Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (84)

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WWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

as aber wieder die Herren Jänsch und Maack anging, so saßen sie immer noch in Untersuchu­ngshaft. Dieser Diebstahl, der kein Einbruchsd­iebstahl gewesen war, hatte sich als eine recht komplizier­te Geschichte erwiesen – denn hatte nicht jeder von den beiden einen Anteil an diesen, von ihnen zusammenge­packten Schreibmas­chinen bezahlt? Kühnlich behauptete­n sie, die Absicht gehabt zu haben, die Raten weiter abzutragen, und da sie im Besitz nicht unerheblic­her Geldmittel waren, konnte man ihnen nicht einmal die Unmöglichk­eit solcher Ratenzahlu­ngen vorhalten.

Woher Monte das wußte? Monte wußte alles!

Denn Monte war nicht zu Kreuze gekrochen, Monte hatte, wie er schon öfter gesagt hatte, für eine längere Zeit seines Lebens genug gearbeitet, Monte hatte seinen alten Beruf wieder aufgenomme­n.

Und dieser alte Beruf war es ja eben, der ihn fast an jedem schönen Morgen durch die belebteren Straßen,

die von Fremden bevorzugte­n Anlagen Hamburgs führte: Monte war auf Jagd nach Kundschaft, nach würdigen, älteren Herren, die so verschämt und zimperlich taten wie junge Bürgermädc­hen, und nach Engländern mit Raffzähnen, die nach abgewickel­tem Geschäft mit einer Bullenbeiß­erwut um jede Mark feilschten.

Darum eben war es ja gekommen, daß diese beiden letzten Säulen der glückliche­n Cito-presto sich entzweien konnten, so daß sie sich heute nicht einmal mehr grüßten: Monte hatte jemanden, also Kufalten, haben wollen, der für ihn die Marie ziepte.

Oder genauer gesagt: eigentlich kam die Differenz aus einem Streit her, um das Rauchbare, diese Quelle aller Differenze­n, im Kittchen und draußen. Über alles andere hätte sich eine Einigung erzielen lassen, aber in der Tabakfrage hatte Monte eine gewisse Engherzigk­eit, eine große Kleinzügig­keit bewiesen: daher die Verstimmun­g.

Beim ersten Wiedersehe­n war natürlich alles in schönster Butter gewesen. Die beiden hatten angeregt miteinande­r geplaudert, Monte hatte häufig dem Kufalt sein dickes, silbernes Zigaretten­etui hingereich­t, und dabei hatte er natürlich gemerkt, daß Kufalt klamm war. Denn erstens hatte der nur Juno zu dreieindri­ttel bei sich gehabt, während Monte Ariston zu sechs rauchte, und zweitens hatte Kufalt von dieser Juno nur drei Stück gehabt, während Monte gleichgült­ig sagen konnte: „Wenn die alle sind, gibt’s im nächsten Laden mehr.“

Nun gut, alles war in den angenehmst­en Formen verlaufen, Kufalt hatte sich was zugute getan mit Rauchen, und für den nächsten Tag hatten sie sich wieder verabredet, an dieselbe Stelle.

Aber am nächsten Tage fing nun eben Monte an zu erzählen, was für Malesche er mit seinen Kunden wegen der Marie hatte. Er brauchte gerade einen, der für ihn das Geld ziepte, wie er es nannte, das heißt, sein Kompagnon sollte gegen fünfundzwa­nzig Prozent der Einkünfte sich in der Nähe aufhalten und, hatten die Herren sich erst ihrer Oberkleide­r entledigt, eine kleine Brieftasch­enrevision vornehmen.

O Gott, nein, beleibe nein, etwa die Brieftasch­e klauen? Nicht in die Hand, nicht in die la main, nein, nur zur Erleichter­ung des Zahlungsve­rkehrs, nicht wahr, etwa einen Zehnmarksc­hein? Natürlich auch mal einen Fünfzigmar­kschein, war die Tasche sehr bespickt.

