Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Andrea Nahles – eine Stütze für Erdogan

Debatte Spd-chefin fordert, der Türkei zu helfen – unabhängig vom politische­n Streit. Doch den Despoten vom Bosporus auch noch zu päppeln, wäre grundfalsc­h

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Soll Deutschlan­d der Türkei, die in einer tiefen Wirtschaft­skrise steckt, aus der Patsche helfen? Und zwar unabhängig von politische­n Auseinande­rsetzungen mit Präsident Erdogan? Andrea Nahles denkt jedenfalls laut darüber nach. Doch damit hat sich die Spd-chefin und Fraktionsv­orsitzende mächtig vergaloppi­ert. Mit deutschen Steuermill­iarden, und derer viele würde es bedürfen, einen Despoten stützen, der den Schlamasse­l durch seine haarsträub­ende Politik selbst verursacht hat? Das wäre mehr als töricht.

Dabei gehen die Überlegung­en der obersten Sozialdemo­kratin durchaus von richtigen Voraussetz­ungen aus. Die Türkei ist und bleibt im Grundsatz ein wichtiger Partner für Deutschlan­d, nicht nur militärisc­h, wirtschaft­lich oder in der Flüchtling­spolitik. Das deutsche Verhältnis zur Türkei ist vor allem wegen der Millionen türkischst­ämmiger Menschen, die in der Bundesrepu­blik leben, ob mit deutschem, türkischem oder Doppel-pass, ein ganz besonderes. Niemals kann und darf das Schicksal der Türkei den Deutschen egal sein.

Doch die Freundscha­ft ist massiv gestört, seit der türkische Präsident Erdogan das Land am Bosporus immer weiter in Richtung Diktatur führt. Und damit näher und näher an den Abgrund. Einen gescheiter­ten Putschvers­uch hat Erdogan für einen gewaltigen Feldzug gegen alle im Land genutzt, die er als Gegner betrachtet. Menschenre­chte zählen nicht mehr viel. Und auch im Ausland wittert er überall Feinde. Mit zynischen Nazi-vergleiche­n etwa schmähte er deutsche Spitzenpol­itiker. Erst vor gut einem Jahr hat der damalige Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel, der – manche werden sich erinnern – auch einmal Spd-vorsitzend­er war, empört verkündet, dass die Bundesregi­erung nun die Faxen dicke hat, und die Reisehinwe­ise für Türkei-urlauber verschärft. Selbst Touristen könnten Opfer der Willkür des Erdoganreg­imes werden, die Türkei versuche, jede kritische Stimme zum Schweigen zu bringen, derer sie habhaft werde, sagte Gabriel damals. Hintergrun­d war die Verhaftung des deutschen Menschenre­chtlers Peter Steudtner in Istanbul.

Steudtner ist inzwischen frei, ebenso der Journalist Deniz Yücel. Doch noch immer sitzen mehrere Deutsche aus politische­n Gründen in türkischer Haft oder in Hausarrest. Meist geht es um irgendwelc­he unbewiesen­e Terrorismu­s- oder Spionagevo­rwürfe. Weil die Türkei auch einen evangelika­len amerikanis­chen Pastor verhaftet und später unter Hausarrest gestellt hat, bekommt Erdogan, der starke Mann vom Bosporus, nun den ganzen Zorn des noch stärkeren Mannes im Weißen Haus zu spüren. Us-präsident Donald Trump hat mit seinen Sanktionen die Türkei aber nur deshalb so empfindlic­h treffen können, weil Erdogan zuvor mit Wachstum auf Pump ein Kartenhaus aufgebaut hat. Das fällt nun zusammen.

Trump geht es vielleicht weniger um Menschenre­chte als um die Stimmen evangelika­ler Christen in den USA. Und hinter dem Streit um den Pastor steht auch ein tieferes Zerwürfnis mit dem wichtigen Nato-partner. So hat sich die Türkei, etwa im Syrien-konflikt, zunehmend Russland zugewandt, zum Verdruss der USA sogar russische Boden-luft-raketen angeschaff­t. Die Amerikaner stoppten ihrerseits die Lieferung hochmodern­der Kampfflugz­euge an Ankara. Übrigens, das scheint Andrea Nahles zu vergessen, haben die Türken auch den Nato-partner Deutschlan­d vor den Kopf gestoßen, als sie Bundestags­abgeordnet­en den Zugang zu türkischen Luftwaffen­basen verwehrten. Dort waren deutsche Flieger stationier­t, vor knapp einem Jahr wurden sie dann nach Jordanien verlegt.

Hätten die USA die deutschen Bemühungen zur Freilassun­g der Journalist­en Deniz Yücel und Mesale Tolu oder des Menschenre­chtlers Steudtner aus türkischer Haft untergrabe­n, der Aufschrei wäre groß gewesen. Mit Sicherheit auch in der SPD, und das völlig zu Recht. An Trump mag es viel zu kritisiere­n geben, doch Deutschlan­d braucht ausgerechn­et Erdogan vor ihm sicher nicht in Schutz zu nehmen.

Zwischen Berlin und Ankara müssen Gesprächsk­anäle offen bleiben, Wirtschaft­sbeziehung­en und Austausch weitergehe­n, wo es denn möglich ist. Eine Rückkehr zum freundscha­ftlichen Verhältnis von einst aber ist nur möglich, wenn Erdogan wieder den Pfad der Demokratie einschlägt. Für die Misere der Türkei muss allein ihr Präsident geradesteh­en.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Die SPD Vorsitzend­e Andrea Nahles hat deutsche Hilfe für die wirtschaft­lich in Be drängnis geratene Türkei ins Gespräch gebracht.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Die SPD Vorsitzend­e Andrea Nahles hat deutsche Hilfe für die wirtschaft­lich in Be drängnis geratene Türkei ins Gespräch gebracht.

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