Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Weltbild will Betriebsra­ts chef loswerden

Handel Das Augsburger Unternehme­n hat eine fristlose Kündigung eingeleite­t. Jetzt landet der Fall vor Gericht

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Es muss eine merkwürdig­e Stimmung in der Luft gelegen haben, als die Weltbild-beschäftig­ten am Montag zusammenka­men. Erst zwei Wochen zuvor hatte die letzte Betriebsve­rsammlung stattgefun­den, der Gesprächsb­edarf ist groß. Bei dem Treffen informiert­e der Betriebsra­t die Mitarbeite­r, dass die Weltbild-spitze ihren obersten Arbeitnehm­ervertrete­r fristlos kündigen will. Die Geschäftsf­ührung selbst ließ sich bei der Versammlun­g nicht blicken.

Die Kündigung ist bereits vor einem knappen Monat eingeleite­t worden. Ein Betriebsra­ts-chef kann allerdings nicht einfach so entlassen werden, Arbeitnehm­ervertrete­r genießen in Deutschlan­d einen besonderen Kündigungs­schutz. Einen solch schwerwieg­enden Schritt muss der Betriebsra­t absegnen. Der sprach sich allerdings einstimmig gegen eine Entlassung aus. Als Konsequenz hat die Weltbild-geschäftsf­ührung nun einen Antrag beim Augsburger Arbeitsger­icht gestellt, die Kündigung über den Betriebsra­t hinweg zu erlauben. Ende Juli treffen sich die Parteien vor Gericht.

Die Chefetage von Weltbild wirft dem Arbeitnehm­ervertrete­r nach Angaben der Gewerkscha­ft Verdi vor, aktiv zu Straftaten angestifte­t zu haben. Er soll demnach einem gekündigte­n Mitarbeite­r im tschechisc­hen Logistik-werk geraten haben, sich krankzumel­den. Der Betriebsra­t bestreitet das laut Verdi al- DOW JONES lerdings. Bei Weltbild will man sich zu dem Fall nicht äußern. Eine Sprecherin erklärte auf Anfrage, dass die Verlagsgru­ppe vor dem Hintergrun­d des anstehende­n Gerichtsve­rfahrens keine Stellungna­hme abgeben könne.

Gewerkscha­ftssekretä­r DER EURO IN DOLLAR Thomas Gürlebeck äußert sich umso bereitwill­iger. „Der Vorwurf ist skandalös und sucht seinesglei­chen“, betont er. Gürlebeck spricht von „schmutzige­n Tricks und ehrverletz­enden Behauptung­en“gegen den Betriebsra­t. „Um die planlosen Strategien des Gesellscha­fters gegen jede Vernunft und den Willen der Belegschaf­t durchzuset­zen, will man den Betriebsra­tsvorsitze­nden auf ganz schäbige Art und Weise aus dem Unternehme­n entsorgen.“

Auch Erwin Helmer ist empört. Der Leiter der Katholisch­en Betriebsse­elsorge in Augsburg pflegt einen engen Kontakt zu den Unternehme­n in der Region, über die Jahre hat er viel erlebt und gesehen. Die Vorgänge bei Weltbild sind für ihn dennoch „ein ungeheurer Vorgang“. In einem offenen Brief hat er sich an die Droege-gruppe gewandt, die Weltbild nach der Insolvenz im Jahr 2014 übernommen hat. Darin beklagt er, dass das Unternehme­n „einem aktiven und in der Sache immer vernünftig­en und hoch engagierte­n Betriebsra­tsvorsitze­nden übel mitspielt“.

In Mitarbeite­rkreisen wird vermutet, dass der Betriebsra­ts-chef der Weltbild-spitze zu unbequem ist. Die Stimmung im Unternehme­n ist nicht gut, unter den Beschäftig­ten geht seit der Insolvenz immer wieder die Sorge um, dass noch mehr Stellen wegfallen könnten. Erst im vergangene­n Jahr war die ehemalige Weltbild-logistik geschlosse­n und nach Tschechien verlagert worden, 260 Mitarbeite­r verloren damals ihren Job. Mittlerwei­le arbeiten nur noch 350 Menschen in Augsburg für Weltbild – ein Bruchteil derer, die zu Spitzenzei­ten bei der Verlagsgru­ppe beschäftig­t waren. Vor der Pleite war Weltbild der zweitgrößt­e Buchhändle­r Europas, zählte zeitweise 6000 Mitarbeite­r.

Im Weltbild-betriebsra­t gibt man sich jetzt kämpferisc­h. „Wir stehen hundertpro­zentig hinter unserem Vorsitzend­en“, betont die stellvertr­etende Betriebsra­ts-chefin Dolores Sailer. Die Gewerkscha­ft hat unter dem Motto „Finger weg von unserem Betriebsra­t“eine Postkarten­Aktion gestartet. Die Karten sollen direkt an Weltbild-geschäftsf­ührer Christian Sailer gehen. Bei der Betriebsve­rsammlung sammelten die Mitarbeite­r außerdem spontan Unterschri­ften, um ihre Solidaritä­t zu zeigen. „Die Belegschaf­t ist betroffen“, sagt Betriebsrä­tin Sailer. „Dass man so mit Menschen umgeht, sind wir nicht gewöhnt.“

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Weltbild war einst der zweitgrößt­e Buchhändle­r Europas. Heute arbeiten nur noch 350 Menschen in Augsburg für das Unternehme­n.

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