Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Wärme einer Backstube in der „Kalten Heimat“
Millionen Menschen sind seit Kriegsende nach Deutschland gekommen. Wie wurden sie aufgenommen? Danach fragt ein Theaterprojekt
Die Aufnahme und Integration Vertriebener und Geflüchteter sind in Deutschland nicht erst Thema, seit in den letzten Jahren Menschen aus Somalia, Syrien oder Afghanistan zu uns kommen. Allein in Bayern stieg nach 1945 die Bevölkerungszahl um 28 Prozent durch den Zuzug Geflüchteter aus den ehemaligen Ostgebieten. Die Theatermacherin Dorothea Schröder nennt diese Zahl, auf die sie bei den Recherchen zu ihrem dokumentarischen Theaterprojekt „Kalte Heimat“gestoßen ist. Im Veranstaltungsprogramm zum Friedensfest finden heute und morgen Aufführungen statt.
Um Geschichten von Verlust, Verfolgung, Vertreibung und Flucht geht es darin. Und darum, wie Menschen eine neue Heimat finden. „Mich interessiert, wie man ankommen kann in unserem Land“, sagt Schröder mit Blick auf aktuelle Probleme und Debatten. „Unsere Gesellschaft hat es schon so oft geschafft, Menschen von außerhalb zu integrieren. Das will ich bewusst machen.“Dass auch die Geflüchteten nach dem Krieg nicht gleich mit offenen Armen empfangen wurden, ist dabei zu erkennen. „Aber heute wird ihre Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft nicht mehr infrage gestellt“, erklärt Schröder. „Wer weiß, wie wir die Geflüchteten, die jetzt zu uns kommen, in 20 Jahren sehen?“
Vertriebene aus Schlesien und dem Sudetenland, vietnamesische Boatpeople, Kriegsflüchtlinge aus Bosnien hat sie für das Stück befragt und deren Erfahrungsberichte zu Monologen und Szenen kondensiert. Etwa die Geschichte von Ulrike Zischka, die ursprünglich aus dem böhmischen Franzensbad stammt und heute in der Oberpfalz lebt. Sie erinnert sich an den Bäcker in dem Ort, in den es ihre Familie verschlug, seine warme Backstube und die Großzügigkeit, mit der er den Vertriebenen Brot ohne Marken gab und manches Gespräch mit ihnen führte. „Wärme auf der Haut und Wärme im Herzen“sei dies gewesen. Oder Tuan Nguyen, der 1980 mit der Cap Anamur von Vietnam nach Deutschland kam und davon erzählt, dass auch ihm als jungem Mann – wie vielen geflüchteten Männern heute ebenfalls – Misstrauen entgegenschlug. Und da ist Ghafur Sedaghat aus Afghanistan, seit 2015 in München, der sich wünscht, hier ein normales Leben zu haben: „Nicht mehr. Eine kleine Job und ein klein Haus. Und Sicherheit“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Denn Dorothea Schröder verbindet die Geschichten der Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben, mit denen von Geflüchteten, die im Zuge der aktuellen Migration erst seit kurzer Zeit hier leben. Sie stehen selbst auf der Bühne und erzählen, während die Monologe und Szenen, die auf den Interviews mit den älteren Geflüchteten basieren, von professionellen Schauspielern gesprochen werden. Beides verwebt Schröder mit einem Dialog mit den Zuschauern, der in einem gemeinsamen Essen endet. ⓘ
Kalte Heimat heute und morgen je weils 20 Uhr im Café Tür an Tür, Eintritt frei, Spenden erbeten; Reservierung unter 0176/77697772