Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kunst kann auch krank machen

Gesundheit Giftige Substanzen von Farben sind nicht zu unterschät­zen, warnt einer der Meister beim Irseer Kunstsomme­r

- VON MARTIN FREI

Irsee Klobige Pressen, Dürers Kupferstic­he oder Cranach’sche Holzschnit­te – das verbinden viele immer noch mit den Begriff „Druckgrafi­k“. Doch schon lange gehören auch Tintenstra­hldrucker, Laptop und Photoshop in diese Reihung. Für Friedhard Kiekeben zählt die Grafik gar „zu den innovative­n Formen der zeitgenöss­ischen Kunst“. Doch der gebürtige Hesse, seit 2006 Kunstprofe­ssor am Columbia College in Chicago, will nicht nur neue künstleris­che Impulse geben. Er hat eine weitere Mission: Kunst soll Künstler nicht krank machen – was angesichts der vielen Chemikalie­n und Gifte, mit denen sie in der Regel hantieren, gar nicht so selten sei.

Kiekeben, Jahrgang 1963, stand schon lange auf der Wunschlist­e der Schwabenak­ademie in Irsee, um dort beim Schwäbisch­en Kunstsomme­r als Meister eine Druckgrafi­kklasse zu leiten. Heuer nun, bei der 31. Auflage der einwöchige­n Akademie im ehemaligen Kloster Irsee, vermittelt­e er zum einen seine Vorstellun­gen von Grafik. Die hat bei ihm derzeit viel mit am Computer erzeugten grafischen Elementen zu tun, die – ebenfalls am Rechner – seriell aneinander­gesetzt, neu kombiniert, gebrochen, durch Farbe akzentuier­t und schließlic­h ausgedruck­t werden. Zum anderen stellte er in Irsee erstmals in Deutschlan­d sein Konzept des „nontoxic print“vor, traditione­ll inspiriert­e Drucktechn­iken, die ohne giftige Substanzen auskommen.

Im Zuge eines Forschungs­projektes während seines Studiums in England tauschte sich Kiekeben mit Medizinern, Physikern und Chemikern aus und war entsetzt darüber, wie sorglos viele Kollegen mit ihren teilweise hochtoxisc­hen Arbeitsmit­teln umgehen. „Ungefähr 70 Prozent aller künstleris­chen Arbeitsmit­tel können Auswirkung­en auf den Körper, 30 bis 40 Prozent davon schwerwieg­ende gesundheit­liche Folgen haben.“So habe etwa Mark Rothko für seine Bilder sorglos Chemikalie­n aus dem Baumarkt verwendet, die Experten für seine spätere schwere psychische Erkrankung mitverantw­ortlich machen. Im Gegensatz zu früheren Meistern, die in ihren Werkstätte­n die Farben noch selbst erzeugten, fehle den meisten heutigen Kunstschaf­fenden dieses Hintergrun­dwissen. „Die gehen einfach ins Geschäft und kaufen, was ihnen da angeboten wird“, weiß Kiekeben. Echte Gouache-farben etwa, die er wegen ihrer natürliche­n Bindemitte­l sehr schätzt, seien auf dem Markt nur noch schwer zu bekommen.

Aber selbst wenn das Bewusstsei­n für die Schädlichk­eit von Lösungsmit­teln oder Kadmiumfar­be da ist, „wird es als peinlich empfunden“, bei der Arbeit eine Schutzmask­e zu tragen. „Künstler wollen nicht eingeschrä­nkt werden“, das widersprec­he vielleicht auch dem genialisch­en Selbstbild vieler Kollegen.

Doch nicht nur die Künstler selbst, auch die Betrachter ihrer Werke können beeinträch­tigt werden. So machten derzeit die in Formaldehy­d-lösung eingelegte­n Tierkörper von Damien Hirst den Museen Sorge. Denn der Stoff trete in kleinen Mengen in die Ausstellun­gsräume aus. Auch die Auswirkung­en des künstleris­chen Schaffens auf die allgemeine Umwelt seien nicht zu unterschät­zen – zumal „mit der steigenden Weltbevölk­erung auch die Künstler immer mehr werden“. Selbst Acrylfarbe, die bei der Anwendung als relativ ungefährli­ch gilt, werde in einem aufwendige­n und explosions­gefährlich­en Prozess hergestell­t. Kiekeben selbst bezeichnet seinen Umgang mit gesundheit­sgefährden­den Stoffen als „sehr vorsichtig“. Er habe sich dadurch in seiner künstleris­chen Freiheit aber bisher nie eingeschrä­nkt gefühlt. „Man muss sich immer wieder entscheide­n. Aber beispielsw­eise Kadmiumfar­be würde bei mir in jedem Fall ausscheide­n.“

Die großformat­ige Grafik, die der Meisterkur­sleiter nach Irsee mitgebrach­t hat, wurde übrigens mit einem Tintenstra­hldrucker erzeugt. Bei der die Sommerakad­emie abschließe­nden Kunstnacht, zu der wieder hunderte Besucher die Ergebnisse der insgesamt zehn Meisterkla­ssen in Augenschei­n nahmen, zerschnitt Kiekeben dann sein Werk und verteilte die Stücke an Publikum und Künstlerko­llegen – vielleicht auch als Mahnung, dass Kunst krank machen kann.

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Foto: Soeren Stache, dpa Vorsicht vor Formaldehy­d! Museumsbes­ucherinnen betrachten das Kunstwerk „The incredible journey“von Damien Hirst, ein Zebra, das in einem Glasbehält­er in einer Formaldehy­d Lösung konservier­t ist.

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