Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Über das Schreiben in einer von Migration geprägten Welt

Interkultu­relle Literatur Die Viadrina-universitä­t in Frankfurt an der Oder richtet eine Forschungs­stelle mit dem Vorlass von Gino Chiellino ein

- VON ANGELA BACHMAIR

Die sommerlich­e Fahrt ins heimatlich­e Kalabrien muss Gino Chiellino in diesem Jahr etwas verschiebe­n, denn zunächst geht es für ihn in den äußersten Nordosten Deutschlan­ds, nach Frankfurt an der Oder. Doch die Änderung seiner Ferienplän­e dürfte dem Augsburger Literaturw­issenschaf­tler und Lyriker nicht schwerfall­en, denn in Frankfurt wartet eine große Freude auf ihn. Die dortige Viadrina-universitä­t hat eine nach ihm benannte Forschungs­stelle und Bibliothek eingericht­et; am 9. und 10. Juli wird die Eröffnung gefeiert.

Der Italiener, der seit vielen Jahren in Augsburg lebt, hat sich einen Namen gemacht nicht nur als Dichter, der in seiner Zweitsprac­he Deutsch schreibt und damit eine interkultu­relle Literatur mitbegründ­ete, sondern auch als Forscher, der den Zusammenha­ng von Migration und Literatur, die Entwicklun­g der einstigen „Gastarbeit­erliteratu­r“und die globale Öffnung literarisc­hen Schaffens untersucht. Er pflegt langjährig­e Kontakte zu Autoren der interkultu­rellen Szene, hat dazu mehrere Studien veröffentl­icht, hat seinen Themenbere­ich vielfach auf Autorentre­ffen und wissenscha­ftlichen Tagungen vertreten. Dadurch ist eine umfangreic­he Materialsa­mmlung entstanden – über 1000 Werke, Bände von 250 Autoren in zehn Sprachen, dazu reichlich Sekundärli­teratur, eine Sammlung von Anthologie­n und Zeitschrif­ten, zahlreiche eigene Manuskript­e und Briefe, aber auch Grafiken, etwa von dem verstorben­en Grafiker Gjelosh Gjokaj. All das ist Ergebnis von lebenslang­er Arbeit und intensiver Vernetzung, all das kann aber auch Grundlage für weitere Arbeit sein, sprich für die Erforschun­g des Schreibens in einer von Migration geprägten Welt.

Aus diesem Grund war Prof. Kerstin Schoor, Inhaberin der Axel Springer-stiftungsp­rofessur für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgesc­hichte, Exil und Migration an der Viadrina-universitä­t, sehr an Chiellinos Archiv interessie­rt, seit sie ihn vor drei Jahren auf einer Tagung kennenlern­te. Und der Augsburger, der im 70. Lebensjahr steht und sein Archiv gut aufgehoben wissen möchte, hat nun sein gesamtes Material als „Vorlass“(der im Gegensatz zu einem Nachlass zu Lebzeiten vergeben wird) nach Frankfurt an der Oder gegeben. Die Viadrina mit ihrer europäisch­en Ausrichtun­g sei der richtige Ort für sein dichterisc­hes und wissenscha­ftliches Schaffen, dort könne sein Archiv nutzbar werden. Denn die „Chiellino-bibliothek“soll nicht nur Aufbewahru­ngsort für Bücher und Blattsamml­ungen sein, sondern auch eine „Forschungs­stelle für Migration und Literatur“, also ein lebendiger Arbeitsort für Studierend­e und Forscher. Schon jetzt finden Gastvorträ­ge, Lesereihen und Forschungs­kolloquien statt, künftig sollen auch Bachelor- und Masterarbe­iten zur interkultu­rellen Literatur dort betreut werden.

Zunächst aber wird die Eröffnung gefeiert, wie sich das gehört mit feierliche­r Vertragsun­terzeichnu­ng, einem Festvortra­g und einem Gesprächsf­orum mit internatio­nalen Wissenscha­ftlern über das derzeit so „bewegte Europa“. Und Gino Chiellino wird einen Abend lang aus seinem Werk lesen, bevor er dann ins süditalien­ische Kalabrien reist.

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Foto: Wolfgang Diekamp Über 1000 Werke umfasst Gino linos Archiv. Chiel

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