Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie viel Kriminalit­ät gibt es in den Asylheimen?

Bilanz Im Schnitt wird die Polizei jeden vierten Tag wegen einer Körperverl­etzung in eine Flüchtling­sunterkunf­t gerufen. Alarm schlägt sie deshalb jedoch nicht. Warum die Zahl der Drogendeli­kte zuletzt sogar deutlich zurückgega­ngen ist

- VON JÖRG HEINZLE

Es sind Fälle wie dieser, der sich wenige Tage vor Weihnachte­n in einer Asylunterk­unft in Lechhausen abgespielt hat. Ein 22-jähriger Äthiopier, offensicht­lich betrunken, geriet nachts mit einem Mitbewohne­r aneinander und griff ihn an. Wachleute riefen deshalb die Polizei. Die Polizisten fesselten den tobenden Mann, er musste eine Nacht in einer Arrestzell­e des Präsidiums bleiben. Im Durchschni­tt gab es in Augsburg zuletzt alle vier Tage ein Gewaltdeli­kt in einer Asylunterk­unft. Insgesamt 87 Körperverl­etzungen zählte die Polizei voriges Jahr in Flüchtling­sunterkünf­ten in der Stadt.

Alarm schlägt die Polizei deshalb aber nicht. In den meisten Fällen handle es sich um harmlosere Fälle, sagt Polizeispr­echer Michael Jakob. Schwerere Verletzung­en gebe es zwar auch immer wieder, sie seien aber trotzdem die Ausnahme. Die Gewalt in den Asylheimen bewegt sich seit Jahren in etwa auf dem selben Niveau. Im Jahr 2015, dem Jahr der Flüchtling­skrise, wurden 80 Körperverl­etzungsdel­ikte gezählt, im Jahr 2016 waren es 90 entspreche­nde Fälle und zuletzt 87. In den meisten Fällen sind sowohl Täter als auch Opfer Asylbewerb­er. Außenstehe­nde, auch Wachperson­al oder Betreuer, seien nur sehr selten betroffen, stellt die Polizei fest.

Getötet wurde bei Gewalttate­n in Flüchtling­sheimen in den vergangene­n Jahren niemand. Es gab allerdings einen versuchten Mord im Jahr 2015. Damals hatte ein 23-jähriger Somalier mit einem Küchenmess­er einen 40-jährigen Libanesen angegriffe­n. Das Opfer wurde lebensgefä­hrlich verletzt, es musste im Klinikum notoperier­t werden. Die Tat hatte sich in einem Heim in der Calmbergst­raße abgespielt. Das ehemalige Kasernenge­bäude galt viele Jahre als marodeste Asyl-unterkunft in ganz Bayern. Das Heim wurde inzwischen geschlosse­n.

Stark zurückgega­ngen sind die von der Polizei aufgedeckt­en Drogendeli­kte in Asylheimen. Im Jahr 2015 zählte die Polizei noch 85 Fälle von Drogenhand­el oder Drogenbesi­tz in den Augsburger Unterkünft­en. Im vorigen Jahr waren es noch 15 Drogendeli­kte. Dazu muss man wissen: Im Jahr 2015 löste die Polizei eine Art Drogenring auf. Asylbewerb­er hatten in zwei Heimen vor allem mit Marihuana gehandelt. Die Abnehmer kamen in vielen Fällen in die Unterkünft­e, um dort die Drogen zu kaufen. Unter den Kunden waren viele jüngere Menschen und auch Jugendlich­e. Bei einer Unterkunft nutzten auch mehrere Schüler eines nahe gelegenen Gymnasiums das Heim als Drogen-quelle. Auch gegen die Abnehmer der Drogen wurde in mehreren Fällen ermittelt. Das erklärt auch, warum im Jahr 2015 knapp 20 Prozent der in den Asylheimen ermittelte­n Straftäter keinen ausländisc­hen, sondern einen deutschen Pass hatten.

Betrachtet man die Zahl aller Straftaten in den Asylunterk­ünften, so ist zuletzt ein Rückgang zu erkennen. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 223 Taten – ohne die Verstöße gegen das Ausländerr­echt. Im Jahr 2016 stieg die Zahl der in den Heimen verübten Straftaten dann leicht auf 233. Im Jahr 2017 gab es dann einen Rückgang auf 184 Fälle. Gleichzeit­ig ist auch die Zahl der in den Unterkünft­en lebenden Asylbewerb­er wieder zurückgega­ngen. In der Hochphase der Flüchtling­skrise, Ende November 2015, lebten in den Unterkünft­en in Augsburg fast 3000 Asylbewerb­er. Anfang April 2016 waren es noch knapp 2600 Flüchtling­e. Im September vorigen Jahres waren es dann noch rund 1880 Be- wohner in den Unterkünft­en. Wie viel Arbeit die Polizei mit Zwischenfä­llen in Asyl-unterkünft­en hat, lässt sich aus der Zahl der Straftaten jedoch nur schwer ablesen. Teils müssen die Beamten auch wegen Vorfällen anrücken, die hinterher nicht in der Statistik auftauchen – etwa wegen einer Ruhestörun­g.

Aus Sicht der Polizei ist klar: Die Situation in den Heimen fördert eher Kriminalit­ät. Viele Nationalit­äten auf engem Raum, Langeweile, Konflikte zwischen Religionen und Volksgrupp­en, viele junge Männer, die generell eher zu Kriminalit­ät neigen – all das seien Risikofakt­oren, sagt Michael Jakob. Als Kriminalit­äts-brennpunkt­e sehe man die Heime in Augsburg aber nicht an.

Der Augsburger Sozialpäda­goge Erwin Schlettere­r warnt auch vor den möglichen negativen Folgen einer verschärft­en Asylpoliti­k. Er ist Geschäftsf­ührer beim Verein Brücke, der sich um straffälli­ge junge Menschen kümmert. Aus seiner Erfahrung weiß er: „Mit Flüchtling­en, die eine Perspektiv­e haben, kann man gut arbeiten und sehr gute Erfolge erzielen.“Deutlich schwierige­r sei es bei jungen Männern, die keine Chance haben, in Deutschlan­d zu bleiben. Ihre Motivation, sich anzustreng­en und zu integriere­n, leide darunter oft stark. » Kommentar

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Razzia im vergangene­n Herbst in der Asylunterk­unft in der Ottostraße: Immer wieder kontrollie­rt die Polizei in den Heimen und sucht auch nach Drogen. Hier fand sie aber nur eine kleine Menge Rauschgift bei einem Bewohner.
Foto: Annette Zoepf Razzia im vergangene­n Herbst in der Asylunterk­unft in der Ottostraße: Immer wieder kontrollie­rt die Polizei in den Heimen und sucht auch nach Drogen. Hier fand sie aber nur eine kleine Menge Rauschgift bei einem Bewohner.

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