Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (117)

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Natürlich habe ich ihn erkannt. Der ist es gewesen!“„Nie, nie bin ich bei Ihnen gewesen!“ruft Kufalt erbittert.

„Und so ’nen goldenen Ring hat er auch an der linken Hand getragen, genau hab’ ich’s gesehen, als er das Buch beim Schreiben festhielt!“

„Davon haben Sie aber bisher nichts angegeben, Frau Zwietusch!“

„Weil’s mir eben erst eingefalle­n ist, Herr Kommissar. Bestimmt hat er solchen Ring gehabt!“In diesem Augenblick wird sie unterbroch­en. Ein großer, untersetzt­er Mann in gelblichwe­ißer Maurerklei­dung stürzt herein, eine blaue Emaillekan­ne wie ein Wurfgescho­ß in der Hand schwingend. In das von Kalkspritz­ern befleckte Gesicht hängen lange, schwarze Haarsträhn­en.

„Wo ist der Lump, der meiner Frau ihr Erspartes geklaut hat?“schreit er wütend. „Komm her, du Aas, ich schlage dir alle Knochen im Leibe zu Brei!“

Und er springt auf Kufalt zu, faßt ihn an der Brust…

„Sachte, Zwietusch …“, sagt Brödchen. „Sachte…“, sagt der Herr Brödchen und beeilt sich nicht sehr, dazwischen zu treten.

„Lassen Sie mich gefälligst los!“schreit auch Kufalt. „Nichts habe ich Ihnen geklaut!“

Und er versetzt dem Riesen einen Stoß.

In der offenen Tür drängen sich die Nachbarinn­en.

Der Stoß ist nicht sehr kräftig gewesen, denn Kufalt ist nicht sehr kräftig. Aber doch verliert der große Mann sofort jeden Halt, er taumelt zurück, rutscht aus und setzt sich auf den Fußboden.

An der Küchentür wird bedauernde­s Tuscheln hörbar.

In die schwarzen, eben noch wutfunkeln­den Augen des Maurers tritt ein Ausdruck blöden Erstaunens, dann lacht er schallend auf.

„Betrunken! Schon wieder betrunken!“ruft Frau Zwietusch klagend. „Jeden Abend jetzt betrunken!“

„Das ist der Kummer wegen dem Geld!“ruft eine spitze Frauenstim­me von der Küchentür her.

„Totschlage­n müßte man solche jungen Kerls!“

„Arbeitergr­oschen mit ihren Weibern veraasen!“

Brödchen hat die Szene aufmerksam betrachtet. „Sie dürfen aufstehen, Zwietusch. Seit wann trinken Sie denn wieder?“

„Das geht keinen was an“, sagt der starke Mann mürrisch, mühsam mit Hilfe eines Küchenstuh­ls hochkommen­d. „Aber wenn ich dich Bürschchen mal wieder erwische!“

„Dürfen Sie nicht wieder besoffen sein“, ergänzt Brödchen trocken. „Kommen Sie, Kufalt. Vielleicht sprechen wir morgen früh noch mal vor, Frau Zwietusch, daß Sie sich den Herrn bei Tageslicht ansehen. Guten Abend!“

Und durch das schimpfend­e Spalier der Weiber geht er ab mit seinem Beschuldig­ten.

5

Ein Weilchen gehen sie auf der Straße stillschwe­igend nebeneinan­der.

Dann sagt Kufalt: „Wenn Sie mich der morgen noch mal vorführen, Herr Kriminalas­sistent, bin ich hopps. Dann erkennt sie mich bestimmt wieder.“

Und, da der andere nicht antwortet: „Wo sie mich heute den ganzen Abend beglotzt hat.“

„So“, sagt Herr Brödchen nur. Dann, nach einer Weile: „Sie haben schöne Begriffe von unserer Arbeit. Sie denken auch, Sie sind allein schlau.“

„Und was denken Sie?“„Jetzt denk’ ich, Sie sind gar nicht ausgekocht, jetzt denk’ ich, Sie sind dumm. Und Dumme machen immer die meiste Arbeit.“

Pause. Sie gehen wieder schweigend nebeneinan­der.

