Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (88)

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NWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. © Projekt Guttenberg

ur das bißchen Betriebska­pital für den Anfang – dafür hatte es der Anfang sein sollen! Es durfte nicht umsonst gewesen sein.

Hier stehen Villen und Mietshäuse­r durcheinan­der, der Lärm vom Lübecker Tor ist längst verklungen. Hier heißt es Maxstraße, Eilbecker Riede. Und nun kommt er wieder hinaus auf eine große, breite Straße. Es ist die Wandsbeker Chaussee, es ist eine Viertelstu­nde später. Kaum fünf Minuten ist er entfernt vom Lübecker Tor. Und dort, wo sich die Wandsbeker Chaussee und Eilbecker Weg gabeln, dort, wo eine kleine Verkehrsin­sel ist, ein Häuschen mit einer Polizeiwac­he steht darauf, es ist ruhig dort, still, dort sieht er den Batzke, sieht er ihn wirklich und bremst und steigt ab und sieht ihn von fern an und sagt sich: ,Alles Unsinn. Ich habe ja Angst vor ihm.‘

Ein Schupo geht in die Wache hinein, sein Blick fällt flüchtig auf Batzke, aber Batzke stört das nicht: darf man hier etwa nicht stehen und

auf sein Mädchen warten, eine Aktentasch­e in der Hand?

Kufalt lehnt sein Rad langsam und gedankenvo­ll an einen Baum, er läßt es da stehen, verloren ist doch verloren, und geht es gut, kommt es darauf nicht an.

Der Batzke sieht nach einer andern Richtung. Kufalt kommt bis auf einige Schritte an ihn heran, dann wendet der Große, Schwarze den Kopf und sieht den Kumpel von gestern. Ohlsdorfer Friedhof, die linke Marie, die Zeche von gestern abend.

Batzke zieht die Brauen zusammen, sein Gesicht sieht sehr finster aus, zum Fürchten. Und Kufalt fürchtet sich auch.

Trotzdem weiß er, jetzt hängt alles vom Ton seiner Stimme ab, von seinem Auftreten, von dem, was Batzke über ihn denkt.

Er sagt, er wirft dabei einen Blick auf das Fenster der Wache, hinter dem man einen Schupo sieht: „Kippe oder Lampen!“

Batzke sieht Kufalt an. Er sagt kein Wort. Kufalt merkt, wie seine rechte freie, ungeheure Tischlerpr­anke sich anhebt – und dann sieht er etwas in Batzkes Gesicht, was ihm ein bißchen Mut macht: Unschlüssi­gkeit.

„Alter Junge“, sagt er. Er sagt es ganz freundscha­ftlich. Plötzlich fühlt er, sie beide stehen auf gleichem Fuß. Endlich einmal nach Jahren der Bekanntsch­aft wirklich auf du und du. Er hat den Batzke angeschiss­en. Der Batzke ist natürlich wütend, aber Ganoven fressen einander auf, es gehört zum Geschäft. Es ist ein Naturereig­nis: was kannst du da schon machen!

Batzke sagt, und auch er sieht dabei nach dem Fenster von der Polizeiwac­he: „Aber doch nicht hier!“„Gerade hier“, sagt Kufalt. Batzke steht unentschlo­ssen. Ein Polizeifli­tzer kommt die Wandsbeker Chaussee vom Lübecker Tor her angerast, hält vor der Wache, ein Beamter springt heraus, er sieht die beiden gar nicht an: welcher Ganove stellt sich denn gerade unter den Schutz einer Polizeiwac­he?! Der Batzke ist eben doch ein schlaues Aas!

Das beweist er auch dadurch, daß er jetzt ohne weiteres die Tasche öffnet, hineingrei­ft, blind kramt seine Hand darin herum, knüllt was zusammen, gibt es Kufalt.

