Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Verheirate­t mit einem 82 Jahre alten Karussell

Der Schaustell­er Marco Walz erzählt, warum er sich von seiner historisch­en „Walzerfahr­t“nicht trennen kann. Und der Chef des fast 100 Jahre alten Holzriesen­rads verrät, dass das Rad nicht immer bayerisch gestaltet war

- VON JÖRG HEINZLE

Sein Karussell ist ein echter Oldtimer. Im Jahr 1936 wurde die „Walzerfahr­t“gebaut. Marco Walz – er heißt wirklich so wie sein Fahrgeschä­ft – ist mit dem Karussell zum ersten Mal auf dem Plärrer. Auf dem historisch­en Teil, den es zum zweiten Mal auf dem Volksfest gibt. Die „Walzerfahr­t“ist die Mutter der heutigen rasanten Fahrgeschä­fte, bei denen sich Gondeln auf einer drehenden Scheibe bewegen. Allerdings geht es bei dem Oldie-karussell noch deutlich gemütliche­r zu.

Marco Walz gibt zu, dass er immer wieder mal mit dem Gedanken spielt, sich ein modernes, neues Karussell zuzulegen. So ein Oldtimer macht nämlich, wie bei den Autos auch, eine Menge Arbeit. Die „Walzerfahr­t“bestehe zu 90 Prozent aus Holz, selbst die Gondeln sind aus Hartholz gebaut. Das Holz muss ständig gepflegt und auch erneuert werden, damit das Karussell fit bleibt. Die Gedanken an ein neues Karussell legt Marco Walz aber meist schnell wieder ab. Er sagt: „Wenn ich sehe, wie Großeltern mit ihren Enkelkinde­rn mitfahren und dann ist das gar keine Frage mehr.“Das Karussell ist für ihn wie eine Ehefrau. „Ich bin damit verheirate­t und trenne mich nicht.“

Ohne Musik läuft an dem Karussell nichts. Einen Klassiker legt Marco Walz besonders gerne auf: Den „Wiener Walzer“, gespielt vom Orchester Hugo Strasser. Auch Hits aus den 1950er- und 1960er- Jahren legt er gerne auf. „Abba“gehört ebenfalls zum Repertoire. Marco Walz sagt, er habe ein Faible für die Musik. Woran das liegt? Vermutlich daran, dass er auf den Volksfestp­lätzen im Wohnwagen neben der „Walzerfahr­t“aufgewachs­en ist. Er ist jeden Abend mit der Musik eingeschla­fen. Seine Eltern haben das Karussell früher betrieben, und auch sein Großvater war schon damit unterwegs.

Das historisch­e Holzriesen­rad, das nur wenige Meter entfernt steht, ist noch nicht so lange im Besitz der Schaustell­erfamilie Hörmann aus dem nordschwäb­ischen Dillingen. Lothar Hörmann erzählt: Vor zehn Jahren habe er sich zusammen mit seinem Sohn Mike einen Traum erfüllt und das 1921 gebaute Rad gekauft. „Wir haben es komplett restaurier­t, zu 90 Prozent haben das mein Sohn und ich selbst gemacht.“Die Front wurde von einem Augsburger Kunstmaler neu gestaltet. Tony Nardella, der auch schon für andere Schaustell­er gemalt hat, verpasste dem alten Riesenrad ein bayerische­s Aussehen – mit viel Weiß-blau und einem Porträt des Märchenkön­igs Ludwig II. Auch das Augsburger Stadtwappe­n malte der Künstler. Zehn Jahre hat es gelachen, dauert, bis das Karussell damit auch auf dem passenden Platz, dem Augsburger Plärrer steht.

Allzu oft bauen die Hörmanns ihr Karussell aber nicht auf. Der Aufwand wäre zu groß. 400 Schrauben müssen gedreht werden, bis alles fix ist. Neuere Karusselle lassen sich einfacher und schneller aufbauen. Drei Stationen pro Jahr machen sie aber mit dem Nostalgie-rad. Es ist eine Leidenscha­ft, eigentlich lohnt sich der Aufwand nicht. Vor allem, weil so mancher Volksfestb­esucher zwar über das schöne Fahrgeschä­ft staunt und es fotografie­rt, dann aber lieber doch mit dem großen Riesenrad fährt. Ihr Einkommen erwirtscha­ften die Hörmanns mit einer mobilen Bettfedern­reinigung. Vor allem in Sachsen sind sie damit seit der Wendezeit unterwegs.

Eine Besonderhe­it ist die stufenlose Drehzahlre­gelung, die noch aus der Anfangszei­t des Holzriesen­rads stammt. Angetriebe­n wird das Rad von einem Elektromot­or. Mit einem „Salzwasser-anlasser“wird die Geschwindi­gkeit gesteuert. Das im Jahr 1860 patentiert­e Prinzip ist einfach: Der Strom fließt durch ein Salzwasser­bad, in das Elektroden eingetauch­t werden. Je tiefer sie ins Wasser ragen, umso schneller dreht sich der Motor. Das funktionie­re bis heute problemlos, erzählt Lothar Hörmann. Solange man nicht vergesse, vor der ersten Fahrt Salz in das Wasser zu schütten.

» Eine Bildergale­rie vom historisch­en Plär rer finden sie online unter der Adresse

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Fotos: Silvio Wyszengrad Man sieht es dem Karussell nicht an: Die „Walzerfahr­t“hat schon 82 Jahre auf dem Buckel. Obwohl ein älteres Karussell mehr Arbeit macht, will sich Schaustell­er Marco Walz davon nicht trennen. Es sei wie eine Ehefrau für ihn, sagt er.
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Drei Schaustell­er Generation­en und ein historisch­es Rad: Lothar Hörmann mit Enkeltocht­er Jeanette, Sohn Mike und Schwiegert­ochter Jasmin.
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Täglich gibt es eine Rundfahrt der alten Schaustell­ertraktore­n über den Platz.

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