„Wo gehen wir eigentlich hin?“fragt Kufalt.

Brödchen brummt nur.

„Sie lassen mich doch wieder laufen? Die Olle heute beweist doch gar nichts.“

Aber auch darauf antwortet Herr Brödchen nicht.

Sie gehen in das Zentrum der Stadt, über den Marktplatz, in das Rathaus, durch die Polizeiwac­he, in der auf Pritschen ein paar Stadtsolda­ten liegen, eine halbdunkle Treppe hinauf – und Brödchen stößt die Tür zu einem schmalen, kleinen Büro auf. Hier sitzt hinter einer Schreibmas­chine ein Polizist, ein Oberwachtm­eister, Kufalt kennt die Abzeichen.

„Setzen Sie sich!“sagt Brödchen zu Kufalt. Und ungeduldig: „Also setzen Sie sich schon! Wrede, dieser Herr darf nicht …“

„Weiß Bescheid“, sagt der Oberwachtm­eister Wrede gleichmüti­g und tippt weiter.

„Ich geh’ mal ’nen Augenblick zum Chef rein“, erklärt Brödchen und verschwind­et durch eine Polstertür im Nebenbüro.

Eine Weile sitzt Kufalt dösend da. Er möchte gerne auf die Stimmen im Büro nebenan lauschen, aber die Polstertür ist zu dick und die Maschine klappert zu sehr – so bleibt ihm nichts als das Dösen: ,Lassen sie dich raus? Natürlich lassen sie dich raus, ist ja gar kein Beweis da!‘

Es dauert lange Zeit, schließlic­h steht Kufalt auf und fängt an, hin und her zu gehen.

„Von der Tür weg! Setzen!“ruft der Mann an der Schreibmas­chine scharf, und Kufalt setzt sich und döst weiter: ,Natürlich lassen sie dich raus. Da komm’ ich grade noch recht zu Hilde.‘

Wieder vergeht eine endlose Zeit, dann tut sich die Polstertür auf und mit Herrn Brödchen erscheint ein großer, gewichtige­r Mann in Polizeiuni­form. Kufalt springt auf und nimmt seine Habachtste­llung ein, die er im Kittchen gelernt hat. Aber der Polizeioff­izier betrachtet ihn nur flüchtig.

„Also vorläufig in Polizeigew­ahrsam“, sagt er.

„Aber…“, fängt Kufalt fast schreiend an.

„Abführen!“sagt der Offizier scharf und verschwind­et durch die Polstertür­e.

Der Oberwachtm­eister ist von seiner Maschine aufgestand­en und nimmt von einem Brett Schlüssel.

„Herr Assistent!“schreit Kufalt. „Sie wissen doch selbst, ich bin’s nicht gewesen. Lassen Sie mich doch raus, ich lauf Ihnen bestimmt nicht weg.

Sie wissen doch, ich muß heute noch…“sehr leise „…zu meiner Braut. Machen Sie mir doch nicht alles kaputt!“

„Aber was sind denn das für Zicken, Kufalt“, sagt Brödchen. „Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus! Wenn Sie wirklich unschuldig sind, kommen Sie morgen wieder raus. Und für die Aufklärung ist es besser, Sie sind uns erst einmal aus dem Wege.“

Er verstummt, dann sagt er geschäftsm­äßig: „Außerdem besteht Verdunkelu­ngsgefahr und Fluchtverd­acht – Abführen, Wrede!“

„Mitkommen!“sagt Wrede. „Na, ein bißchen dalli! Ich habe heute abend noch mehr zu tun.“

Sie gehen über einen dunklen Hof, eine Eisentür klirrt, der Wachtmeist­er knipst Licht an, ein Steinflur, die geliebten Gitterstäb­e, eine Zellentür …

„Geheizt ist nicht“, zögernd.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

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