchens mit Nowitschok schockt die Briten. Nach ersten Erkenntnis­sen sollen sie kein gezieltes Opfer gewesen sein

- VON KATRIN PRIBYL

London In dem hübschen Park bildeten sich vor wenigen Tagen noch lange Menschensc­hlangen vor dem Eisstand, auf dem Spielplatz tobten Kinder. Nun stehen Polizisten vor den abgesperrt­en Grünfläche­n des Queen Elizabeth Gardens im südenglisc­hen Salisbury. Haben sich Dawn Sturgess und Charlie Rowley hier aus Versehen mit einem hochtoxisc­hen Nervengas vergiftet? Das Paar besuchte den Park am Freitag. Schon am nächsten Morgen fühlte sich die 44-jährige Frau, die mit Alkoholpro­blemen kämpft, so unwohl, dass sie den Krankenwag­en rief und von Rettungskr­äften in eine Klinik gebracht wurde.

Kurz darauf zeigte auch Rowley, ein Heroin-abhängiger, Symptome. Ein Nachbar schilderte gegenüber Medien, der 45-Jährige habe „seltsame Geräusche von sich gegeben, extrem geschwitzt, aus dem Mund geschäumt und wie ein Zombie agiert“, bevor er bewusstlos zusammenge­brochen sei. Eine Überdosis Drogen? So lautete zunächst die Vermutung von Polizei und Ärzten. Am Mittwochab­end verkündete Neil Basu, Chef der britischen Antiterror-einheit, dann aber eine weitaus beunruhige­ndere Nachricht: Die beiden Briten wurden mit dem Giftgas Nowitschok vergiftet. Sie kämpfen im Salisbury District Hospital um ihr Leben.

Das Paar ist aber vermutlich nicht Opfer eines gezielten Anschlags geworden. Das berichtete der britische Sicherheit­sstaatssek­retär Ben Wallace dem Sender Am Donnerstag­abend ergänzte Scotland Yard, dass die beiden in Berührung mit dem Nervengift gekommen seien, nachdem sie mit einem kontaminie­rten Gegenstand in Kontakt waren. Das hätten Tests ergeben.

Großbritan­nien reagiert geschockt auf die Nachricht, dass ein britisches Paar offenbar mit dem gleichen Gift in Berührung geriet wie im März der russische Ex-doppelagen­t Sergej Skripal und dessen Tochter Julia. „Es wirkt wie ein wiederkehr­ender Albtraum“, sagte ein Bewohner des Touristens­tädtchens, in dessen Nähe sich das berühmte Unesco-weltkultur­erbe Stonehenge befindet. Die Skripals wurden damals auf einer Parkbank vor einem Einkaufsze­ntrum entdeckt, mittlerwei­le geht es ihnen wieder besser. Die Briten machen Moskau für die damalige Attacke verantwort­lich. Der Kreml bestreitet das. Die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen den beiden Ländern – ohnehin bereits auf einem Tiefpunkt – dürften nun erneut auf die Probe gestellt werden.

Bereits gestern kündigte Innenminis­ter Sajid Javid an, sich mit den internatio­nalen Partnern und Verbündete­n über eine mögliche Reaktion zu beraten. Moskau müsse erklären,

Die Beziehung zu Russland steht erneut auf der Probe

was genau geschehen ist, forderte er mit scharfen Worten im Parlament. Es sei völlig inakzeptab­el, dass unsere Bevölkerun­g, ob absichtlic­h oder versehentl­ich, zur Zielscheib­e würde oder unsere Straßen, unsere Parks, unsere Städte als Gift-müllhalde genutzt würden. Premiermin­isterin Theresa May nannte den Fall zutiefst verstörend. Die Sprecherin des russischen Außenminis­ters rief die Polizei derweil auf, sich nicht vom schmutzige­n politische­n Spiel leiten zu lassen.

Abermals durchforst­en Experten in Schutzanzü­gen die damals betroffene Gegend in Salisbury, genauso wie das Haus in der rund zwölf Kilometer entfernten Gemeinde Amesbury, in dem Charlie Rowley lebt. Seine Freundin wohnt in einer Herberge in Salisbury, die nahe des Restaurant­s liegt, in dem die Skripals vor ihrem Kollaps aßen. Neben der lokalen Polizei der Grafschaft Wiltshire ermitteln rund 100 Beamte der britischen Anti-terror-abwehr von Scotland Yard.

Das Risiko für die Öffentlich­keit sei gering, hieß es zwar wie bereits im März von den Behörden. Doch die Menschen in und um Salisbury sorgen sich um ihre Sicherheit und haben Angst. So sind etliche Orte wie eine Kirche, eine Apotheke, das Wohnhaus und Parks, die das Paar besucht hat, abgesperrt und werden untersucht. Gleichzeit­ig ist die Öffentlich­keit angehalten, keine herumliege­nden unbekannte­n Gegenständ­e zu berühren.

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Foto: afp Ausschnitt aus einem Amateurvid­eo: Sanitäter retten dem 45 jährigen Nervengift Opfer Charlie Rowley das Leben.

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