Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So können Obdachlose einen Neuanfang starten

Die Stadt hat in den vergangene­n Monaten viel Geld in die Sanierung von Einrichtun­gen für wohnungslo­se Menschen gesteckt. Sie setzt aber auch auf stärkere Betreuung

- VON MIRIAM ZISSLER ziss@augsburger allgemeine.de

In der Wärmestube herrscht ein Kommen und Gehen. Die Wände der beiden Aufenthalt­sräume sind in freundlich­en Farben gestrichen. An der Decke hängt ein Fernseher – eine Spende des Fördervere­ins – in dem zur Mittagszei­t Nachrichte­n gezeigt werden. Schwester Stephanie und Elisabeth Wichert verteilen belegte Semmeln und warmes Essen. Es gibt dicke Bohnen mit Reis. Das Angebot, eine kostenlose Mahlzeit zu bekommen, nehmen viele Augsburger in Anspruch. Bis zu 160 Personen täglich zählt der katholisch­e Sozialverb­and (SKM), der die Wärmestube seit 34 Jahren in der Klinkertor­straße betreibt. Die Einrichtun­g ist eine Anlaufstel­le für Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, und für diejenigen, die zwar eine Bleibe haben, aber sonst nicht viel in ihrem Leben.

Es sind Menschen am Rande der Gesellscha­ft, die hier willkommen sind. Darunter sind Hartz-iv-empfänger, Rentner, Langzeitar­beitslose, Alleinerzi­ehende oder Asylbewerb­er. Die Wärmestube ist für sie ein wichtiger Treffpunkt. Denn die Menschen, die die Einrichtun­g an der Blauen Kappe besuchen, haben oft niemanden mehr. Armut macht einsam, Suchterkra­nkungen und psychische Krankheite­n isolieren die Menschen von der Gesellscha­ft, in der sie einmal einen Platz hatten. Sie befinden sich in der Abwärtsspi­rale und können aus eigener Kraft wenig dagegen tun.

Einige von ihnen brauchen ein Dach über dem Kopf. Derzeit sind 243 Personen in städtische­n Unterkünft­en untergebra­cht. Viel höher ist die Zahl derer, denen ständig die Obdachlosi­gkeit droht. Also von denjenigen, die selber keinen Mietvertra­g haben und die bei Bekannten oder Verwandten leben, bis sie vor die Tür gesetzt werden und sie sich eine neue Übernachtu­ngsmöglich­keit suchen müssen. Oder die mit ihrer Familie in viel zu beengten Verhältnis­sen leben. Das Sozialrefe­rat rechnet mit rund 1000 Personen, die mit einem Bein auf der Straße leben. Sie alle benötigen ein gut aufgestell­tes Netzwerk, damit sie am Ende eben nicht durch das feinmaschi­ge Raster fallen. Die Stadt Augsburg hat das erkannt. Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD), seine Mitarbeite­r aus dem Sozialrefe­rat und die Mitglieder der zuständige­n Ausschüsse haben in den vergangene­n Monaten und Jahren einige Entscheidu­ngen getroffen, die die Ausgangsla­ge der Obdachlose­n und wohnungslo­sen Menschen deutlich verbessert.

Marode Wohnungen und Häuser, die die Stadt für obdachlose Menschen vorhält, wurden saniert. Das war dringend nötig. Schimmelig­e Wohneinhei­ten ohne Heizung und mit Gemeinscha­ftsdusche gehören der Vergangenh­eit an. Die bauliche Beschaffen­heit ist ein wichtiger Punkt. Kraft für einen Neuanfang schöpfen die Bewohner leichter in einem gemütliche­n und ansprechen­den Umfeld. Viel wichtiger noch ist die pädagogisc­he Begleitung, die die Stadt jetzt auf den Weg gebracht hat.

In der nun getrennten Notunterku­nft – im August ziehen die Männer aus der Spicherer Schule zurück in die Johannes-rösle-straße und die Frauen in eine eigene Einrichtun­g in der Stadtberge­r Straße in Pfersee – steht jeweils pädagogisc­he Betreuung bereit. Martina Kobriger, Geschäftsf­ührerin vom Sozialdien­st katholisch­er Frauen (SKF), der künftig die Frauenunte­rkunft betreuen wird, nennt die Sozialarbe­iter vor Ort einen Seismograf­en. Jemand, der den Frauen Wege aufzeigen kann, wie sie sich dem Leben wieder neu stellen können. Im Übergangsw­ohnheim der Männer wird der SKM der Ansprechpa­rtner für die Bewohner sein. Das macht Sinn: Die Sozialarbe­iter kennen viele Männer, die dort aufschlage­n, bereits aus Sprechstun­den oder der Wärmestube.

Das Ziel ist es, dass das Leben in dem Übergangsw­ohnheim nicht zur Dauerlösun­g wird. „Viele wären jedoch mit einer eigenen Wohnung erst einmal total überforder­t“, weiß Sozialarbe­iter Dominik Appelt vom SKM. Er spricht von einem niederschw­ellig betreuten Wohnen, das es in anderen Städten für ehemals obdachlose und wohnungslo­se Menschen bereits gibt.

Ein Folgeangeb­ot ist wichtig: Auch die Stadt setzt auf mehr und mehr Plätze in Einrichtun­gen, die sich um Menschen mit Suchterkra­nkungen und psychische­n Krankheite­n kümmern. Erst kürzlich wurde im Jugend-, Sozial- und Wohnungsau­sschuss eine Kooperatio­n zwischen der Stadt und dem Diakonieve­rein Eserwall, der für Menschen mit psychische­n Problemen da ist, getroffen.

Es sind viele Mosaikstei­ne, die derzeit zusammenge­fügt werden und das Augsburger Netzwerk zwischen Wohlfahrts­verbänden und Stadt stärken. Das ist der richtige Weg, um Menschen am Rande der Gesellscha­ft eine Chance für einen Neuanfang zu geben und die Abwärtsspi­rale in eine Aufwärtssp­irale umzukehren. Knut Bliesener von der Wärmestube berichtet von einem Fall: Vor ein paar Jahren habe sich der SKM um einen Mann gekümmert, der nach einer Haftstrafe alle Anknüpfung­spunkte verloren hatte und auf sich allein gestellt war. Dann lernte er eine Frau kennen, die er später heiratete. „Heute kommt er ab und zu vorbei und bringt uns Kleidung für unsere Kleiderkam­mer“, erzählt er.

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Foto: Silvio Wyszengrad Gute Stimmung an der Theke: Elisabeth Wichert und Schwester Stephanie verteilen kostenlose­s Mittagesse­n an die Besucher der Wärmestube. Die Einrichtun­g in der Klinkertor­straße ist eine wichtige Anlaufstel­le für Obdachlose und wohnungslo­se Menschen in Augsburg.
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