Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Frage der Woche Bei der Zeitumstel­lung bleiben?

- MICHAEL SCHREINER

Das Herumfumme­ln an der Zeit ist zuletzt ein Privileg zweifelhaf­ter Autokraten gewesen. In Venezuela hat der Busfahrer-präsident Maduro am 1. Mai 2016 die Uhren eine halbe Stunde vorgestell­t. Und Nordkoreas Babyface-herrscher Kim Yong Un hatte seinem Land am 15. August 2015 einfach mal so eine neue revolution­äre Zeit verpasst – er ließ die Zeiger dreißig Minuten zurückdreh­en. Das hat sich inzwischen erledigt. Vor einigen Monaten kehrte Kim zurück zur alten Zeitrechnu­ng und weiß jetzt: Wenn er um 15 Uhr eine Rotweinfla­sche entkorkt oder auf den Raketenkno­pf drückt, ist es in Südkorea auch 15 Uhr. Na dann.

Und nun also Europa. Hier dürfen die Klicker im Internet sich an den Zeitverhäl­tnissen versuchen. 4,6 Millionen stimmten ab, davon – überrascht das wen? – gut drei Millionen Deutsche. Sie wollen an der Uhr drehen. In welche Richtung genau, ist irgendwie unklar. Nur noch Winterzeit? Nur noch Sommerzeit? Sicher ist: Der Wechsel übers Jahr, wie seit 1980 praktizier­t, soll nach Mehrheitsk­lickwillen verschwind­en. Einmal 15 Uhr, immer 15 Uhr, egal ob im Januar oder Juli. Abgesehen davon, dass ein Land, in dem die nächtliche Umstellung der Zeit im März und Oktober um 60 Minuten als Zumutung empfunden wird, etwas überspannt erscheint – weshalb sollten wir auf die einzigarti­ge Erfahrung verzichten, dass Zeit relativ ist? Jedes Mal bei der Umstellung (Vor oder zurück? Früher dunkel oder länger hell? Ewiges Rätsel!) erleben wir, dass unser Zeitraster menschenge­macht, verwirrend und willkürlic­h ist. Der Wechsel erinnert uns daran, dass die Uhrzeit kein Naturgeset­z ist, sondern Menschenwe­rk. Und bei aller Sehnsucht nach Beständigk­eit: Zwei Nächte im Jahr, die anders ticken, sollten wir uns gönnen.

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