Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn Brecht auf Wedekind trifft
Dirk Heißerer spannt einen literarischen Jahrhundertbogen. Es geht dabei auch um Gruselgestalten wie den Frauenmörder Jack the Ripper
Ja, so ist er, der Münchner Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer, der als Brecht-affiner „Drei Königinnen-gast“nicht aus der Literatur im Biergarten wegzudenken ist. 2018 war diese Verkuppelung zwingend notwendig, häufen sich doch die Gedenktage zu den großen Dichtern des 19. und 20. Jahrhunderts, als da sind Frank Wedekind und Bertolt Brecht.
Der dank weißer Schiebermütze optisch leuchtende Heißerer lieferte den Gästen die entsprechenden Eckdaten, dazu gehören der 100. Todestag des 1918 gestorbenen Frank Wedekind, und der 31. August 1928, wenn sich zum 90. Mal die Uraufführung der „Dreigroschenoper“in Berlin jährt. Augsburg anno 1918 und 1928 literarisch betrachtet eine eher marginale Rolle. Also muss man im Biergarten den Blick ein wenig in die Ferne richten: zu Bertolt Brecht und dessen Vorbild Frank Wedekind. Dirk Heißerer nahm beide unter die kritische Lupe, wofür ihm nach der Lesung einer der Besucher wie schon in vergangenen Jahren zuflüstern konnte: „Das hab’ ich alles noch gar nicht gewusst!“
Nun, was Heißerer mitgebracht hatte, war gar nicht so unbekannt, dafür aber – vor der Pause – umso gruseliger, zumindest was das Wedekind-drama „Lulu“und den darin auftretenden Massenmörder „Jack the Ripper“betraf. Inspirieren ließ sich BB auch aus dem, wie Heißerer es formulierte, „wedekindischen“und lustvoll-erotisch wi- der den Moral-stachel löckenden „Frühlingserwachen – Eine Kindertragödie“. Wedekind hatte dieses gesellschaftskritische Stück bereits 1891 veröffentlicht, doch die Zensur verhinderte bis 1906 die Uraufführung an den Berliner Kammerspielen unter der Regie des legendären Max Reinhardt.
Wedekind hatte eine dichterische Zuneigung zu Schurken, und sein „Tantenmörder“war um viele Grade perfider als zum Beispiel Brechts mitleidserregende Ballade „Apfelböck oder die Lilie auf dem Felde“. Das vom „Tantenmörder“bereits geschockte Publikum entflammte in den Vortragspausen für die musikalische Untermalung von Bassist Joseph Haderer und Pianist Tom Jahn, die eine dichte Atmosphäre verbreiteten und Dirk Heißerer sospielte gar zum Rap-ähnlichen Rezitieren ermutigten. Nicht aber – und das war schade – zum Mitsingen des Publikums bei Dreigroschenopersongs, in die 90 Prozent der Biergartenbesucher hätten einstimmen können.
Trotz Heißerers ein wenig zu humoristisch-theatralisch vorgetragener „Mörderballaden“bis hin zum Ablenker von Bertolt Brechts „Sentimentales Lied 78“(1920) war es in den „Drei Königinnen“schummrig-schwül.
Nach der Pause die Wende zum Heiteren mit dem Verlesen diverser Regieanweisungen für die Uraufführung der „Dreigroschenoper“, eingeleitet durch „Denn der Haifisch, der hat Zähne“und vollendet mit der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“.