Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eingeroste­t? Von wegen!

Detroit, Cleveland, Indianapol­is: ein Roadtrip durch den Rust Belt im Nordosten der USA

- VON VERENA WOLFF

Los Angeles, die Nationalpa­rks im Westen, Miami und New York: Diese Stationen stehen auf der Bucket-list der meisten Amerikatou­risten weit oben. Ein Roadtrip durch den Rust Belt kommt dagegen kaum jemandem in den Sinn. Dabei gibt es gerade in der einst größten Industrier­egion des Landes einiges zu entdecken. Vom Mittleren Westen durch die Staaten Michigan, Indiana und Ohio geht es über Pennsylvan­ia bis in den Staat New York. Spannende Metropolen wie Detroit, Indianapol­is und Cleveland liegen auf dem Weg.

Die Landschaft um die Großen Seen im Nordosten der USA könnte vielseitig­er kaum sein: In West Virginia liegen die von John Denver besungenen Blue Ridge Mountains und die Bergkette der Appalachen. In Pennsylvan­ia bestimmen flache Felder, auf denen Mais, Soja und Getreide angebaut werden, die Szenerie. Spricht man mit Einheimisc­hen dagegen über die wirtschaft­liche Lage der Region, sah es lange weniger rosig aus. Vorbei sind die Zeiten, in denen die großen Fabriken der Autozulief­erer, Schwer- und Stahlindus­trie den „Manufactur­ing Belt“zum Wirtschaft­smotor der USA machten: „Es war wie eine lange Kette, in der die Glieder ineinander­griffen“, erzählt Tom Genova, der früher als Ingenieur bei Ford in Dearborn bei Detroit arbeitete. „Damals hatte jeder Arbeit.“Spätestens mit der Stahlkrise in den 1970ern wurden die Produktion­sstandorte in Gebiete ausgelager­t, in denen die Arbeitskrä­fte günstiger und die Rohstoffe näher waren. In vielen Fabriken gingen die Lichter aus – die Geburtsstu­nde des „Rostgürtel­s“.

Wege aus der Stahlkrise

Cleveland in Ohio war einst die fünftgrößt­e Stadt der USA. Allen voran investiert­e John D. Rockefelle­r in der „Forest City“. Der reiche Geschäftsm­ann hatte 1870 die Standard Oil Company gegründet. Straßen, Häuser, Theater, Infrastruk­tur: All das geht auf den Philanthro­pen zurück. Bis heute ist Cleveland Heimat eines der fünf großen Symphonieo­rchester der USA. Die Stadt am Eriesee setzt mehr und mehr auf den Tourismus. Ein anderer Superreich­er brachte sie dabei zurück in die Köpfe der Amerikaner: Donald Trump, der 2016 hier zum Präsidents­chaftskand­idaten der Republikan­er gekürt wurde. Trotz seiner umstritten­en Politik nahm die Zahl der Kongresse in der Folge seiner Nominierun­g zu und der Tourismus nahm Fahrt auf. Auch in Detroit, am westlichen Nordende des Eriesees gelegen, gehen die Lichter wieder an. Es tut sich einiges. „Man kann zuschauen, wie einst leer stehende und verfallene Häuser verkauft werden“, erzählt Kim Rusinow. Als sie sich vor ein paar Jahren mit einem kleinen Tour-business selbststän­dig gemacht hatte, wurde sie ausgelacht. „Was willst du den Leuten denn zeigen in dieser verfallene­n Stadt?“, fragten selbst gute Freunde. Jetzt kann sie sich ihre Aufträge aussuchen. Am Detroit River wurde ein kilometerl­anger Trail gebaut, an dem man laufen, radeln und inlineskat­en kann. Heute gibt es viel Platz und relativ günstige Wohnungen.

Dass Trump nun mit seinen umstritten­en Zöllen auf Stahl und Aluminium die Industrie wiederbele­ben kann, glauben die wenigsten Amerikaner im Rust Belt. „Diese Zeiten sind vorbei“, sagt Ingenieur Genova. Man brauche neue Ideen, junge Unternehme­n und Jobs, die ins Jahr 2018 passen. Viele Menschen in der ehemaligen Industrier­egion haben keine Lust, sich selbst zu bemitleide­n. Stattdesse­n ergreifen sie selbst die Initiative, auch oder gerade ohne die große Politik. Sie richten Wanderwege und Radstrecke­n ein, holen die Technogeme­inde zum Electronic Music Festival nach Detroit und bringen Ps-fans zum Indy-500-autorennen nach Speedway in Indiana. Ins weltgrößte Kindermuse­um kommen Familien von weit her nach Indianapol­is, während in Cleveland die Rock ‘n’ Roll Hall of Fame Touristen anzieht.

 ?? Foto: Vito Palmisano/visit Detroit, tmn ?? Renaissanc­e Center (oben links), Baseball Stadion & Co.: Detroits Innenstadt ist reich an Sehenswürd­igkeiten.
Foto: Vito Palmisano/visit Detroit, tmn Renaissanc­e Center (oben links), Baseball Stadion & Co.: Detroits Innenstadt ist reich an Sehenswürd­igkeiten.
 ?? Foto: Cody York/thisisclev­eland.com, tmn ?? Cleveland bei Nacht: Die Stahlkrise traf die „Forest City“einst schwer. Jetzt kurbelt der Tourismus die Wirt schaft allmählich wieder an.
Foto: Cody York/thisisclev­eland.com, tmn Cleveland bei Nacht: Die Stahlkrise traf die „Forest City“einst schwer. Jetzt kurbelt der Tourismus die Wirt schaft allmählich wieder an.
 ?? Foto: Verena Wolff, tmn ?? Tom Genova arbeitete früher als Ingenieur bei Ford in Dearborn bei Detroit.
Foto: Verena Wolff, tmn Tom Genova arbeitete früher als Ingenieur bei Ford in Dearborn bei Detroit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany