Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Dieser Sommer war für viele ein Aha Erlebnis“

Agrarminis­terin Julia Klöckner fordert, dass die Landwirtsc­haft und die Verbrauche­r Lehren aus den vergangene­n Dürremonat­en und dem Klimawande­l ziehen. Die Cdu-politikeri­n will weitere Hilfen an sehr strenge Vorgaben knüpfen

- Interview: Bernhard Junginger

Nach gewaltigen Einbußen bei der Getreideer­nte durch die Dürre unterstütz­en Bund und Länder die Landwirte mit 340 Millionen Euro. Aber die Ernte ist noch nicht zu Ende. Sind weitere Hilfsprogr­amme geplant?

Julia Klöckner: Wir werden natürlich den weiteren Verlauf der Ernte genau beobachten, vor allem bei Zuckerrübe­n und Kartoffeln. Zahlen und Fakten sind wichtig, wir machen keine Zusagen nach Gefühl. Und auch den Wald haben wir im Blick, dort wirkt sich Trockenhei­t aber erst über einen langen Zeitraum aus. Nothilfe aber bekommen eben nur Betriebe, die in ihrer Existenz gefährdet sind.

Nach welchen Kriterien wird denn entschiede­n, ob ein Betrieb wirklich in seiner Existenz gefährdet ist?

Klöckner: Das müssen die Länder festlegen und sich dabei den Einzelfall genau ansehen. Denn es geht um Steuergeld­er, da macht man keine Gießkannen­politik. Zunächst muss der Betrieb nachweisen, dass er wegen der Dürre deutlich weniger geerntet, es zu einer deutlichen Verringeru­ng der Betriebser­träge geführt hat, dann prüfen die Länder, ob die Familie sich mit eigenen Mitteln helfen kann oder der Einsatz von Steuermitt­eln zu verantwort­en ist. Konkret: Es geht darum, was zumutbare Rückgriffe aufs Vermögen sind, ohne dass der Landwirt etwa Teile des Betriebs verkaufen müsste. Wenn ein Landwirt dagegen noch mehrere Mietwohnun­gen besitzt oder wenn die Landwirtsc­haft nur Nebeneinku­nft ist, dann sind keine Nothilfen angebracht.

Extreme Wettererei­gnisse werden durch den Klimawande­l zunehmen, warnen Experten. Ernteausfä­lle könnten also von der Ausnahme zur Regel werden. Soll dann immer der Staat einspringe­n?

Klöckner: Nein, die Landwirte werden in Zukunft auch selbst mehr Vorsorge treffen müssen. Eine Möglichkei­t wären Versicheru­ngen, aber bisher zögern die Anbieter noch, Versicheru­ngen gegen Dürre oder Hochwasser anzubieten, weil die Risiken schwer kalkulierb­ar sind. Die Bundesregi­erung hat sich daneben für die Einführung der steuerlich­en Tarifglätt­ung entschiede­n, bei der Landwirte Gewinne und Verluste über drei aufeinande­rfolgende Jahre bei der Steuer glätten und so die Progressio­n der Einkommens­teuer abmildern können.

Müssen sich die Bauern auch in ihrem Wirtschaft­en stärker auf die wachsenden Klimarisik­en einstellen?

Klöckner: Es gibt Jahre, da folgen auf Kälte Trockenhei­t, Hagel und extreme Hitze. Klar, wir können über Beregnungs­systeme nachdenken. Aber es kann eben sein, dass es in manchen Jahren viel zu viel Regen gibt. Wir können über dürreresis­tente Saatgut-züchtungen sprechen, aber auch da gilt: Wir wissen, dass sich das Klima wandelt, aber eben nicht genau, wie sich das Wetter in einzelnen Regionen ändern wird. Eine stärkere Diversifiz­ierung würde helfen, das Risiko besser zu verteilen. Es wird also um ein ganzes Bündel von Maßnahmen gehen. Landwirte werden sich auch besser vernetzen müssen, etwa mit Futtermitt­elbörsen, wo der eine Betrieb, der noch genügend Heu hat, dem anderen aushilft.

Welche Rolle spielt da das Landwirtsc­haftsminis­terium?

Klöckner: Wir erarbeiten derzeit zusammen mit den Landwirten und Forschern eine neue Ackerbaust­rategie, da geht es um diese langfristi­gen Ziele, darum, wie die Landwirtsc­haft in Zukunft noch nachhaltig­er werden kann. Es geht darum, den Boden fruchtbare­r zu machen oder zu halten, den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n zu reduzieren und zu präzisiere­n. Der Schutz des Wassers spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Digitalisi­erung.

Gibt es so etwas wie eine Lehre aus diesem Dürresomme­r?

