Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Leitartike­l Warum die Nato gerade jetzt gebraucht wird

Die Attacken des Us-präsidente­n versetzen die Verteidigu­ngsallianz in Dauerstres­s. Es geht um Schadensbe­grenzung – für die Zeit nach der Ära Trump

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Die Nato ist ein Kind des Kalten Krieges. Im Jahr 1949 gegründet unter dem Eindruck der Berlin-krise und erster sowjetisch­er Atombomben-tests. Bis in die siebziger Jahre galt die nordatlant­ische Allianz und Wertegemei­nschaft einer großen Mehrheit der Deutschen als Schutzschi­ld vor der Gefahr aus dem hochgerüst­eten Osten. Später brandmarkt­e die Friedensbe­wegung das Bündnis als willfährig­e Filiale der imperialis­tischen und kriegslüst­ernen USA. Nach der Wende und dem Niedergang des Warschauer Pakts fragten viele: Braucht man die Allianz überhaupt noch? Jetzt häufen sich die warnenden Stimmen, dass die Nato im Begriff ist, sich selber zu zerlegen – gefangen im Strudel widerstreb­ender Interessen.

Wäre das so schlimm? Hat sich die Nato nicht längst überlebt? Um es gleich vorwegzune­hmen: Der Westen, insbesonde­re aber Europa und natürlich auch Deutschlan­d, sollte alles dafür tun, das Bündnis zu bewahren. Die Nato ist einer der letzten Stabilität­sanker in einer unübersich­tlichen Weltlage mit zerfallend­en Strukturen und einer Vielzahl von aktuellen und drohenden Konflikten. Doch was ist diese Erkenntnis wert angesichts der heftigen Attacken, die der Us-präsident Donald Trump seit Monaten und jetzt aktuell anlässlich des Nato-gipfeltref­fens in Brüssel via Twitter gegen die europäisch­en Bündnis-partner und Kanada fährt?

Eines ist Trump bereits gelungen: In der Nato scheint es nur noch um die ominöse Zwei-prozent-grenze zu gehen. Darum also, dass alle Mitglieder des Bündnisses – wie 2014 vereinbart – bis 2024 entschloss­en auf das Ziel zusteuern, zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­es für die Verteidigu­ng auszugeben. Diesen Hebel nutzt Trump systematis­ch, um die Nato-mitglieder vor sich herzutreib­en. Immerhin hat er damit das Bewusstsei­n geschärft, dass die Europäer sich nicht mehr – wie über Jahrzehnte – auf das militärisc­he Potenzial des großen Bruders in Washington verlassen können. Aus dem Bruder ist ein polternder, zorniger Fremder geworden.

Die Us-forderung, dass Europa mehr in seine Verteidigu­ng investiert, ist jedoch berechtigt. Schon aus eigenen sicherheit­spolitisch­en Erwägungen kann sich Deutschlan­d eine marode Bundeswehr nicht leis- ten. Es geht, anders als die Linke behauptet, nicht darum, ungehemmt aufzurüste­n, sondern um Instandset­zung und Erneuerung der Ausrüstung. Auch das Argument, mehr Geld für die Streitkräf­te könnte die Urangst Russlands vor einer Einkreisun­g anfachen, ist abstrus. Die Nato ist vielmehr gegenüber Moskau in die Defensive geraten.

Dennoch ist die starre Zwei-prozent-grenze ein Popanz. Beispiel Griechenla­nd: Das Land liegt deut- lich über dieser Hürde. Allerdings hätschelt der finanzschw­ache Staat seine Streitkräf­te nicht, um NatoOperat­ionen zu stärken, sondern aus Angst vor einer Aggression des Bündnis-partners (!) Türkei.

Doch es geht um viel mehr. Früher waren Gipfeltref­fen des Bündnisses meist wenig aufregend. Das war beabsichti­gt. Es ging darum, Einigkeit und politisch sowie militärisc­h Handlungsf­ähigkeit zu demonstrie­ren. Wenn die Nato zur Arena für Krach und Polemik verkommt, kann sie diese Funktion nicht erfüllen. Die Allianz ist ohnehin bereits angeschlag­en – unter anderem durch die missratene Interventi­on in Afghanista­n.

Kanzlerin Angela Merkel und die meisten Nato-partner wissen, dass die innere Zersetzung des Paktes droht. Ein Auseinande­rbrechen wäre für Europa ein beispiello­ses Desaster. Aber auch die USA würden einen hohen Preis bezahlen. Doch das ist dem Us-präsidente­n offensicht­lich völlig egal. Da bleibt den anderen Nato-staaten nur, das Bündnis so gut es geht zusammenzu­halten – für die Zeit nach Trump.

Aus dem großen Bruder wurde ein zorniger Fremder

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