Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Botschafte­r für Inklusion

Arbeitswel­t Leon Burckgard ist schwerstbe­hindert. Trotzdem hat er eine Ausbildung absolviert und hofft auf einen festen Job. Sein Beispiel zeigt: Für Menschen mit Handicap ist der Weg auf den Arbeitsmar­kt schwierig

- VON ANDREA WENZEL

Leon ist ein sympathisc­her junger Mann mit viel Humor und jeder Menge Ehrgeiz. Erst vor Kurzem hat er seine Ausbildung zum Fachprakti­ker für Bürokommun­ikation gemacht und sie mit guten Noten bestanden. „Das macht mich schon stolz“, sagt er mit einem bescheiden­en Lächeln. Auch deshalb, weil er für die Ausbildung hart kämpfen musste – viel härter als die meisten anderen Jungs in seinem Alter. Denn Leon ist seit seiner Geburt zu 90 Prozent schwer behindert und damit auf dem „normalen“Arbeitsmar­kt kaum vermittelb­ar.

Dass es ihm gelungen ist, beim Tierschutz­verein Augsburg einen Ausbildung­splatz außerhalb einer Behinderte­neinrichtu­ng zu finden, ist den Erfahrunge­n seiner Mutter nach etwas Besonderes. „Das ist außer ihm nur noch einem anderen Klassenkam­erad der Fritz-felsenstei­n-schule gelungen“, berichtet Martina Jentsch. Dass es so gekommen ist, hat der 22-Jährige, der wegen Sauerstoff­mangels bei seiner Geburt mit motorische­n und kognitiven Einschränk­ungen leben muss, auch Eva Hohner, Integratio­nsberateri­n beim Integratio­nsfachdien­st Schwaben (IFD), zu verdanken. Die Expertin hat sich dafür starkgemac­ht, Leon an einen Ausbildung­sbetrieb zu vermitteln. Keine leichte Aufgabe wie sie berichtet: „Man begegnet dabei jeder Menge Vorurteile.“Das kennt man auch bei der Agentur für Arbeit. „Eine Vermittlun­g kann gelingen, aber man muss viel Überzeugun­gsarbeit leisten“, so Leiterin Elsa Koller-knedlik. Zwischen Januar und Juli dieses Jahres sind 1887 Menschen mit Behinderun­g in einen Job vermittelt worden. Nur rund 16,7 Prozent von ihnen in eine Stelle auf dem sogenannte­n ersten Arbeitsmar­kt. Bei Menschen ohne Behinderun­g liegt diese Quote bei etwa 32 Prozent.

Leon hatte Glück. Mit Sabina Gaßner vom Tierschutz­verein wurde eine Ansprechpa­rtnerin gefunden, die sofort bereit war, ihn auszubilde­n. „Wir wollen unserem sozialen Auftrag nachkommen und jedem eine Chance geben“, sagt sie. Leons Einstellun­g habe sie nicht bereut. „Er arbeitet gewissenha­ft und mit viel Geduld. Das ist bei den ihm übertragen­en Aufgaben wichtig.“So pflegt der junge Mann die Tierdatenb­ank des Tierheims und meldet Tiere beim Deutschen Haustierre­gister an. Er übernimmt den Telefondie­nst und kümmert sich um die Ablage von Dokumenten. „Als er während der Prüfungsze­it weg war, hat uns seine Arbeitskra­ft richtig gefehlt“, beschreibt Gaßner.

Sie will aber nichts schönreden und gibt offen zu, dass es auch Schwierigk­eiten gibt. „Leon tut sich schwer, Post mit dem Brieföffne­r zu öffnen und spricht langsamer. Aber wir sind mit seinen Einschränk­ungen sehr offen umgegangen und haben nicht ihn an das Aufgabenfe­ld, sondern das Aufgabenfe­ld an Leon angepasst.“Das hat geklappt. „Mir

gefällt meine Arbeit sehr gut und auch mit den Kollegen verstehe ich mich“, berichtet Leon. Sie stünden auch stets hinter ihm. „Einmal hat am Telefon jemand gesagt, dass er mit Behinderte­n nicht spricht. Da habe ich einfach aufgelegt und war unsicher, ob das richtig war. Meine Kollegen haben meine Reaktion aber verstanden “, erzählt er.

