Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Blick geht in die Zukunft

Interview Das Rahmenprog­ramm zum Augsburger Stadtfeier­tag dreht sich in diesem Jahr um Utopien. Christiane Lembert-dobler vom Friedensbü­ro erklärt, wie wir der kommenden Zeit ohne Einsamkeit begegnen können

- Interview: Miriam Zißler

Wie sind Sie auf das diesjährig­e Thema „Utopie – Was wäre, wenn…?“gekommen? Lembert Dobler: Eigentlich war das Thema „Liebe“im Rennen. Da hätten wir den Bezug zu „Love & Peace“und das Jahr 1968 gehabt. Aber irgendwie hat es dann doch nicht so ganz gepasst.

Lembert Dobler:

Weil momentan so viel passiert. Beinahe täglich geht es in den Medien um Flüchtling­e, nationalis­tische Töne wie bei dem ungarische­n Ministerpr­äsident Viktor Orbán oder dem amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump, vermüllte Meere und viele andere Dinge, die einem eine negative Zukunftssz­enerie aufzeigen. Man kann es aber auch umgekehrt hinterfrag­en: Wie stellt sich eine Gesellscha­ft eine positive Zukunft vor?

Eine Utopie betrachtet immer die Zukunft.

Lembert Dobler: Ja, und zwar eine positive Zukunft für die Gesellscha­ft. Dennoch kann man sich damit gut in der Gegenwart auseinande­rsetzen. Wie leben wir? Wo wollen wir hin? Was hinterlass­en wir unseren Kindern? Das sind Fragen, die uns beschäftig­en und über die wir Visionen für die Zukunft haben. Und auch Utopien spinnen dürfen! Daraus entwickeln wir etwas Machbares, den ersten Schritt sozusagen.

70 Akteure werden sich ab Sonntag bis zum Friedensfe­st am 8. August mit diesem Thema auseinande­rsetzen. Um was geht es da konkret?

Lembert Dobler: Ein zentrales Thema, das unsere Gesellscha­ft derzeit sehr beschäftig­t, ist zum Beispiel das Thema Wohnen. Wir gehen nicht der Frage nach, wo es Wohnungen gibt, sondern nähern uns der Thematik auf eine andere Art.

Lembert Dobler: Nehmen wir das Thema Wohnen in Verbindung mit Einsamkeit. Die Utopia Toolbox hat mit ihrem Projekt „Open Dot“und ihrem roten Punkt ein Werkzeug für Begegnung und gegen die Einsamkeit geschaffen. Wer sich einsam fühlt, kann den roten Punkt auf seine Haustür kleben und signalisie­rt dadurch, dass man sich über Kontakt freuen würde. Seit drei Wochen sind die Mitglieder der Plattform, die sich mit verschiede­nen Fragestell­ungen und Zukunftsvi­sionen auseinande­rsetzen, in Augsburg unterwegs. Sie verteilen die Aufkleber in Wohnblocks im Univiertel, in Lechhausen, aber auch im Schwabence­nter. Eine Mitarbeite­rin machte uns darauf aufmerksam, dass die Aufkleber auch in Studen- tenwohnhei­men verteilt werden sollten.

Sind Studenten die richtige Zielgruppe?

Lembert Dobler: Einsamkeit betrifft nicht nur ältere Menschen, die gibt es in allen Altersgrup­pen. Auf der Studentenp­lattform Jodel hat in Augsburg erst jemand Leute gesucht, die seinen Geburtstag mit ihm feiern, weil er niemanden kennt und nicht allein sein möchte. Die Utopie wäre hier, dass es einmal keine Einsamkeit mehr gibt.

Das Grandhotel Cosmopolis öffnet in Kooperatio­n mit dem Wohnzimmer im Schwabence­nter ein Wolkenkuck­ucksheim, ein utopisches Wohnlabor. Was hat es damit auf sich?

Lembert Dobler: Sie stellen verschiede­ne Wohnformen vor. Wie wollen wir künftig leben? Sie gehen unter anderem den Genossensc­haftsgedan­ken nach und halten am Ende auch eine Gründung einer Initiative Genossensc­haft nicht für ausgeschlo­ssen. Bei einer Radtour werden aber auch lokale Projekte und Entwicklun­gen angesehen. Bei einem Wohnworksh­op mit Akteuren von Campus Cosmopolis Berlin geht es um Vorstellun­gen zum Wohnen, Zusammenle­ben und voneinande­r Lernen. Diese Themen sind auch in Augsburg sehr aktuell: Man muss nur an die Neuerschli­eßung von Haunstette­n Süd-west denken.

Vor zwei Jahren hat die Mut-installati­on auf dem Rathauspla­tz auf das Friedensfe­st aufmerksam gemacht, vergangene­s Jahr wurde der Kunstschwa­mm des Künstlers Michel Abdollahi binnen sechs Stunden auf dem Willy-brandt-platz vor der Citygaleri­e zerpflückt. Was für eine Installati­on gibt es in diesem Jahr?

Lembert Dobler: Es gibt in diesem Jahr keine große Installati­on, aber natürlich trotzdem viele Sachen, die den Augsburger­n ins Auge stechen werden. So wird ab Sonntag jeden Abend ein großer roter Punkt auf das Verwaltung­sgebäude am Rathauspla­tz projiziert. Das ist ein großartige­s Zeichen, denn damit signalisie­rt die Stadt, dass ihr Einsamkeit als Thema bewusst ist. In Großbritan­nien wurde bereits ein Ministeriu­m für Einsamkeit eingericht­et. Auf dem Willy-brandtplat­z wird in diesem Jahr der Taubenschl­ag für Programm sorgen.

Seit drei Jahren verantwort­en Sie das kulturelle Rahmenprog­ramm zum Friedensfe­st. Auch in diesem Jahr umfasst es wieder über 60 Veranstalt­ungen. Was für Rückmeldun­gen bekommen Sie dazu?

Lembert Dobler: Klar gibt es Stimmen, die sagen, dass das zu viel oder zu groß ist. Der Großteil hebt hervor, dass bei der Fülle der Veranstalt­ungen für jeden etwas dabei ist. Das Hohe Friedensfe­st wurde kürzlich in das bayerische Verzeichni­s Immateriel­les Kulturerbe aufgenomme­n. Das ist eine sehr schöne Auszeichnu­ng, vor allem für die vielen Akteure.

Lembert Dobler: Es ging nicht nur um den einzigarti­gen Feiertag, sondern vor allem um die Art und Weise, wie er in Augsburg begangen wird. Das Friedensfe­st gilt als lebendiges Kulturerbe, das von der Stadtgesel­lschaft gelebt wird. Derzeit wird geprüft, ob das Hohe Friedensfe­st und sein kulturelle­s Rahmenprog­ramm auch in das nationale Landesverz­eichnis aufgenomme­n wird.

Christiane Lembert Dob ler, 60, leitet das Frie densbüro. Die Ethnologin hat einen Lehrauftra­g an der Universitä­t Augsburg.

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 ??  ?? Weit über 1000 Menschen nahmen im vergangene­n Jahr an der Friedensta­fel auf dem Rathauspla­tz teil. Auch 2018 werden dort am 8. August wieder die Tische gedeckt. Archivfoto: Silvio Wyszengrad
Weit über 1000 Menschen nahmen im vergangene­n Jahr an der Friedensta­fel auf dem Rathauspla­tz teil. Auch 2018 werden dort am 8. August wieder die Tische gedeckt. Archivfoto: Silvio Wyszengrad
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