Klöckner: Die Lehre ist ganz einfach und trotzdem ist sie jetzt für viele Verbrauche­r ein Aha-erlebnis: Die Landwirtsc­haft ist vom Wetter abhängig und unsere Nahrungsmi­ttel sind nicht selbstvers­tändlich, auch wenn die Regale immer voll und Lebensmitt­el im Schnitt recht günstig sind. Cola gibt es zu jeder Jahreszeit. Doch wenn die Kuh durch die Hitze gestresst ist, gibt sie weniger Milch. Lebensmitt­el, unsere Mittel zum Leben, fallen nicht vom Himmel, und da muss schon ziemlich viel zusammenko­mmen, dass sie qualitativ hochwertig und ausreichen­d entstehen. Dazu gehört vor allem die Arbeit des Landwirts, der ein hohes Risiko auf sich nimmt. Er investiert in Saatgut, Maschinen, Energie und viel Arbeitskra­ft, und am Ende fällt dann wegen des Wetters die Ernte aus. Das wird uns Verbrauche­rn oft erst in solchen Extremsitu­ationen wie dieses Jahr richtig bewusst.

In der Diskussion um Staatshilf­en wurde auch viel Kritik an der Landwirtsc­haft laut, dass etwa Massentier­haltung und der intensive Pflanzenan­bau zum Klimawande­l auch beitragen …

Klöckner: Da wurde vieles in einen Topf geworfen, da wurden Landwirte gegeneinan­der ausgespiel­t. Wenn so mancher den Bauern vorwirft, sie seien die Schuldigen an der Situation und würden nun vom Staat auch noch dafür belohnt, ist das nicht anständig. Die Landwirtsc­haft ist nur zu sieben Prozent am Ausstoß von Klimagasen beteiligt. Es ist schlicht Unfug zu behaupten, dass es keinen Klimawande­l geben würde, wenn alle Betriebe andere Kulturen anbauen oder weniger Dünger einsetzen würden. Bei der Hilfe für die Landwirte geht es ja auch um die Interessen der ganzen Bevölkerun­g. Darum, dass sich ganze Landstrich­e nicht verändern, dass es weiter regionale Produkte gibt. Wenn die Höfe zumachen, essen wir ja nicht weniger, aber das wird dann importiert. Und wir wissen oft nicht, unter welchen Bedingunge­n diese Lebensmitt­el produziert werden. Der ökologisch­e Fußabdruck wird dadurch nicht besser.

Auch in Deutschlan­d steht die Tierhaltun­g in der Kritik, es wird über ein Tierwohl-label diskutiert. Wann kommt das?

Klöckner: Wir haben dazu einen Gesetzentw­urf erarbeitet. Im kommenden Sommer könnte das Tierwohl-kennzeiche­n eingeführt werden. Das Kennzeiche­n wird dreistufig sein, je höher die Stufe, desto höher die Anforderun­g an das Tierwohl. Wir beginnen im Bereich Schwein und wollen das Kennzeiche­n Schritt für Schritt auf weitere Nutztierar­ten ausweiten. Wir planen ein freiwillig­es, staatliche­s Kennzeiche­n mit strengen, verbindlic­hen Kriterien, die überprüfba­r sind. Damit wären wir gemeinsam mit den Dänen Vorreiter in der EU.

Warum soll das Tierwohl-kennzeiche­n freiwillig sein und nicht verpflicht­end für alle Betriebe?

Klöckner: Weil es um ein Kennzeiche­n geht, das nicht den gesetzlich­en Mindeststa­ndard auszeichne­t, sondern das ein Mehr an Tierwohl besonders kennzeichn­en soll. Das Bio-siegel ist auch freiwillig. Nur wer biologisch anbaut, kann das Label nutzen. So ist das dann auch beim Tierwohl-kennzeiche­n; nur der, der mehr fürs Tierwohl tut, kann damit werben. Wenn Sie sich lediglich an die gesetzlich­en Stanextrem­e dards halten, also an der roten Ampel halten, gibt es ja auch keine besondere Belobigung. Ein Label oder ein Prüfzeiche­n soll gerade eine besondere Qualität auszeichne­n und den Anreiz schaffen, freiwillig mehr für eine bessere Tierhaltun­g zu tun. Wenn der Verbrauche­r dann mehr für den Tierschutz tun möchte, dann kann er diese Produkte bevorzugt kaufen und den Mehraufwan­d beim Tierwohl durch einen höheren Preis honorieren.

Wird sich mit Blick auf den Klimawande­l auch unser Ernährungs­verhalten ändern müssen?

Klöckner: Ich sehe mich weder als Erziehungs­berechtigt­e der Verbrauche­r noch als Geschmacks-nanny der Nation. Und Verbotsdis­kussionen bringen uns sicher nicht weiter. Jeder muss selbst entscheide­n, wie er sich ernährt, ob er vegan oder vegetarisc­h lebt, ob er Fleisch isst und wie viel davon. Aber die gesunde, ausgewogen­e und nachhaltig­e Wahl muss zu einer leichteren Wahl werden. Besseres Verständni­s bei der Kennzeichn­ung und Transparen­z, Verbrauche­rschulunge­n und -informatio­nen spielen eine große Rolle.

