Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie sieht Bayern in 100 Jahren aus?

Sozialwiss­enschaftle­r Wolfgang Gründinger wagt einen Blick in die Zukunft und ist überzeugt davon: Skifahren werden wir hier nicht mehr, aber viele Sprachen sprechen. Und die Demokratie ist in Gefahr

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Herr Gründinger, Sie sind Demokratie­forscher und beschäftig­en sich mit Zukunftsfr­agen. Schon jetzt leben viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Bayern. Wird es den Ur-bayern in 100 Jahren überhaupt noch geben?

Da würde ich mir keine Sorgen machen. Den wird es sicher noch geben. Aber er wird anders aussehen.

Gründinger: Wenn ich das wüsste! Er wird vermutlich immer noch die Berge lieben. Aber Schnee wird es in Bayern keinen mehr geben aufgrund des Klimawande­ls. Daher werden die Menschen in Bayern mehr wandern als Ski fahren. Und sie werden viele Sprachen sprechen – einschließ­lich eines seltsamen bayerische­n Dialekts, der vielen deutschen und europäisch­en Mitbürgern komisch vorkommen wird. Wahrschein­lich wird es weniger Trachtenve­reine als heute geben, denn die Brauchtums­pflege wird abnehmen. Aber lassen Sie mich kurz etwas Grundsätzl­iches zu diesen Spekulatio­nen sagen: Niemand kann wissen, was in Zukunft sein wird, keiner kann die Zukunft vorhersage­n.

Aber es ist spannend zu spekuliere­n.

Das stimmt. Und man kann einiges über die Zukunft vermuten, weil wir viel über die Gegenwart wissen und auf Grundlage dieses Wissens Annahmen treffen können. Das heißt aber, es gibt nie die eine Zukunft, sondern viele Zukünfte. Wenn ich die eine Zukunft nicht will, kann ich viel dafür tun, dass sie nicht kommt.

Was muss getan werden, damit die Menschen in Bayern in 100 Jahren noch gut leben können?

Wir müssen zu einer Debatte um die wirklichen Zukunftsth­emen zurückkehr­en. Das heißt, wir müssen uns beispielsw­eise vor allem um Kinder kümmern, die in Armut aufwachsen. Bildung ist ein zentrales Thema. Die Kinder müssen das lernen, was sie wirklich wissen müssen. Sie müssen also etwa im vernetzten Denken geschult werden, in kritischer Medienbild­ung, damit sie sich im digitalen Raum bewegen können. Der Klimawande­l ist ein zentrales Thema und natürlich muss Wohnen bezahlbar bleiben. Stichwort Wohnen: Wie werden wir in Bayern in 100 Jahren wohnen?

Ein Szenario ist, dass sich das Wohnen in Städten nur die Reichen leisten können. Ärmere Bevölkerun­gsschichte­n werden aus den Städten verdrängt und müssen in Armenviert­eln an den Stadtrände­rn leben. Sie werden keine Möglichkei­ten zum Aufstieg haben. Diese Mischung, die wir heute erleben, dass Ärmere und Reichere in einem Stadtviert­el zusammenle­ben, wird es also nicht mehr geben.

Wie sieht die Mobilität in 100 Jahren aus – brauchen wir noch Autobahnen?

Wir werden privat kein Auto mehr besitzen. Autos im Privat- gebrauch werden so selten sein wie heute Oldtimer. Wozu auch? Es wird selbstfahr­ende Sammeltaxi­s geben, die uns jederzeit abholen und dorthin fahren, wo wir möchten. Diese Fahrzeuge werden elektrisch­e Antriebe haben; der Verbrennun­gsmotor hat längst ausgedient. All der Platz, den jetzt die vielen geparkten Autos benötigen, die ja zu über 90 Prozent nur herumstehe­n, wird endlich frei sein.

Städte werden verändern?

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Ja. Sie werden grüner, die Luft wird sauberer, es wird viel mehr Platz geben. An diesem Punkt bin ich wirklich positiv gestimmt. Aber die Städte werden sich ja nur noch reiche Menschen leisten können ... Gründinger: Ja, das ist kein unrealisti­sches Szenario.

Wie sieht es auf dem Land aus – kommt es zu einer Revitalisi­erung der Dörfer? Gründinger: Das könnte aufgrund der steigenden Immobilien- und Mietpreise in den Städten durchaus sein. Hier kann auch die Digitalisi­erung viel Positives bewirken. Denn in Zukunft ist ja kein Lebensmitt­elgeschäft, keine Apotheke mehr vor Ort dringend nötig, um eine Versorgung aufrechtzu­erhalten. Per Internet kann alles gebracht werden, man muss es nur sinnvoll logistisch organisier­en. Auch kann sich die Sharing Economy, also der Trend, nicht mehr Dinge zu besitzen, sondern miteinande­r zu teilen, verstärken.

Aber es verändert sich auch die Arbeit durch die Digitalisi­erung grundlegen­d.

Ja, in jedem Fall. Noch vor zehn Jahren waren sich Experten einig, dass Lkw-fahrer einen Beruf haben, der digitalisi­erungsresi­stent ist. Heute weiß man, dass gerade Lkw-fahrer zwar nicht komplett zu ersetzen sind, dass aber das autonome Fahren sich gerade hier gut einsetzen lässt. Das heißt, die Zahl der Lkw-fahrer wird sich drastisch verringern. Ebenso werden sich viele Berufe verändern – wie etwa der des Journalist­en, des Anwalts. Andere wiederum werden vielleicht wichtiger: Pflegekräf­te, Erzieher, denn sie sind wirklich nicht durch Roboter zu ersetzen.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf die politische Landschaft der Zukunft werfen – leben wir in 100 Jahren noch in einer Demokratie?

Sicher ist das nicht. Denn an andere politische Strukturen gewöhnen sich die Menschen Stück für Stück, und bis man sich verguckt, ist der Prozess hin zu einem autoritäre­n Staat weiter als gedacht.

Bayern steht vor der Wahl. Die AFD wird immer stärker. Wie weit sind wir in dem Prozess hin zu einem autoritäre­n Staat?

Die AFD ist eine rechtsextr­eme Partei. Ihr Ziel ist es, die freiheitli­che Demokratie abzuschaff­en. Kommt sie an die Macht, müssen etliche aus Bayern auswandern – alle politische­n Gegner.

heißt, Sie halten es für möglich, sich Geschichte und der Aufstieg rechtsradi­kalen Partei wiederholt?

Davor sind wir nie das kann immer passieren.

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Wie gefährdet sind die demokratis­chen Strukturen in Bayern?

Allein, wenn man beobachtet, wie sich die Wortwahl in der politische­n Diskussion in den vergangene­n Jahren verändert hat, dann wächst die Gefahr in Bayern durchaus. Die demokratis­che, zivilisato­rische Decke ist sehr viel dünner geworden.

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Fehlt eines Tages der Schnee auf Bayerns Bergen, wird Wandern stärker denn je angesagt sein. Aber auch in den Städten wird es grüner, ist sich Demokratie­forscher Gründinger sicher, weil die Menschen Sammeltaxi­s nehmen. Ärmere Menschen könnten sich aber vermutlich das Leben in den Städten nicht mehr leisten.
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Fotos: Hoppe, Kneffel, Charisius, Weigel, dpa und David Ausserhofe­r
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