Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Von uns wird erwartet, dass wir liefern“
Musik Peter Schwenkow ist einer der großen deutschen Konzertveranstalter, viele Weltstars stehen bei ihm unter Vertrag. Im Interview erklärt er, weshalb die wilden Zeiten vorbei sind und wie die Preise von Konzertkarten zustande kommen
Wird einem der Beruf des Konzertveranstalters nach 40 Jahren nicht langweilig? Peter Schwenkow: Nein. Ganz und gar nicht. Das Schöne ist ja, dass wir etwas herstellen, das die Menschen erfreut. Wir verkaufen Soulfood. Unser Produkt ist einfach spannender als eine Jeans oder die neuesten Speicherchips, denn es hat eine eigene Meinung. Besonders begeistert es mich, wenn wir etwas Neues erfinden, von dem wir vorher überhaupt nicht wissen, ob es im Markt funktioniert. Wir haben gerade „Game Of Thrones Live Concert Experience“veranstaltet, mit großer Leinwand und großem Symphonieorchester. Da weißt du vorher nicht, ob 10 000 oder 2000 Leute kommen werden. Wenn es dann 10 000 und mehr sind, ist das irre befriedigend.
Wie gut ist Ihr Riecher ausgeprägt für das, was im Markt ankommt? Schwenkow: Wir haben sehr oft recht gehabt, sonst würde es uns heute nicht mehr geben. Als wir 1978 anfingen, gab es praktisch nur das Bauchgefühl. Man konnte sich ein bisschen an den Charts orientieren und an den Radioeinsätzen, aber diese Analysemöglichkeiten wie heute existierten einfach noch nicht. Aus dem Bauch kam zum Beispiel 1984 der Berliner Sommernachtstraum, Höhepunkt war ein großes Feuertheater von André Heller. Wir haben das erfunden, und es funktionierte grandios.
Früher entschied der Bauch, heute entscheiden Algorithmen. Ist das Konzertgeschäft noch vergleichbar mit dem Ihrer Anfangszeit? Schwenkow: Natürlich verfügen wir heute über viel mehr Daten, die wir auswerten können. Trotzdem ist das Gefühl immer noch mitentscheidend. Man guckt: Wie ist der Künstler beim letzten Mal angekommen? Sind die Leute zufrieden nach Hause gegangen? War das Konzert vielleicht zu kurz, die Produktion zu billig, die Besprechungen in den Medien schlecht? Im Grunde ist es aber so, dass wir bei arrivierten Künstlern schon ungefähr wissen, was da möglich ist. Bei einigen ist das aber auch stark davon abhängig, ob es gerade einen Hit gibt.
Schwenkow: Bon Jovi. Die Band ist je nach Bundesland und Stadt immer gut für 20 000 bis 50 000 Leute. Aber wenn die einen Hit haben, erreichen sie auch die 15- bis 25-Jährigen und es kommen vielleicht 15 000 Menschen mehr pro Stadt. Hälfte Ihres Umsatzes in Großbritannien. Wie kam es dazu? Schwenkow: Wir sind in England inzwischen der zweitgrößte Veranstalter. Wir haben dort nach und nach kleinere Unternehmen akquirieren können, auch weil wir uns seit Jahrzehnten eine sehr gute Position im Klassik- und Crossover-bereich erobern konnten, ob es jetzt um Andrea Bocelli geht, Anna Netrebko, David Garrett oder Jonas Kaufmann. Wenn du in diesem Geschäft alle Beteiligten respektvoll behandelst, dann erarbeitest du dir einen Ruf. Das haben wir geschafft. Und dann entwickelst du so etwas wie einen Magnetismus. Das heißt: Irgendwann fliegen dir die Metallspäne einfach zu.
