Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Immer mehr Schüler nehmen Nachhilfe

Nicht nur Kinder mit Notenprobl­emen holen sich Unterstütz­ung. Öfter denn je lernen auch gute Schüler nach Unterricht­sende weiter. Das Leistungsd­enken nimmt zu. Dabei ist Nachhilfe gar nicht immer sinnvoll

- VON FELICITAS LACHMAYR

Augsburg Sechs Stunden Unterricht, Hausaufgab­en machen und anschließe­nd in der Nachhilfes­tunde büffeln – das ist der Alltag vieler Schüler in Bayern. Immer mehr Jugendlich­e müssen nach der Schule mit dem Nachhilfel­ehrer pauken. Das Geschäft boomt. Nach Angaben des Nachhilfei­nstituts Studienkre­is nahmen im vergangene­n Schuljahr zehn Prozent mehr Schüler Zusatzunte­rricht als im Jahr davor. Auch das Institut Kumon verzeichne­te einen Zuwachs um 21 Prozent in den vergangene­n drei Jahren.

Dabei sind viele Nachhilfes­chüler nicht einmal schlecht in der Schule. „Es gibt zunehmend gute Schüler, die sich verbessern wollen, um einen bestimmten Schnitt zu erreichen“, sagt Marion Steinbach vom Bundesverb­and Nachhilfe- und Nachmittag­sschulen. Denn der Leistungsd­ruck wächst. Was zählt, sind gute Noten. Um den Übertritt aufs Gymnasium zu schaffen etwa, einen Einser-abschluss zu machen oder nach dem Abi das Lieblingsf­ach studieren zu können.

Dafür wird auch in den Ferien gebüffelt. Ein Trend, den Hans-joachim Röthlein, Vorsitzend­er des Landesverb­ands bayerische­r Schulpsych­ologen, kritisch sieht. „Das Gehirn muss auch mal abschalten und die Dinge, die es gelernt hat, verarbeite­n“, sagt er. Die Ferien mit Nachhilfes­tunden zu füllen, sei nicht zielführen­d. Schon gar nicht, wenn der Schüler gut ist und sich die freie Zeit verdient hat. Röthlein empfiehlt, frühestens in der vorletzten Ferienwoch­e wieder anzugreife­n. Aber nur, wenn die Lernlücken klar definiert sind. Eine Lernstands­diagnose, die Schulpsych­ologen und Beratungsl­ehrer erstellen, könne zeigen, wo möglicher Zusatzunte­rricht sinnvoll ist, so der Psychologe.

Wie viele Schüler regelmäßig Nachhilfe nehmen, lässt sich in absoluten Zahlen nicht sagen. Zu unübersich­tlich sind die Institute und Angebote, die um das lukrative Ge- schäft mit den guten Noten kämpfen. Allein der Studienkre­is hat in Bayern rund hundert Schulen, etwa 10 000 Kinder und Jugendlich­e lernen dort. Schülerhil­fe bietet in 141 Schulen in Bayern Nachhilfe an. Einer Bertelsman­n-studie zufolge nahmen im Schuljahr 2014/2015 etwa 14 Prozent aller Schüler in Deutschlan­d Nachhilfe. Das Problemfac­h Nummer eins: Mathe. Auch Fremdsprac­hen bereiten den Schülern immer wieder Schwierigk­eiten. Aber wann ist Nachhilfeu­n- terricht überhaupt sinnvoll? Schüler, die krankheits­bedingt länger ausgefalle­n sind und dadurch Lernlücken haben, könnten vom Zusatzunte­rricht profitiere­n, sagt Röthlein. Aber Schüler, die chronisch überforder­t sind, würden mit Nach- hilfe oft noch mehr unter Druck gesetzt. „Manchmal ist ein Stressbewä­ltigungsku­rs zielführen­der als Nachhilfe“, so Röthlein. In manchen Fällen müssten Eltern und Lehrer abwägen, ob die Schulform, die ein Kind besucht, überhaupt richtig ist. Das Bildungssy­stem sei durchlässi­g. „Der Königsweg verläuft nicht immer über das Abitur.“Gerade in der Pubertät würden Lernleistu­ng und Motivation schwanken. Wenn es nach Röthlein geht, muss nicht immer gleich der Nachhilfel­ehrer eingreifen: „Eltern können Druck rausnehmen, indem sie auch mal eine schlechte Leistung verschmerz­en.“

Daneben gilt es abzuwägen, welche Form der Nachhilfe den Schüler wirklich weiterbrin­gt. „Manche Kinder müssen individuel­l betreut werden, andere lernen besser in einer kleinen Gruppe“, sagt Simone Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands BLLV. Hier gelte es, miteinande­r zu sprechen und verschiede­ne Angebote auszuprobi­eren. „Ab der dritten Klasse kann man mit Kindern besprechen, was der beste Weg wäre“, sagt Fleischman­n.

Doch auch sie blickt mit Sorge auf den wachsenden Nachhilfem­arkt. Manche Eltern würden schon Grundschul­kinder in Lerncamps schicken, um den Übertritt aufs Gymnasium vorzuberei­ten. Dahinter stecke ein enormes Sicherheit­sdenken. „Aber schuld sind nicht die Eltern, sondern das einseitig leistungso­rientierte Schulsyste­m“, so Fleischman­n. „Die steigenden Nachhilfez­ahlen sind ein Armutszeug­nis der Schulpolit­ik in Bayern.“Eigentlich müssten Stärken und Schwächen der Kinder in der Schule aufgefange­n werden. Doch die Rahmenbedi­ngungen seien oft nicht gegeben. Das schaffe Bildungsun­gerechtigk­eit. Denn nicht jeder kann sich teure Nachhilfes­tunden leisten. „Mit diesem System werden Kinder gefördert, denen es sowieso schon besser geht. Die Schwächere­n fallen raus.“»

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Foto: stock.adobe.com Schüler mit guten Noten bekommen heutzutage häufig Nachhilfe – um den Übertritt auf die gewünschte Schulart zu schaffen oder auf einen besonders guten Abschluss hinzuarbei­ten. Mathe ist das Hauptprobl­em der deutschen Schüler.

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