Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die beste Absicht schlägt früher oder später in Gewalt um

Landesbisc­höfin Ilse Junkermann warnt vor naivem Umgang mit Idealen und schlägt eine Alternativ­e vor

- VON ALOIS KNOLLER

Was wäre, wenn alle Menschen einander wohlwollen, frei von Lasten der Vergangenh­eit, ohne Weinen und Wehklagen, sondern nur noch in Freude? Landesbisc­höfin Ilse Junkermann griff die biblische Vision in ihrer Predigt zum Hohen Friedensfe­st in der voll besetzten Basilika St. Ulrich und Afra auf. Fast zu schön, um wahr zu werden, sei dies – fantastisc­h und utopisch …

Und doch erfülle die Vorstellun­g unser Herz, unser Denken und unser Sprechen. Natürlich: Sie liege im Streit mit dem Faktischen. „Die Menschen, sie sind nicht ideal, nicht ohne Fehl und Tadel, ohne Gier, Neid und Eigennutz, nicht ohne Lust an Gewalt und an Herrschaft über andere und Ausbeutung“, beschrieb Junkermann die Realität.

Und noch eine Falle lauert auf die Idealisten: „Wer mit bester Absicht Ideale in Wirklichke­it umsetzen will, greift früher oder später zu Gewalt“, so die Predigerin aus Magdeburg. Alle Religionsk­riege bis hin zum fundamenta­listischen Terror seien von der besten Absicht für die Wahrheit geprägt. Doch dabei wer- de das Ideal über die Menschen gestellt. Junkermann riet, skeptisch zu sein gegenüber den Idealen, die uns Populisten vorgaukeln, ebenso wie gegenüber unverhohle­nem Eigennutz, „wie er als Politik über den Großen Teich zu uns schwappt“.

Doch auch der eigenen Gesellscha­ft redete die Landesbisc­höfin ins Gewissen, weil sie zuerst an der Rendite, am Reichtum hängt „und nicht an einem Wirtschaft­en, das den Menschen dient und dem Lebensraum für alle“. Zerstörung­skraft stecke darin, die hohe Kosten und übergroße Opfer fordert.

Als Alternativ­e schlug Junkermann „Vertrauen auf Gottes Kraft“vor. Es verschaffe den weiten Blick auf einen festen Punkt, den die Menschen brauchen, um den Drahtseila­kt zwischen kläglicher Realität und hoffnungsf­roher Utopie zu bestehen. Ohne in lähmende Resignatio­n oder in eigennützi­gen Pragmatism­us abzustürze­n.

Die Zuhörer, darunter auch die Mitglieder am Runden Tisch der Religionen aus Islam, Judentum und Buddhismus, quittierte­n die Predigt in dem ökumenisch­en Festgottes­dienst mit starkem Beifall. Pfarrer Frank Kreiselmei­er von evang. St. Ulrich erinnerte an die Ursprünge des Fests im Jahr 1650: „Die Protestant­en hatten immer Hoffnung, dass Gott Frieden schenkt und Gerechtigk­eit wiederhers­tellt.“Diktiert von den katholisch­en Kaiserlich­en durften sie ab 1635 im Dreißigjäh­rigen Krieg 14 Jahre lang ihre Kirchen nicht benutzen und mussten Gottesdien­st unter freiem Himmel halten. 2018 wurde in der Basilika nicht nur die Hoffnung auf wachsende ökumenisch­e Übereinsti­mmung laut, sondern auch auf Frieden aller Nationen und Religionen.

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