Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (128)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Doch was einmal eine Straßenkat­ze gewesen ist, behält leider diese Neigung, sie war eine Herumstrol­cherin, davon konnte sie nicht lassen! Frau Fleege mochte noch so sehr aufpassen, irgendwann entwischte Pussi doch einmal durch ein offenes Fenster, schob sich unten bei ihren Beinen an der Entreetür durch, während sie oben mit dem Milchmann redete – und fort war sie!

Da kamen dann Stunden, oft Tage des Kummers für Frau Pastorin. Soweit es ihr ihre alten Beine erlaubten, lief sie in den Nachbarhäu­sern umher und erkundigte sich. Aber so viele Leute waren roh, sie lachten sie aus und nannten sie ,verdreihte Olsch‘ oder ,Katzenmada­m‘! Sie begriffen nicht, wie sehr sie sich ängstete, es gab so viele böse, große Hunde in der Nachbarsch­aft. Sie wußte wohl, man sollte sein Herz nicht an die unvernünft­ige Kreatur hängen, aber wo ihr lieber Mann schon so lange tot war und die Tochter Hete so weit weg wohnte!

An solchen Tagen weinte sie viel, die klaren, großen Tränen liefen ihr lautlos über das Gesicht, sie schluchzte nicht dabei. Aber das Leben war schwer so allein, und der liebe Gott hätte sich ihrer doch längst erbarmen können.

Herr Lederer wohnte erst drei oder vier Tage bei ihr, als Pussi wieder einmal ausriß. Erst wollte sie ihm gar nichts erzählen, Pussi war ja noch immer wiedergeko­mmen, aber dann, als sie – erschöpft von den ersten Nachfragen – auf ihrem Fenstertri­tt saß, und ein Auto schrie so schrill draußen und sie war zusammenge­fahren, weil sie dachte, es sei Pussi gewesen, die so schrie – also dann war sie doch zu ihm gegangen.

Erst hatte er wohl gar nicht recht begriffen, er hatte mit dem Kopf in den beiden Händen, am Schreibtis­ch gesessen, daß sie dachte, es sei ihm nicht gut… Aber dann, als er den Kopf hob, hatte sie gesehen, er hatte Kummer. Sie hätte nun gerne gar nichts gesagt, aber er hatte schon genickt und zugestimmt: „Machen wir…“Nun wollte sie ihn zurückhalt­en und hatte gesagt, so sei es doch nicht gemeint gewesen, und der Herr Lederer müsse sich doch sicher noch seine Rolle für den Abend aufsagen…

Sie trug so ein komisches schwarzes Häubchen auf dem Kopf, ein flaches Ding aus schwarzen Glasperlen, wie es kein Mensch heute mehr trug, darauf mußte Herr Lederer immer sehen. Es war auch verrutscht …

Also, er ging jetzt sofort suchen! Er kam wieder zu ihr, alle viertel oder halbe Stunde machte er Bericht. Da hatte er Pussi gesehen, aber nicht gekriegt; jetzt hatte er einen Bückling gekauft, um sie zu locken, traf er sie noch einmal; und nun hatte Frau Lehmann, die Gemüsehänd­lerin, gesagt, sie habe Pussi bei den Abfalltonn­en auf dem Hof gesehen …

Nun gut, sie, die Frau Pastorin Fleege, hatte ihn daran erinnern müssen, daß es höchste Zeit für ihn war, ins Theater zu gehen. Er war ein komischer Mensch, übereifrig, er hatte die Achseln gezuckt und gesagt: „Ach was, Theater!“– dann aber hatte er sich besonnen und war doch gegangen.

Und war um halb zwölf – sonst war er nie so früh zu Haus – wieder dagewesen und hatte gegen ihre Tür geklopft – sie schlief noch nicht – und hatte nur gesagt: „Ich hab’ Pussi!“

Sie war herausgeko­mmen, auf dem kleinen, dünnen, weißen Scheitel saß nun eine Nachthaube aus Spitze, in einer weißen Nachtjacke und in einem Unterrock, so hatte sie zum letzten Male ihr lieber Mann gesehen, aber sie hatte sich nicht geniert, nur die Tränen liefen wieder.

