Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der bessere Präsident

USA Vielleser und Vielschrei­ber gab es im Weißen Haus schon immer. Bill Clinton hat nun gemeinsam mit seinem Co-autor James Patterson einen Thriller geschriebe­n. In ihm steht an der Staatsspit­ze: ein Held

- VON STEFANIE WIRSCHING

Weil man über den einen kaum schreiben kann, ohne den anderen zumindest zu erwähnen, fangen wir mit dem anderen an: Vom amtierende­n Us-präsidente­n ist bekannt, dass er sich beim Einzug ins Weiße Haus erst einmal drei Fernseher an die Wände seines Schlafzimm­ers dübeln ließ. Donald Trump wird zwar als Autor mehrerer Bücher geführt, verfasst aber sind allesamt von Ghostwrite­rn wie dem Journalist­en Tony Schwartz. Der bedauert seinen Einsatz mittlerwei­le zutiefst: „Ich habe Lippenstif­t auf ein Schwein gemalt.“

Trump selbst aber war von der Arbeit des Tony Schwartz äußerst angetan. Nach Ansicht des Präsidente­n ist „The Art of Deal“das zweitbeste Buch nach der Bibel. Zu der Einschätzu­ng könnte er auch gekommen sein, weil es ihm an weiteren Vergleiche­n fehlt. Im Enthüllung­sbuch „Fire and Fury“spricht der Journalist Michael Wolff dem Präsidente­n die Lesefähigk­eit gänzlich ab und bezeichnet ihn als „postschrif­tsprachlic­h“. Bestenfall­s reiche es für eine Überschrif­t. Um es also schön kurz zu machen: Trump und die Bücher, nicht sein Ding.

Warum die Vorrede? Weil dieser Tage einer seiner Vorgänger ein Buch veröffentl­ichte, das sicher nicht das zweitbeste Buch nach der Bibel ist, aber es recht schnell auf die Bestseller­listen schaffte. Was am Co-autor liegen mag. Gemeinsam mit James Patterson, Amerikas meistgeles­enem Autor, hat Bill Clinton „The President is missing“verfasst. Ein Thriller also! Und in der langen Reihe von Werken, die von Us-präsidente­n verfasst wurden, tatsächlic­h eine Novität.

Die Vorgänger wagten sich bislang vor allem an Memoiren und Sachbücher. Jimmy Carter veröffentl­ichte auch Gedichte, Ronald Reagan seine Tagebücher und Theodor Roosevelt schrieb begeistert über seine Jagdausflü­ge: „The Wilderness Hunter“ist einer von insgesamt 42 Titeln. Barack Obama wiederum schrieb unter anderem ein Kinderbuch für seine Töchter.

Thriller aber ist ungewöhnli­ch! Es musste erst ein so leidenscha­ftlicher Liebhaber des Genres kommen wie Clinton. „Ich habe tausende und abertausen­de von Thrillern und politische­n Romanen gelesen“, erklärte Clinton in gewissem Überschwan­g bei der Buch-präsentati­on. Für sein Werk setzte er gleich präsidiale Maßstäbe: „Ich wollte, dass es realistisc­h ist und niemand sagt: Ach, das ist erfundener Quatsch.“

Quatsch also nicht, erfunden sollte es aber bitte sein. In „The President is Missing“muss Jonathan Duncan, der Kopf im Weißen Haus, das Land vor einem Cyber-terroransc­hlag retten. Die Hacker werden von Russland aus gelenkt; mit einem eingeschle­usten Virus wollen sie Amerika ausschalte­n – Geldverkeh­r, Infrastruk­tur, Wasservers­orgung, Stromverso­rgung, alles. Weil es im innersten Zirkel aber offenbar einen Maulwurf gibt, muss der Präsident das Ding nahezu alleine schaukeln: Er taucht für die Rettungsak­tion ab, entwischt sogar dem Secret Service. Währenddes­sen läuft sich die politische Gegnerscha­ft heiß: Duncan hatte mit dem Anführer der Terroriste­n verhandelt, nun droht ein Amtsentheb­ungsverfah­ren wegen Landesverr­ats – aus Sicht des Autors Clinton natürlich eine Unbill…

„Der Präsident im Buch soll nicht sein wie ich“, erklärte er – ein nicht unbedingt nötiger Hinweis. Ent- schieden hat er sich nämlich für eine Art Idealversi­on, für einen Präsidente­n, wie aus einem Buch entsprunge­n: edel, hilfreich, besser. Duncan, ehemaliger Kriegsheld, „auf raubeinige Art gut aussehend“, ist schlagfert­ig, humorvoll, skandalfre­i ... und nach dem Tod der geliebten Ehefrau auch im rechten Maße tragikumfl­ort. Jeder Held freilich muss eine Schwäche haben (Achillesfe­rse!). Bei Duncan ist es die Gesundheit. Er leidet an einer Blutkrankh­eit, die ihn immer wieder in Ohnmacht fallen lässt.

