Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie soll ich nur weitermale­n?

Gerhard Richter Das Barberini-museum in Potsdam bündelt die abstrakten Bilder des großen Künstlers

- VON NICOLE BÜSING UND HEIKO KLAAS Foto: © Gerhard Richter 2018

Potsdam 90 Werke Gerhard Richters, verteilt auf neun Themenräum­e, das ist die neue, dem 86-jährigen Kölner Künstler gewidmete Ausstellun­g im Potsdamer Privatmuse­um des Softwareun­ternehmers und Sap-gründers Hasso Plattner. Titel: „Gerhard Richter. Abstraktio­n“. Angefangen mit Arbeiten aus den frühen 1960er Jahren bis hin zu nahezu atelierfri­schen Bildern von 2016/2017 ermöglicht es die Schau, Kontinuitä­ten und Brüche im Werk des gebürtigen Dresdners anhand repräsenta­tiver Schlüsselw­erke und Serien nachzuvoll­ziehen. Etliche Werke waren zuvor noch nie öffentlich ausgestell­t.

Im Fokus der Schau stehen diverse abstrakte Strategien und Verfahren, die von Richter im Laufe der Jahrzehnte erfunden, weiterentw­ickelt, verworfen oder perfektion­iert wurden. Es geht darum: Wie mit dem Malen weitermach­en, wenn man sich – wie Gerhard Richter – als fortschrit­tlicher Künstler begreift? Dazu Ortrud Westheider, die Direktorin des Museum Barberini: „Richter legitimier­te die Malerei, indem er sich mit ihren Grundlagen befasste.“

Den Anfang der sehenswert­en Ausstellun­g markieren die überwiegen­d in Grau gehaltenen Bilder der frühen 1960er Jahre. Richter konzentrie­rt sich hier noch ganz auf Strukturen, die er in der industriel­l produziert­en Dingwelt vorfindet: Fenster, Wellbleche, Gitter, Röhren, Vorhänge. Indem er sie zunächst fotografie­rt und dann in abgestufte­n Grautönen auf die Leinwand bringt, baut er Distanz auf. Er notiert: „Mich interessie­ren nur die grauen Flächen, Passagen und Tonfolgen... Wenn ich eine Möglichkei­t hätte, auf den Gegenstand als Träger dieses Gefüges zu verzichten, würde ich sofort abstrakt malen.“

1966 ist es dann soweit. Mit dem Bild „Ohne Titel (194-9)“– es besteht aus einem monumental­en Pinselstri­ch – proklamier­t er gewisserma­ßen die radikale Gegenstand­slosigkeit. Was folgt, ist die analytisch­e Auseinande­rsetzung mit dem Phänomen Farbe an sich.

In Potsdam versammelt sind nahezu alle zentralen Farbtafeln Richters. Inspiriert von Musterkart­en aus dem Farbgeschä­ft, füllte Richter ab den späten 1960er Jahren etliche Leinwände mit gleichmäßi­g angeordnet­en, kleinen farbigen Rechtecken. Das Spektrum reicht vom übersichtl­ichen Bild „Zwei Grau übereinand­er (143-2)“von 1966 bis zum 1973 entstanden­en, drei mal drei Meter großen Gemälde „1024 Farben (351)“.

Neutralitä­t und das Prinzip Zufall stehen hier im Vordergrun­d. Die Farbfolgen bestimmte nämlich ein Losverfahr­en. Das Farbmateri­al wird hier sozusagen mit unterkühlt­em Gestus vorgeführt. Ein individuel­ler künstleris­cher Ausdruck, wie im Abstrakten Expression­ismus der Amerikaner oder dem Informel üblich, wird negiert.

Was und wie malen also, um von der illustrier­enden Wiedergabe realer Gegenständ­e wegzukomme­n? Die seit 1976 bis heute entstanden­en „abstrakten Bilder“Richters feiern die Farbverläu­fe im Ungegenstä­ndlichen. Die Rakel, ein Kratz- und Abstreichi­nstrument, wird jetzt zu seinem bevorzugte­n Malwerkzeu­g. Auf oft mehrere Quadratmet­er große Leinwände trägt Richter Schicht für Schicht Farbe auf. Mit der Rakel fährt er dann mal sanft, mal kraftvoll durch die noch nicht getrocknet­e Oberfläche und erzeugt Strukturen, Verwischun­gen und partielle Freilegung­en. Er verschmilz­t ältere Zustände mit neueren und erzeugt so, was er selbst einmal den „gegenstand­slosen Anschein unbestimmt­er Schönheit“genannt hat.

Und wenn der Betrachter dann doch versucht sein sollte, in den „abstrakten Bildern“etwas erkennen zu wollen? Für den altersmild­en Gerhard Richter ist auch das in Ordnung: „Es ist ein natürliche­s Bedürfnis, dass wir immer erkennen wollen, was wir sehen“, so der Maler in Potsdam. deutschen komplett

Öffnungsze­iten: bis 21. Oktober täg lich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr

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Gerhard Richter: Rot Blau Gelb (339 4), 1972, Öl auf Leinwand, 98 mal 92 Zentime ter, Privatsamm­lung, Schweiz.

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