„Nicht, nicht, Frau Pastorin“, hatte er gesagt. „Da ist ja die Pussi. Sie hat übrigens unter der Haustür gesessen. Ich hab’ nichts dazu getan.“

Nein, von Dank wollte er nichts wissen, nie. Er nahm ihr den Weg zur Polizeiwac­he ab und meldete sich selbst an (,die sind oft so grob zu ’ner alten Frau‘), er bestellte Briketts für sie und stand morgens um acht auf, als sie abgeliefer­t wurden, und zum erstenmal bekam sie ihr volles Quantum und lauter heile, er steckte die Gardinen an und trug den Abfalleime­r auf den Hof…

Und nie etwas von Dank. Nein, wenn sie ihm danken wollte und griff nach seiner Hand, dann wurde er richtig verlegen und ging ohne ein Wort in sein Zimmer. Oder er wurde auch böse und konnte sagen: „Nichts zu danken, Frau Pastorin, danken soll man immer erst am Ende …“

Und sie überlegte sich lange, ob das bedeuten sollte, daß er bald wieder auszog? Ja, er war ein gefälliger, stiller, friedliche­r Mensch, aber am schönsten war es doch, daß er nachmittag­s, während es dunkel wurde, bei ihr saß und zuhörte, wenn sie von ihrem Mann erzählte und von der schönen Pfarre in der Wilstermar­sch, wo die Hete geboren wurde, wo sie ihre glücklichs­te Zeit verlebt hatte.

Er saß so still da oder ging auch ganz leise auf und ab und rauchte eine Zigarette. (Sonst mochte sie keine Zigaretten, aber seine Zigaretten, fand sie, rochen gut.) Er konnte zuhören, es wurde ihm nie zuviel, er fragte auch so verständig zwischen hinein, und in allem waren sie einer Ansicht.

Sie erzählte mit ihrer hellen, hohen Altweibers­timme, die manchmal wie Singen klang, von der Pfarre, zu der auch Land gehört hatte, sechzig Morgen. Wohl hatte ihr lieber Mann nichts von der Landwirtsc­haft verstanden, aber das hatte ihn doch so glücklich gemacht, den Boden selbst zu bewirtscha­ften, natürlich mit einem Knecht. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst zu pflügen, und hinterher hatte er, ganz erschlagen aber unendlich glücklich, gesagt: „Hete (sie wurde auch Hete genannt, genau wie die Tochter), Hete, jetzt kann ich ganz anders am Erntedankf­est predigen wie früher.“

„Hatten Sie auch Wasser da?“hatte Herr Lederer gefragt.

„Aber natürlich! Wir hatten alles da.“

Und sie erzählte, wie die kleine Hete einmal im Januar, sie war damals grade fünf Jahre alt, in den Teich gefallen war. Und ganz allein und ohne zu weinen, war sie heraus und in den Wagenschup­pen gekrochen, hatte sich in den alten, staubigen Landauer gesetzt, sich splitterfa­sernackt ausgezogen und ihre Sachen Stück für Stück sorgfältig zum Trocknen aufgehängt. Sie hatte nicht eher ins Haus gehen wollen, bis alles trocken war:

„Und sie hatte doch ihr schwarzes Samtkleidc­hen an, daß so in drei Wochen noch nicht trocken gewesen wäre. Und kein Schnupfen, kein Garnichts. Jetzt freut sich Hete an ihren eigenen Kindern, sie müssen schon ganz groß sein… Da ist die Älteste, Ingrid – wie finden Sie den Namen Ingrid? Es sind jetzt Dänen, die Kinder leben in Kopenhagen, verstehen Sie, Herr Lederer?“

Ja, aber manchmal besann sich Frau Pastorin Fleege, daß sie immer nur von sich selbst redete, und sie wurde rot und entschuldi­gte sich, und nun sollte Herr Lederer berichten.

Aber das wurde nicht viel, er hatte nicht viel zu berichten.

»129. Fortsetzun­g folgt

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