Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das ungleiche Brüder Paar
Was macht eigentlich …? Herbert und Helfried Müller coachten in den 90er Jahren die Hochzoller Handballerinnen. Wie das die Basis für ihre Karriere als Profi-trainer legte und warum sie sich als Frauenversteher sehen (Serie/teil 16)
1988 bis 1999 trainierten Sie mit Ihrem Bruder Helfried die Handballerinnen der DJK Augsburg-hochzoll und führten die Mannschaft in die zweite Liga. Warum haben Sie Augsburg dann verlassen und sind nach Nürnberg gewechselt?
Eigentlich bin ich aus beruflichen Gründen nach Nürnberg gegangen. Ich wurde mit einer Dozentenstelle am Institut für Informatik dorthin gelockt. Die Nürnberger Handballerinnen spielten damals nur in der fünften Liga. Also sportlich war das kein Anreiz für mich. Aber die berufliche Möglichkeit für mich, am Institut zu arbeiten, verbunden mit der Chance, den Handball dort nach oben zu bringen, hat den Ausschlag gegeben. Der Hauptsponsor der Nürnbergerinnen wollte sie unbedingt nach oben bringen. Koste es, was es wolle.
Ihr Bruder ist anfangs noch in Augsburg geblieben und hat bis zur Insolvenz 2003 die Hochzoller Zweitligahandballerinnen trainiert. Wie haben Sie das damals empfunden?
Mir hat das enorm leidgetan. Denn es gab da ja noch ein Spiel zwischen unseren Mannschaften, das ich mit dem 1. FC Nürnberg haushoch gewonnen habe. Ich bin da zu sehr Trainer, um etwas herzuschenken. Aber das tat schon weh. Trotzdem war es unfassbar, dass Helli in Augsburg mit der Truppe und den geringen finanziellen Mitteln damals noch um den Aufstieg in die erste Liga gespielt hat. Müller: Weil in Hochzoll ein toller Zusammenhalt herrschte. Es gab Spielerinnen wie Zsuzsa Kleitsch, die voranmarschiert sind. Als Trainer haben wir in der Zeit dort viel gelernt. Etwa die richtige Achse mit Torhüter, Mittelspielerin und Kreisläuferin zu haben und dann alles andere drum herum aufbauen.
mitgenommen?
Müller: Ja, in Zsuzsa Kleitsch hatten wir in Hochzoll eine Spielerin, die der verlängerte Arm von uns Trainern war und die alles leitete. Das habe ich dann in Nürnberg so gemacht und jetzt in Erfurt ebenso. Das hat sich wie ein roter Faden durchgezogen und war immer der Schlüssel zum Erfolg.
War es für Sie ungewohnt, in Nürnberg anfangs ohne Ihren Bruder Helfried als Trainer zu arbeiten?
Müller: Es war für mich komplett neu, zumal ich eigentlich nie geplant hatte, aus Augsburg wegzugehen. Wie man an Helli und mir sieht, sind wir sehr familienverbunden. Wir wollten nicht weg von den Eltern, die heute immer noch in Augsburg leben. Deshalb war es für mich ein großer Schritt. Eine Wende in meinem Leben. Damals hat auch mein Weg in Richtung Profi-handball begonnen, den ich eigentlich nie geplant hatte. In Augsburg wäre das finanziell nicht möglich gewesen. Doch in Nürnberg hat alles eine unfassbare Eigendynamik bekommen. Das kann man nicht planen, das war wie in einem Traum. Sie fuhren mit den Nürnbergerinnen von 1999 bis 2008 beispiellose Erfolge ein …
Ja, das kann man so sagen. Wir sind von der fünften Liga bis in die Bundesliga durchmarschiert. Bis in die zweite Liga sogar nur mit Siegen. Wir hatten damals einen Hauptsponsor, der uns für 50 Siege in Folge eine Reise nach New York versprochen hat. Ich glaube, wir haben dann 74 Mal hintereinander gewonnen – und sind auch wirklich nach New York geflogen. Und das alles mit Spielerinnen, die wir von ganz unten nach oben gezogen haben. Erst nach dem Aufstieg in die erste Liga haben wir den großen Umbruch gemacht und acht neue Spielerinnen geholt. Dann sind wir im ersten Jahr Bundesliga auch gleich deutscher Pokalsieger geworden und im zweiten Jahr haben wir das Double geholt. Insgesamt waren wir dreimal deutscher Meister.
