Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die „Deutschstunde“ist wieder aktuell
Sein größter Bucherfolg kommt heute neu heraus – und im kommenden Jahr auch ins Kino
Hamburg/london Die „Deutschstunde“, der größte literarische Erfolg von Siegfried Lenz (1926 – 2014) erschien vor 50 Jahren: Guter Anlass für den Verlag Hoffmann und Campe, eine besonders gestaltete Jubiläumsausgabe herauszugeben. Der Erstverkaufstag ist heute. Und der Erfolgsregisseur Christian Schwochow („Bad Banks“) hat auch eine Neuverfilmung des Buches gedreht. Sie wird 2019 ins Kino kommen und danach im gezeigt.
„Ich glaube, dass der Roman seine Wirkkraft mit historischer Distanz noch verstärkt, weil uns ja kaum was übrig bleibt, als uns über Erzählungen, Geschichten, über Romane auch mit unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen“, sagt Günter Berg, der Siegfried Lenz sehr gut kannte, Verleger bei Hoffmann und Campe war und den Kommentarband zur Werkausgabe der „Deutschstunde“verfasste. „Wenn es immer schwieriger wird, jungen Leuten die Zwänge und die Situation der Vorkriegs- und Kriegszeit zu erklären, dann ist die ,Deutschstunde‘ als ein Pflichterfüllungsroman immer noch fast unschlagbar“, sagt Berg, der auch Vorstand der Siegfried Lenz Stiftung ist.
Rückblende: 1968, die Studentenproteste sind auf dem Höhepunkt. Autoritäten werden infrage gestellt. Die junge Generation prangert das Schweigen der Väter über die Ns-zeit an und fordert eine Aufarbeitung der deutschen Geschichte. In diesem Umfeld erscheint Lenz’ „Deutschstunde“. Es ist die Geschichte des jungen Siggi Jepsen, der in einer Jugendstrafanstalt einen Aufsatz „Über die Freuden der Pflicht“schreiben soll. In einer Arrestzelle schreibt er sich die Seele frei: Über seinen Ns-verblendeten Vater, der als Polizist an der deutsch-dänischen Grenze ein Malverbot gegen einen befreundeten Künstler durchsetzen will – und dabei noch auf das Denunzieren des Sohnes hofft, der bei dem Maler wie zu Hause ist.
Lenz hält mit seinem Roman der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor. Es geht um Vergangenheitsbewältigung, aber auch um einen Vater-sohn-konflikt, dazu um das Verhältnis von Kunst und Macht. Der Roman wurde auf Anhieb ein Bestseller. Inzwischen sind laut Verlag gut 2,2 Millionen Exemplare verkauft – in mehr als 20 Sprachen.
Drei Jahre nach dem Erscheinen verfilmte der renommierte Regisseur Peter Beauvais den Roman als Tv-zweiteiler für die Jetzt ist Christian Schwochow, 39, das Wagnis einer Neuverfilmung eingegangen. Schon lange hatte er die Idee: „Ich war gerade am Ende meiner Zeit an der Filmhochschule und habe gedacht: Das wäre ein Stoff, der mich für eine Verfilmung interessieren würde.“Schwochow schwebte ein Film vor über den Zweiten Weltkrieg und die Frage nach falsch verstandener Pflichterfüllung, „die wie ein Gift unter das deutsche Volk gebracht wurde. Ein Film mit ganz außergewöhnlichen Figuren, Situationen und Bildern über die Schrecken des Krieges ohne Kriegsbilder, wie wir sie üblicherweise kennen.“
Es sollte noch Jahre dauern, bis sich die Chance zur Neuverfilmung für Schwochow tatsächlich ergab. Heute sagt er: Der Stoff sei das, „was mich interessiert in einer Zeit, in der Widerstand fehlt – in Deutschland, in Europa, überall in der Welt.“Er spricht von einer „rechten Revolution, die längst politischer Mainstream ist. Wir sind in einer Art Koma gefangen, es passiert ganz wenig Gegenwehr. Und deswegen hat mich diese Geschichte umso mehr interessiert, diese Geschichte eines Jungen, der in den Widerstand geht. Wir sind der Vorlage sehr treu geblieben, aber wir versuchen, den Roman aus einer heutigen Sicht zu interpretieren.“
Günter Berg und Christian Schwochow halten es für angemessen, wenn die „Deutschstunde“in den Schulen wieder öfter gelesen würde – auch wenn dort Bücher mit mehreren hundert Seiten kaum mehr Chancen hätten. Berg betont: „Für das Verständnis der Deutschen auch gegenüber der Naziherrschaft ist die ,Deutschstunde‘ neben der ,Blechtrommel‘ von Grass der wichtigste Roman der Nachkriegszeit gewesen.“