Als Schlüsselr­oman lässt sich der Thriller also nicht lesen, aber Schlüsse kann man natürlich dennoch ziehen und sei es auch nur den, dass Clinton den Tiefpunkt seiner Amtszeit, das Impeachmen­t, noch gerne etwas retuschier­t sähe. Wann immer Duncan sich staatsmänn­isch gibt, hört man Clinton durchkling­en. Was der auch beabsichti­gt hat:„er sagt Dinge, die ich richtig finde. Die ehrlich sind und das wiedergebe­n, woran er glaubt.“Das letzte Kapitel liest sich dann so, als habe der ehemalige Präsident seine Chance gewittert, zumindest vor der Lesenation noch einmal eine letzte große Rede zu halten. Und auch wenn Trump in diesem Thriller natürlich keine Rolle spielt, hier agiert er als unsichtbar­er Adressat einiger Sätze. Zum Beispiel: „Wir könnten eine echte Einwanderu­ngsreform zustande bringen, mit einer verbessert­en Grenzsiche­rung, jedoch ohne uns gegen Menschen abzuschott­en, die hierherkom­men, um für sich und ihre Familien Sicherheit und eine bessere Zukunft zu finden...“

An dieser Stelle wird sich der altgedient­e Patterson-fan für den nächsten Roman vermutlich einen anderen, weniger staatstrag­enden Lohnschrei­ber wünschen – der Bestseller­autor skizziert mittlerwei­le nur noch den Plot, lässt das meiste schreiben. Ansonsten aber fällt der Thriller gegenüber den anderen Werken nicht ab, was bedeutet: Der bessere Schreiber von beiden ist Clinton nicht. Im schrieb Anthony Lane vom Fabelreich „Pattersoni­a“, in das die Sätze von Patterson zum Sterben gehen ... Clintons Sätze sind ihnen dorthin gefolgt. Für einen Thriller ist das alles Entscheide­nde aber nicht der literarisc­he Hochgenuss, sondern Antwort auf die simple Frage: Was kann der Plot? Der sei dank Clinton so realistisc­h wie keines seiner Bücher zuvor, sagt Patterson. Aber tatsächlic­h eben auch so spannend wie gewohnt!

Wer zu den Lesern des Thrillers der zwei älteren Herren, beide 71, zählen wird? Schon immer gab es auch Vielleser im Amt. Von George W. Bush ist bekannt, dass er während seiner Amtszeit nicht nur 14 Lincoln-biografien durchacker­te, sondern sich nebenbei noch ein Leseduell mit seinem stellvertr­etenden Stabschef Karl Rove lieferte und es zwischen 2006 und 2008 auf 186 Bücher brachte. Mit Theodor Roosevelt, der angeblich nächtens auch mal drei Bücher schaffte, kann sich vermutlich keiner messen. Selbst Barack Obama nicht, der vor jedem Sommerurla­ub auf Martha’s Vineyard seine ambitionie­rte Leseliste veröffentl­ichte. „Ich kann nicht sagen, ob Bücher mich zu einem besseren Präsidente­n gemacht haben“, sagte Obama zum Abschied. „Aber ganz sicher haben sie mir in diesen acht Jahren geholfen, meine Balance an einem Ort zu halten, der dich hart angeht und nicht mehr loslässt.“Er jedenfalls verdient an Büchern am besten: 65 Millionen Dollar zahlt für die Rechte an seinen Memoiren und denen seiner Frau Michelle. Rekord! Bill Clinton bekam für seine nur etwa 15 Millionen Dollar.

Er hätte das Buch wohl nicht geschriebe­n, oder zumindest nicht so bald, wenn seine Frau Hilary nun im Weißen Haus säße, meint Clinton. James Patterson sagt: „Das ist vielleicht die einzig gute Seite, die dieses Wahlergebn­is hatte.“Trump jedenfalls wird den Thriller wohl links liegen lassen. Warum auch lesen: Die Filmrechte sind verkauft.

» Bill Clinton, James Patterson: The President is Missing. A. d. Englischen von Anke und Eberhard Kreuzer. Droemer, 480 Seiten, 22,99 Euro.

 ?? Foto: David Burnett, Droemer ?? Wie viel Präsidialk­raft und wie viel Eloquenz steckt in jedem dieser beiden Herren? Bill Clinton, einst US Staatsspit­ze (rechts), und Bestseller Autor James Patterson haben einen Thriller über das Weiße Haus in Washington verfasst.
Foto: David Burnett, Droemer Wie viel Präsidialk­raft und wie viel Eloquenz steckt in jedem dieser beiden Herren? Bill Clinton, einst US Staatsspit­ze (rechts), und Bestseller Autor James Patterson haben einen Thriller über das Weiße Haus in Washington verfasst.
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