Und Sie haben schnellstens Ihren Bruder zu sich nach Nürnberg geholt?
Er hat mir nicht nur sehr gefehlt, sondern ich habe es auch nicht geschafft, einen anderen Co-trainer zu integrieren. Ich konnte einfach nichts abgeben. Meine Co-trainer haben es immer nur zwei Wochen mit mir ausgehalten. Helli und ich sind so eingespielt, dass wir wissen, wie wir uns das Training aufteilen. Wenn er sich um die Deckung kümmert, brauche ich gar nicht hinschauen. Und wenn ich schimpfe, geht er nachher zu den Spielerinnen hin und streichelt. Darüber müssen wir gar nicht reden, das klappt einfach so.
Müller: Ich glaube, das letzte Mal war in der sechsten Klasse, als ich Helli beim Rauchen erwischt habe. Es hat aber nichts genützt.
2004 wurden Sie zusätzlich Trainer der österreichischen Frauen-nationalmannschaft, Ihr Bruder hat die östervon reichischen Juniorinnen übernommen und weilt mit diesen gerade bei der EM in Ungarn. Warum tun Sie sich diese Doppelbelastung an?
Müller: Mich hat das internationale Parkett gereizt. Das ist natürlich alles verdammt viel Arbeit. Aber man denkt ja in dem Alter noch, man hat unendlich Kraft.
2008 gaben Sie und Ihr Bruder dann ein kurzes, aber schmerzvolles Intermezzo als Trainer bei CS Urban Brasov in Rumänien. Da lief es erstmals nicht wie gewünscht?
Müller: Das war der absolute Wahnsinn. Zwei rumänische Topklubs hatten um uns gebuhlt und sich hochgeschaukelt. Wir haben uns, wie wir eben sind, für das schwächere Team entschieden, weil wir selbst etwas aufbauen wollten. Aber das hat sich als absolute Luftblase erwiesen. Wir haben ein einziges Monatsgehalt bekommen, waren aber 19 Monate dort. Helli und ich waren dann auch wirklich die Letzten, die den Laden zugesperrt haben.
In Erfurt, wo Sie beide seit 2010 arbeiten, kam der Erfolg zurück … Müller: Ja, wir waren mit dem Thüringer HC sieben Mal deutscher Meister, zweimal haben wir den Pokal und zweimal den Supercup gewonnen. In Bad Langensalza, dem Herz unseres Vereins, ist die ganze Stadt einfach nur handballverrückt.
Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis als Trainer-duo?
Ich denke, das ist unsere besondere Art. Wir machen bestimmte Dinge ein bisschen anders. Beispielsweise müssen sich die Spielerinnen unser Vertrauen nicht erarbeiten. Sie bekommen von Anfang an hundert Prozent und dann verwalten sie das. Und sie tun gut daran, diese hundert Prozent zu bewahren, denn dann bleibt die Leine lang.
Sie haben bisher immer nur Frauenmannschaften trainiert. Wie schaffen Sie es, mit diesen immer so erfolgreich zu sein?
Wir achten ganz extrem auf das Pyramiden-modell. Wir haben Spielerinnen, die ganz oben in dieser Pyramide stehen. Das ist auch mein erster Satz in jeder Besprechung: Vergesst gleich mal, dass alle Spielerinnen gleich sind. Das ist vollkommener Schwachsinn. Man braucht ganz klare Hierarchien und ganz klare Rollenverteilungen. Wenn man diese Rollen in einer Damenmannschaft klar definiert und anspricht, gehen sie mit dir durch dick und dünn. Weil Frauen viel leistungsfähiger, leidensfähiger und viel belastbarer sind, als Männer es jemals sein werden. Das ist einfach so. Ich weiß das, denn ich habe lange genug Männer-handball gespielt.
Und wenn Sie später einmal nicht mehr gemeinsam mit Ihrem Bruder als Coach arbeiten?
Müller: Dann führt Hellis Weg zu hundertprozentig nach Augsburg zurück, während ich derzeit noch nicht sagen kann, wohin es mich ziehen wird. Da wir in Deutschland so gut wie alles gewonnen haben, könnte es sportlich höchstens noch irgendwann eine Station im Ausland sein – um vielleicht doch noch irgendwann die Champions League zu gewinnen.