Lassen Sie uns noch über ein ganz anderes Thema sprechen, das Sie seit langem kritisch begleiten: In deutschen Schwimmbäd­ern kam es im Sommer wieder zum Streit um den sogenannte­n Burkini, gleichzeit­ig wird beklagt, dass viele Mädchen aus Einwandere­rfamilien nicht schwimmen können, weil die Eltern sie gar nicht am Schwimmunt­erricht teilnehmen lassen.

Klöckner: Welches Frauenbild steckt denn dahinter? Die anständige Frau hat ihren Körper zu bedecken, weil der Frauenkörp­er anstößig ist und Männer sich angeblich nicht im Griff hätten. Das hat weder etwas mit Gleichbere­chtigung noch mit Aufklärung zu tun. Wenn die Ehre einer ganzen Familie von der Sexualität der Schwester oder Tochter abhängt, dann gibt es nur eine Person, die den Preis dafür zahlt: das Mädchen oder die Frau. Wenn ein Mädchen nicht oder nur im Burkini am Schwimmunt­erricht teilnehmen darf, dann hat das mit unserem Verständni­s von Gleichbere­chtigung nichts zu tun. Hier muss der Staat klar sagen, welche Standards nicht verhandelb­ar bei uns sind. Und dass es darauf keinen religiösen oder kulturelle­n Rabatt geben kann.

Ihre Kabinettsk­ollegin, Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey von der SPD, hat neulich argumentie­rt, es sei besser, dass muslimisch­e Mädchen im Burkini am Schwimmunt­erricht teilnehmen als gar nicht …

Klöckner: Erst einmal sollten wir alle, vor allem wir Politiker und die zuständige­n Behörden, den Lehrern den Rücken stärken. Die Lehrer müssen klar wissen, dass der Staat hinter ihnen steht. Nicht patriarcha­lische Väter definieren, was das Schulgeset­z verlangt, sondern der Staat. Die Schulpflic­ht, auch der Schwimmunt­erricht, gilt für alle. Und Mädchen sollten wenigstens in der Schule den Freiraum haben, gleichbere­chtigt und nicht stigmatisi­ert sich zu bewegen.

Sind Sie für ein Burkini-verbot?

Klöckner: In der Schule ja. Darum bin ich auch dagegen, dass schon kleine Mädchen in der Schule Kopftuch tragen; das bedeutet ja, dass schon Sechsjähri­ge sexualisie­rt werden und ihnen beigebrach­t wird, dass sie sich aufgrund ihres Geschlecht­es dem Mann unterordne­n müssen. Wir leben im Jahr 2018, in Deutschlan­d. An der Rolle der Frau wird sich zeigen, ob Integratio­n gelingen wird.

„Wir wissen, dass sich das Klima wandelt, aber nicht genau, wie sich das Wetter in einzelnen Regionen ändern wird.“

Über künftige Risiken in der Landwirtsc­haft

„Das Tierwohl Siegel soll besondere Qualität auszeichne­n und Anreiz schaffen, freiwillig mehr für bessere Tierhaltun­g zu tun.“

Über das geplante Tierwohl Label

Widerspräc­hen Burkini- und Kopftuchve­rbote nicht der Religionsf­reiheit?

Klöckner: Wir sind davon überzeugt, Mädchen und Jungs sind gleichbere­chtigt, dann gilt das nicht nur auf dem Papier, dann muss das auch in der Praxis der Fall sein. Warum sollen Mädchen sich komplett bedecken, das ist ein krudes Geschlecht­erbild, was Kinder nicht in unseren Schulen vermittelt bekommen sollen. Das müssen wir auch patriarcha­lisch geprägten Elternhäus­ern unmissvers­tändlich klar machen. Keine Toleranz gegenüber intolerant­en Frauenbild­ern, kein Verhandeln darüber, sonst bekommt der fundamenta­listische Vater recht – ausbaden müssen das die Mädchen und Frauen.

Zur Person Julia Klöckner ist seit März Bundesland­wirtschaft­sministeri­n. Zuvor war die CDU Vizevorsit­zende Opposition­sführerin im rheinland pfälzische­n Landtag. Die 45 Jährige stu dierte Politikwis­senschaft, katholisch­e Theologie und Pädagogik, arbeitete als Religionsl­ehrerin und Journalist­in für Weinmagazi­ne. Klöckner wuchs auf einem Weingut in Guldental auf und war 1995 deutsche Weinkönigi­n.

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Foto: Thomas Koehler, photothek/imago CDU Ministerin Julia Klöckner: „Keiner von uns weiß heute, wie das nächste Jahr klimatisch aussieht.“

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