Wie eng und partnerschaftlich Verhältnis zu Ihren Künstlern? Schwenkow: Wir lieben unsere Künstler, aber wir scheuen auch nicht die Auseinandersetzung. Als Veranstalter und Produzent sehen wir uns als Vermittler zwischen Künstler und Kunde. Wir geben den Künstlern durchaus Hinweise. Dass es zum Beispiel nicht geht, wenn sie viereinhalb Stunden spielen, da die meisten Leute nach zwei Stunden ihre U-bahn kriegen wollen.
ist das Früher waren viele Musiker ziemlich extrem drauf, heute sind sie eher Geschäftspartner. Sie haben mal gesagt, dass höchstens noch fünf Prozent der Drogen aus den Siebzigern konsumiert werden. Vermissen Sie das wilde und unberechenbare Element in Ihrem Job? Schwenkow: Alles hatte seine Zeit. Du musst ja überlegen, wo der Rock ’n’ Roll herkam, er war Zeichen einer Protestgeneration und trug damals auch in Deutschland lange Haare. Rockmusik kam aus dem linken Lager und ging gegen das Estab-
Erst Alkohol und dann auf die Bühne, das ist vorbei
lishment. Heute hat der Künstler immer noch Freiheiten und auch die Möglichkeit aufzurütteln, aber am Ende ist es doch so, dass wir eine Unterhaltungsindustrie geworden sind.
Schwenkow: Dass von uns wie vom Künstler erwartet wird, immer zu liefern. Unser Produkt, die Eintrittskarte, ist nicht billig. Der Kunde kauft und bezahlt sie ein halbes oder Dreivierteljahr im Voraus. Dafür bekommt er von uns das Ver- sprechen: Die Veranstaltung findet in jedem Fall statt, ob sie nun gut verkauft ist oder schlecht. In den Siebzigern war das anders, da fielen Konzerte einfach aus. Das ist heute nur noch ganz, ganz selten der Fall.
Die Musiker sind also braver und pflegeleichter geworden? Schwenkow: Zumindest sind sie nüchterner geworden. Ein Konzert auf die Beine zu stellen, ist sehr aufwendig. Da wäre es extrem unsolidarisch, wenn ich mir am Nachmittag eine Flasche Southern Comfort reinhaue und dann abends in der Ecke liege und nicht auftreten kann. Das gab es vielleicht zu Zeiten von Janis Joplin.
Und heute nicht mehr? Schwenkow: In den letzten zwanzig Jahren ist keiner wegen zu viel Alkoholgenuss nicht aufgetreten. Das letzte Mal, wo das passiert ist, war Mitte der Neunziger, Rod Stewart, Waldbühne Berlin. Die Kosten, die wir heute pro Konzertabend haben, die kriegst du nur noch mit einem ärztlichen Attest versichert. Heute kann eigentlich kein Extremalkoholiker oder stark Drogenabhängiger mehr auf eine große Tournee gehen. Weil die nicht versicherbar wäre. Die Fans beschweren sich immer über die hohen Ticketpreise, doch wenn ein Konzert blitzschnell ausverkauft ist, schimpfen sie auch. Sind Konzertkarten nun zu teuer oder zu billig? Schwenkow: In 90 Prozent der Fälle legen wir den Preis zusammen mit dem Künstler fest, wir sind Partner und haben beide ein Interesse daran, dass sich das Publikum diese Karten auch kaufen kann. Der Preisfindungsprozess ist sehr, sehr komplex und alle sind da immer äußerst sensibel darauf aus, dass es nicht zu teuer wird. Aber wenn ein Kollege stolz verkündet: „Ich war in drei Stunden ausverkauft“, dann sage ich: „Du warst zu billig.“
Wer leer ausgeht, kauft seine Karte vielleicht im Zweitmarkt, mitunter für ein Vielfaches des Originalpreises. Schwenkow: Wir werden das Preismodell ändern müssen. Auf Dauer führt kein Weg am „Dynamic Pricing“vorbei. Das führt dazu, dass der Preis der Eintrittskarten an die Nachfrage angepasst wird. Ein Teil der Tickets wird günstig sein, aber wenn jemand 800 Euro für die erste Reihe beim Elton-john-konzert ausgeben möchte, weil er Hochzeitstag hat und seine Frau das erste Mal bei einem Lied von Elton John küsste – dann bezahlt er das gerne. Und bei uns.
Viele Ihrer langjährigen Zugpferde kommen in die Jahre. Die Rolling Stones, über lange Jahre eine Ihrer wichtigsten Bands, sind in den Siebzigern. Wer soll später mal die Stadien füllen? Schwenkow: Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Wir haben in England 800 000 Karten für Ed Sheeran verkauft, der war vor zehn Jahren noch ein Teenager, auch Adele hat das Zeug, Stadien zu füllen. Die Menschen brauchen Konzerte, sie werden immer Hunger auf Live-unterhaltung haben. Und es wird immer jemand nachkommen, der diesen Hunger stillt.