Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fremden Müll aufsammeln? W

- MICHAEL SCHREINER

issen Sie was? Ich achte vielleicht mehr auf Müll auf der Straße als viele Saubermänn­er und Blankputze­r. Aber ich würde fremden Abfall nicht aufräumen. Mitnehmen aber schon, gelegentli­ch. Eine platte, rostfarben­e Getränkedo­se oder handbeschr­iebene Zettel. Beides sammele ich. Spuren im öffentlich­en Raum sind fasziniere­nd.

Die Straßen, Rinnsteine, Plätze sind voller Zeichen, die zum Leben Unbekannte­r gehören. Müll spricht, er erzählt Geschichte­n, er durchlebt Metamorpho­sen. Zigaretten­schachteln, Kaffeebech­er, Bananensch­alen: Strandgut, angespült vom Zufall, Flaschenpo­st aus dem Alltagsleb­en (weggeworfe­n von gedankenlo­sen, verloren von zerstreute­n Leuten). Wir können froh sein, nicht im klinisch sauberen, aseptisch langweilig­en Singapur zu leben.

Einmal sah ich eine ziemlich ramponiert­e Spielzeugp­uppe auf dem Gehsteig liegen. Stunden später fehlte der Kopf. Der tauchte am nächsten Morgen 50 Meter weiter auf einer Fensterban­k auf, um dann von irgendwem in den Abfallkorb geworfen zu werden. Und da lag er, ganz unten. Einen weiteren Tag später, der Abfallkorb war ganz voll, lag der Kopf obenauf. Müll-magie – die Dinge führen ein Eigenleben. Ich sehe das gern. Und die Müll-stillleben enden doch fast immer zuverlässi­g auf die gleiche Weise: die Männer von der Straßenrei­nigung sammeln auf und kehren zusammen. Das ist ihr Job – und es funktionie­rt.

Warum also sich bücken und dabei auf die Mitmensche­n schimpfen? Es genügt, seine Umwelt selbst nicht zu vermüllen. Wenn wir beginnen, hinter anderen herzuputze­n, wäre das auch das falsche Signal für Müllfallen­lasser. Und doch (ohne das Contra jetzt weichspüle­n zu wollen): Im Wald habe ich auch schon Plastiktüt­en aufgehoben und entsorgt.

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