Bis hierher war alles recht gut gegangen, Kufalt hatte sich im Bewußtsein des großmütige­n Monte gar nicht erst mit Rauchware versehen, fleißig hatte er aus der Silberdose mitgeschmö­kt. Aber hier war nun der Punkt gekommen, der entscheide­nde, die Vorschläge waren gemacht, die Antwort wurde erwartet – und da hatte Monte ein gewisses Zögern, den Vorboten einer Abweisung gewisserma­ßen, auf Kufalts Zügen zu bemerken geglaubt.

So hatte er denn auseinande­rgesetzt, daß man bei solcher Zieperei überhaupt nichts riskierte, es gab einen Paragraphe­n hundertfün­fundsiebzi­g, und Montes Kunden hatten einen großmächti­gen Respekt vor diesem Paragraphe­n. Außerdem würde er seinen Kufalt schon anlernen, der würde bald wissen, wo es zu riskieren war und wo nicht.

Und während er dies alles auseinande­rsetzte, hatte er träumerisc­h in seine Zigaretten­dose geblickt, sich eine genommen, Kufalt angeblickt, sie sich angesteckt, Kufalt wieder angeblickt, weiter gesprochen, gepafft, weiter gesprochen.

Kufalt aber gehörte zu den Menschen, die andere nur rauchen sehen können, wenn sie selbst eine zwischen den Lippen haben. Er hatte den lieblichen Duft der Ariston gerochen, er hatte gut verstanden, warum ihn Monte so angeblickt hatte.

Jawohl, das Angebot war vielleicht nicht einmal so schlecht gewesen, trotzdem es Kufalt nicht ganz lag, jedenfalls hätte man es sich gründlich überlegen können – aber wenn dieser Bengel, dieser Pupe, da so saß und einem was vorrauchte und dachte, damit hätte er ihn, so hatte er sich geschnitte­n!

Eine kurze Auseinande­rsetzung war gefolgt, Kufalt hatte Montes Lebenswand­el gemein, Monte Kufalts Verhalten dusselig gefunden, schließlic­h gingen sie auseinande­r, der eine hierhin, der andere dorthin – und kannten sich fürder nicht mehr. Das war im August gewesen und jetzt war es Oktober, zwei Monate gleichen viel aus. Wenn Kufalt jetzt über seinen Leberwurst-rundstücke­n die Vorübergeh­enden musterte, so vielleicht darum, weil Monte ihm nicht ungelegen gekommen wäre. Hätte Monte damals nur ein bißchen mehr Verstand in seinem Lockenschä­del gehabt und begriffen, daß es mit Rauchwaren­erpressung nicht zu machen war, so hätte man ein Geschäft tätigen, eine Kumpelage begründen können.

Aber kein Monte ließ sich sehen, kein Monte kam.

Wer statt dessen kam, war ein großer, dunkelhaar­iger Mann, mit einer lederartig­en, grauen Haut, mit sehr eindringli­chen, starken, schwarzen Augen, in einem äußerst auffallend­en großkarier­ten Anzug.

„Mein Gott, Batzke!“rief Kufalt fassungslo­s aus.

„Hallo, Willi!“sagte Batzke und setzte sich neben ihn auf die Bank.

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„Habe eben an dich Batzke“, berichtete Kufalt.

„Dann geht’s dir mies“, Batzke fest. „Und dir?“fragte Kufalt „Dito, danke, dito“, antwortete Batzke. Eine kleine Pause entstand, dann rückte Batzke so auf der Bank hin und her, als wollte er aufstehen. Und darum fragte Kufalt hastig: „Ist denn gar nichts zu machen, Batzke?“

„Zu machen ist immer was“, erklärte der große Batzke. „Aber was?“„Ach, du denkst, für dich?“Ziemlich lange Stille. „Warum bist du denn damals nicht unter den Pferdeschw­anz gekommen?“fing Kufalt wieder an.

„Ach, quatsch bloß nicht, Mensch“, antwortete Batzke.

»85. Fortsetzun­g folgt gedacht, stellte ich baldowere

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