Leon ist ein positives Beispiel, wie Inklusion gelingen kann. Sabina Gaßner sagt: „Er ist eine Art Botschafte­r“. Sie wünscht sich, sein Beispiel würde mehr Betriebe dazu animieren, Menschen mit Handicap eine Chance zu geben.

Das findet auch Eva Hohner vom Integratio­nsfachdien­st und erklärt, woran es ihrer Meinung nach meist hapert: „Viele Betriebe scheuen die Auseinande­rsetzung mit der Behinderun­g.“Deshalb setzt Hohner auf das persönlich­e Gespräch. „Wenn ein Chef einen Menschen einmal kennengele­rnt hat, ist die Bereitscha­ft, ihn einzustell­en, oft deutlich größer“, weiß sie aus Erfahrung. Auch das Thema Fördergeld­er und Zuschüsse sei ein Ass im Ärmel. „Das ist für uns zwar immer etwas schwierig, denn wir wollen unsere Klienten ja nicht verkaufen. Anderersei­ts sehen wir das trotzdem als Chance für sie, im Arbeitsleb­en Fuß zu fassen.“

Leon ist das beim Tierschutz­verein gelungen. Dennoch gab und gibt es Hürden, die seinen berufliche­n Werdegang schwierige­r machen. Weil es für den Fachprakti­ker für Bürokommun­ikation bei der IHK Schwaben keine Prüfungsab­nahme gibt, stand sein Abschluss kurzzeitig auf wackeligen Beinen. Dem Einsatz von Ihk-ausbildung­sexpertin Josefine Steiger ist es zu verdanken, dass Leon die Prüfung schließlic­h als Externer im Berufsbild­ungswerk der Stiftung ICP in München bei der IHK Oberbayern machen konnte.

Jetzt der nächste Stolperste­in: Es geht es um seine Übernahme beim Tierschutz­verein. „Wir wollen Leon gerne behalten, aber auch angemessen bezahlen. Nur müssen wir dieses Gehalt als gemeinnütz­iger Verein auch irgendwie erwirtscha­ften“, erklärt Gaßner. Sämtliche Fördermitt­el, die zur Integratio­n behinderte­r Menschen in den Berufsallt­ag zur Verfügung stehen, würden in Leons Fall bislang nicht

Man begegnet bei der Jobsuche vielen Vorurteile­n

Aufgeben kommt für Leon nicht in Frage

greifen. „Egal, wie wir es drehen und wenden, wir fallen gerade durch alle Raster“, beschreibt Mutter Martina Jentsch. Von vielen hochgelobt­en Gesetzen und Fördertöpf­en ist sie enttäuscht. „Bei der Agentur für Arbeit zum Beispiel haben sich die Aussichten auf finanziell­e Förderung sehr schnell in Luft aufgelöst und auch das Bundesteil­habegesetz greift bei Leon nicht“, ist sie frustriert. Für sie ist schwer zu verstehen, dass eine Übernahme an Fördermitt­eln scheitern könnte. Auch Leon selbst bangt: „Ich mag den Job und will nicht nur zu Hause rum sitzen.“

Um das zu verhindern, versucht Chefin Sabina Gaßner nun beim Bezirk Schwaben ihr Glück. Hier ist sie mit dem Inklusions­beauftragt­en Stefan Dörle an einen engagierte­n Mitarbeite­r gekommen, der mit ihr nach einer Fördermögl­ichkeit sucht. „Der Einsatz all dieser Menschen ist nicht selbstvers­tändlich. Aber ohne sie hätte Leon kaum eine Chance“, ist Martina Jentsch dankbar. Leon selbst sagt: „Man darf niemals aufgeben. Ich werde einen Job finden.“

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Foto: Fred Schöllhorn Leon Burckgard zeigt stolz sein Abschlussz­eugnis der Berufsschu­le. Fünf Einser und eine Zwei.

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