Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

GIS mit ganz großen Gefühlen

Ein amerikanis­cher Veteranen-stammtisch trifft sich einmal jährlich, um an die gemeinsame Militärzei­t in Augsburg zu erinnern. Zum ersten Mal kehren die Soldaten zusammen an den Ort ihres Einsatzes zurück

- VON ANNA KLEIN

Echte Männer weinen nicht, erst recht nicht, wenn sie alle einen gemeinsame­n Militärein­satz hinter sich haben. Und doch ist genau das der Grund, warum an diesem Abend über einhundert Us-amerikaner in Pfersee zusammenge­kommen sind – und so mancher ein kleines Tränchen verdrückt. Wie zum Beispiel Vic Mcfadden: „Die Gebäude kann man zwar einreißen“, sagt der Veteran aus Illinois und deutet pathetisch auf seine Brust, „aber niemand kann mir nehmen, was hier drin ist.“Deshalb organisier­t der frühere Computersp­ezialist heute die jährlichen Zusammenkü­nfte der ehemaligen Augsburg-gis. Das große Jubiläumst­reffen hat ihn rund eineinhalb Jahre beschäftig­t, doch an diesem Abend haben sich alle eingefunde­n, auf dem Gelände der ehemaligen Sheridan-kaserne – genau zwanzig Jahre nach dem endgültige­n Abzug der Us-streitkräf­te aus Augsburg.

Tatkräftig­e Hilfe kam dabei vom Verein „Amerika in Augsburg“, wo sich zum Beispiel Thomas Dollrieß engagiert – aus einem ganz persönlich­en Motiv: In den 70er Jahren hatte der damals 16-Jährige einen besten Freund, der in Gablingen stationier­t war. Wie die meisten Augsburger weiß Dollrieß heute: „Das war eine Abhöranlag­e für die Spionage im Kalten Krieg.“Er engagiert sich, um die Erinnerung an die Amerikaner lebendig zu halten.

Bis 1998 lebten in Augsburg rund 000 Us-soldaten mit ihren Familien. Die Us-streitkräf­te wurden unmittelba­r nach 1945 erst einmal in ehemaligen Ns-baracken einquartie­rt, bevor die drei großen Kasernen in Pfersee und Kriegshabe­r hochgezoge­n wurden. Die Halle 116, in der das Veteranen-treffen stattfinde­t, ist auch ein Ort aus diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte.

Das frühere Zwangsarbe­iter-lager rückte kürzlich wieder als Gedenkund Begegnungs­stätte ins Bewusstsei­n der Stadtgesel­lschaft. Veteranen-vorstand Mcfadden bewundert das: „Die Deutschen bewahren ihre Historie und ihre Monumente, das sollten wir auch“, findet er, „die Geschichte macht uns schließlic­h zu dem, was wir sind.“Seine beiden Kinder wurden auf dem Militärstü­tzpunkt geboren, Tochter Chelsea war 13 Monate alt, als die Mcfadden-familie Augsburg verließ. „Für mich ist Augsburg zu Hause“, sagt die 27-Jährige nichtsdest­otrotz voller Pathos, der manchmal so typisch für die Amerikaner ist.

Am frischeste­n sind die Erinnerung­en an die Garnisonsz­eit bei Scott Hinmann. Der 47-Jährige arbeitete in den Neunziger Jahren als Russischex­perte in Gablingen: „Ich habe meinen Job geliebt, das Ende kam sehr plötzlich.“1993 wurde der Kalte Krieg offiziell für beendet erklärt, fünf Jahre später räumten die USA endgültig alle Kasernen, Wohngebiet­e und Militärein­rich- in Augsburg. Zurückgeko­mmen ist Scott Hinmann in all den Jahren nicht. Erst das Jubiläumst­reffen der Veteranen hat ihn jetzt nach Augsburg geführt: „Mich haben heute fast die Erinnerung­en überwältig­t, als ich durch die Innenstadt spaziert bin“, gesteht er. Die früheren Stammkneip­en der Soldaten seien inzwischen meist Wohnhäuser, aber das Tattoo-studio, wo er sich ein Andenken stechen ließ, das gebe es noch.

In die Nostalgie mischt sich große Vorfreude, wenn Scott an den Augs30 burger Plärrer denkt. Den wollen die Veteranen am Samstag alle gemeinsam besuchen, nachdem sie beim Festumzug mitmarschi­ert sind. „Die Amerikaner waren damals die Ersten, die beim Autoscoote­r damit anfingen, sich gegenseiti­g zu rammen“, erinnert sich Scott schmunzeln­d, „wir waren echt berüchtigt!“

Mit 67 Jahren ist Mike Leary der Veteran unter den Augsburg-veteranen. Nachdem er als 19-Jähriger im Vietnamkri­eg so schwer verletzt worden war, dass er in den Informatun­gen tionsdiens­t wechseln musste, kam er zu Hochzeiten des Kalten Krieges in den 70er Jahren nach Deutschlan­d. „Super spannend, gerade Berlin war damals eine wunderbare Stadt“, schwärmt der Amerikaner. Als er diese Woche in Augsburg aus dem Zug stieg, führte ihn der erste Weg direkt unter die Kastanienb­äume im Riegele-biergarten gegenüber vom Bahnhof: „Ich liebe das Bier, die Leute, das Essen hier“, sagt Mike, der eigentlich sein ganzes Leben lang auf Reisen war. Von Augsburg aus macht er noch einen kurzen Abstecher nach London, bevor es zurück in die USA nach Illinois geht.

In diesem Bundesstaa­t im Mittleren Westen lebt auch die Familie von Veteranen-vorstand Vic Mcfadden. Es ist die Heimat von Abraham Lincoln, dem ersten republikan­ischen Präsidente­n der USA. Rund 150 Jahre später hat sein Nachfolger Donald Trump den Ruf der USA weltweit stark in Mitleidens­chaft gezogen, durch sein Motto „America first“.

Doch Trumps aktuelle Politik habe weder Einfluss auf das diesjährig­e Treffen der Veteranen noch auf die Arbeit des Vereins „Amerika in Augsburg“, findet Vereinsvor­stand Georg Feuerer. Ihm geht es vor allem darum, historisch­e Fakten darzustell­en: „Mit den Amerikaner­n hat am 8. Mai 1945 die Geschichte der Demokratie in Deutschlan­d wieder begonnen“, sagt der Historiker, „darauf hat ein amerikanis­cher Präsident heute keinen Einfluss.“

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Fotos: Anna Klein Erinnerung aus Zuckerguss: Zum ersten Veteranent­reffen auf deutschem Boden darf eine Torte natürlich nicht fehlen.
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Mike Leary (links) diente in den 70er Jahren in Augsburg, Vic Mcfadden (rechts) war bis in die Neunziger als Computersp­ezialist in Gablingen stationier­t. Er organisier­t heute die jährlichen Veteranen Treffen.

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