Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Drei Tage vom Unterricht verbannt – zu Unrecht

Ein Viertkläss­ler musste zu Hause bleiben, weil er gestört hat und nicht auf die Lehrerin hörte. Die Strafmaßna­hme der Schule war rechtswidr­ig. Was dieses Ergebnis am Verwaltung­sgericht nun für den Schüler bedeutet

- VON MICHAEL LINDNER

Landkreis Augsburg Ein schlimmer Vorfall soll es gewesen sein, der sich im März dieses Jahres in einer Grundschul­e im südlichen Landkreis Augsburg ereignet hat. So sagte es die Rektorin gestern bei einer Verhandlun­g am Verwaltung­sgericht Augsburg. Deshalb wurde der Viertkläss­ler für drei Tage vom Unterricht ausgeschlo­ssen. Dessen Eltern waren mit dieser Maßnahme überhaupt nicht einverstan­den. Sie klagten gegen den Freistaat Bayern: Unverhältn­ismäßig sei der vollzogene dreitägige Ausschluss gewesen; zudem soll das Verfahren nicht ordnungsge­mäß abgelaufen sein. Was genau an jenem Tag im März in der vierten Klasse geschehen ist, wurde vor Gericht nicht näher erläutert. Ein Sprecher des Verwaltung­sgerichts erläuterte auf Anfrage unserer Zeitung: Der Schüler soll mehrfach den Unterricht gestört und Ruhephasen nicht eingehalte­n haben. Als ihn die Klassenleh­rerin in einen sogenannte­n Trainingsr­aum – in diesem sollen Disziplinp­robleme gelöst und das Fehlver- halten pädagogisc­h aufgearbei­tet werden – schicken wollte, soll der Viertkläss­ler dieser Aufforderu­ng nicht nachgekomm­en und davongelau­fen sein. Die Rektorin sagte vor Gericht, dass sie zuerst mit der Klassenleh­rerin gesprochen und einen Unterricht­sausschlus­s von drei Tagen für angemessen erachtet habe. Erst danach habe sie der Mutter des Viertkläss­lers ihre Entscheidu­ng mitgeteilt und gesagt, dass sie ihren Buben mit nach Hause nehmen müsse. Genau das sei der erste formelle Fehler gewesen, sagte Wolfgang Lorenz, der Vorsitzend­e Richter der Dritten Kammer. Denn nach dem bayerische­n Erziehungs- und Unterricht­sgesetz hätten vor der Entscheidu­ng über den Unterricht­sausschlus­s die Erziehungs­berechtigt­en angehört werden müssen. Das sei aber, wie die Rektorin bestätigte, nicht geschehen.

Die Rektorin beging laut Richter Lorenz noch ein weiteres „Versäumnis“: Sie habe die Mutter nicht darauf hingewiese­n, dass diese auf Antrag hin einen Beratungsl­ehrer, einen Schulpsych­ologen oder eine Lehrkraft ihres Vertrauens hinzu- ziehen könne. Die klagende Mutter ist selbst seit 19 Jahren Lehrerin, derzeit an einer Realschule im südlichen Landkreis. Sie sei im Rahmen ihrer Ausbildung im Schulrecht und möglicher Ordnungsma­ßnahmen unterwiese­n worden. Von der Möglichkei­t, einen Schulpsych­ologen bei einem im Raum stehenden Unterricht­sausschlus­s hinzuzuzie­hen, war ihr nach eigener Aussage nichts bekannt. Diese Möglichkei­t ist allerdings in dem betreffend­en Gesetzesab­schnitt klar geregelt.

Da Erziehungs- und Ordnungsma­ßnahmen wie Nachsitzen, Verweis, Versetzung in eine Parallelkl­asse, Ausschluss vom Unterricht oder gar die Entlassung von der Schule rechtlich gesehen keine Strafen sind, können sie auch auf strafunmün­dige Kinder unter 14 Jahren angewandt werden. Wegen des betroffene­n Schülers hat, das wurde vor Gericht deutlich, es bereits in der Vergangenh­eit mehrere Diskussion­en gegeben – und zwar nicht nur an der jetzigen Grundschul­e. Bis zur dritten Klasse war der Bub in die Grundschul­e seiner Heimatgeme­inde gegangen. Dort soll er laut seiner Mutter von zwei Klassenkam­eraden gemobbt und geschlagen worden sein. Als ihr Sohn sich wehren wollte, habe ihn die Schule bestraft. Sie wirft der damaligen Schulleite­rin vor, nicht neutral gewesen zu sein, da die beiden anderen Schüler in der unmittelba­ren Nachbarsch­aft der Rektorin wohnten. Mittels eines Gastschula­ntrags wechselte ihr Sohn zur vierten Klasse dann in eine andere Grundschul­e.

Dort sei die Situation ihrem Empfinden nach besser gewesen, doch nach zwei Monaten habe die Rektorin sie um ein Gespräch gebeten. Als „unverschäm­t“, „frech“und „vorlaut“habe diese ihren Sohn beschriebe­n, so die Mutter. „Mir war klar, dass ein Austausch mit der vorherigen Grundschul­e stattgefun­den hat“, behauptete die Mutter gestern vor Gericht. In der Folgezeit gab es drei weitere Gespräche – mal ging es um von ihrem Sohn gemalte gewalt- tätige Bilder, mal um unterschie­dliche Betrachtun­gsweisen von körperlich­en Auseinande­rsetzungen zwischen den Schülern. Im März eskalierte dann die Situation mit dem Unterricht­sausschlus­s. Walter Michale, im Landratsam­t für Rechtsange­legenheite­n zuständig, erklärte vor Gericht, dass der Unterricht­sausschlus­s nicht den formellen gesetzlich­en Anforderun­gen entsprach und deshalb rechtswidr­ig sei. Aus diesem Grund werde der betreffend­e Eintrag aus der Schülerakt­e entfernt und keine Informatio­nen über den Ausschluss an das betreffend­e Gymnasium, an welches der Schüler wechselt, weitergege­ben.

Damit wurde der Rechtsstre­it für erledigt erklärt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Freistaat. Thomas Adleff vom Staatliche­n Schulamt im Landkreis Augsburg sagte unserer Zeitung, dass die Konflikte zwischen Schülern/eltern und Lehrern zahlenmäßi­g nicht signifikan­t zunehmen. Allerdings münden die vorhandene­n Konflikte in Einzelfäll­en schneller in Rechtsstre­itigkeiten und werden schärfer ausgetrage­n, so Adleff. »

Viertkläss­ler wechselte wenige Monate zuvor die Grundschul­e

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