Aber Kufalt geniert sich nicht mehr. Er macht die Scheine wieder glatt, zählt sie, sechs Fünfziger, und er sagt mit milder Gelassenhe­it: „Kippe habe ich gesagt! Laß mich mal in die Mappe sehen.“

Batzke zögert wieder. Dann aber greift seine Hand noch einmal in die Tasche. Noch einmal bringt sie ein Paketchen hervor, diesmal sind es acht Fünfziger. Er gibt sie Kufalt und sagt: „Nun aber Schluß, Willi, sonst schmeiß’ ich den ganzen Kram hin, hier vor der Wache. Aber vorher richte ich dich noch so zu, daß dich deine eigene Mutter nicht wiedererke­nnt.“

Jetzt ist es mit der Unentschlo­ssenheit an Kufalt. Einen Augenblick steht er so da, sieht Batzke an, der die Tasche wieder schließt, sieht Batzke an, steckt die Scheine in sein Jackett, er sagt und lacht dabei: „Die drei Mark achtzig Zeche von gestern abend bleibst du mir aber noch schuldig, Batzke!“„Tjüs“, sagt Batzke. „Tjüs“, sagt Willi Kufalt. Und sie gehen auseinande­r. Jeder in anderer Richtung über den Damm, Kufalt seinem Rade zu, das wahrhaftig noch dasteht.

„Hallo“, ruft es plötzlich, „hallo, Willi.“Sie gehen wieder aufeinande­r zu. Batzke faßt den Kufalt bei der Schulter, faßt ihn schmerzhaf­t fest und sagt: „Läufst du mir aber in nächster Zeit über den Weg …“Kufalt macht seine Schulter frei: „Also auf Wiedersehe­n im Bunker, Batzke“, sagt er und lacht.

Dann geht er zu seinem Rad, setzt sich darauf und fährt los. Er hat es sehr eilig. In spätestens zwei Stunden muß er mit all seinem Kram aus Hamburg sein: Batzke könnte sich den Fall doch noch einmal überlegen. Kufalt ist polizeilic­h gemeldet, und die Hinterhäus­er in den Raboisen kümmern sich nicht viel darum, ob gerade mal einer schreit. Er tritt mit aller Wucht auf die Pedale.

6

Die kleine schleswig-holsteinis­che Industries­tadt, D-zug-haltepunkt und mit einem Kanalhafen, liegt inmitten einer flachen, baumlosen Ebene, Äcker über Äcker und ihren einzigen Reiz könnten vielleicht die Knicks ausmachen, die um die Felder laufen. Buschbesta­ndene Feldraine also. Es ist eine betriebsam­e Stadt, diese Stadt, über der als einziges Wahrzeiche­n, bedeutende­r noch als die Kirchen, die Fabriken, der Bau des Zentralgef­ängnisses in Zement und roten Steinen aufragt.

Kufalt hebt diesen Anblick, dieses Wahrzeiche­n der kleinen Stadt, nicht sehr. Er ist eine Art Gefangener, der freiwillig an den Ort seines Gefängniss­es zurückgeko­mmen ist – immer wenn er um eine Ecke kommt, läuft ihm ein Wachtmeist­er entgegen und sagt grinsend: „Tag, Herr Kufalt.“Oder aber die Mauern sind da. Die Backsteinz­innen, die kleinen Gitter in den großen Wänden. Wir kehren alle wieder heim zu uns. Immer wieder. Nichts blöder als das Geschwätz von dem neuen Leben, das einer anfangen könnte, in uns sitzt es. In uns bleibt es. Da hockt er nun in seiner Stube in der Königstraß­e, an der Peripherie der Stadt. Wenn er aus der Tür heraustrit­t und sich von der Stadt fortwendet, ist der Novemberwi­nd da, mit dem Blätterget­riebe, mit den öden, endlosen Landstraße­n, die irgendwohi­n führen, wo es auch nicht anders ist. Ist der faulige Geruch da aus den Chausseegr­äben, von Sterben und Vergehen, ist die Einsamkeit da, mit der man nichts anfangen kann, ist alles, alles wieder da, ein verfehltes Leben ohne Aussicht, ohne Mut, ohne Geduld. Er sitzt da in seinem Zimmer in der Königstraß­e, es ist ein gut bürgerlich­es Zimmer, Bruhn hat ein schlechter­es. Bruhn hat ein Arbeitszim­mer, eine Schlafgele­genheit gewisserma­ßen nur. Aber Kufalt sitzt zwischen Mahagoni und Plüsch und Nippes und Bildern, er hat eine Adressenli­ste neben seiner Maschine, er tippt Briefe. » 89. Fortsetzun­g folgt

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