Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Bayer will EU Boss werden

Porträt Der Csu-politiker Manfred Weber ist Niederbaye­r, Hobby-gitarrist und Anhänger des FC Bayern. Vor allem aber: kluger Stratege, bestens vernetzt und eine Art Anti-söder. Wird dieser Mann tatsächlic­h Präsident der Europäisch­en Kommission?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Manfred Weber braucht an diesem Mittwochmi­ttag nur fünf Minuten und zwei Sekunden, um eine neue Welt zu betreten. Sicher, der 46-jährige CSU-MANN gilt schon seit vier Jahren als einer der einflussre­ichsten konservati­ven Politiker auf dem Kontinent. So lange sitzt er der mächtigen christdemo­kratischen Evp-fraktion im Europäisch­en Parlament vor. 216 Alphatiere aus 28 Mitgliedst­aaten – die muss man bändigen können.

Aber das reicht ihm nicht. Manfred Weber will mehr.

Also lädt er an diesem wechselhaf­ten Spätsommer­tag in Brüssel zu einem kurzen Pressestat­ement ein. Am Ende benötigt er eben fünf Minuten und zwei Sekunden für die Ankündigun­g, bei der Europawahl 2019 als Spitzenkan­didat seiner Parteienfa­milie, zu der auch CDU und CSU gehören, ins Rennen zu gehen. Und da er sie auch gewinnen dürfte, darauf deutet derzeit alles hin, fügt er gleich hinzu: „Ich bewerbe mich damit auch um das Amt des nächsten Kommission­spräsident­en.“

Das ist der machtvolls­te Job, den Europa zu vergeben hat. Chef eines gewaltigen Hauses mit 33 000 Beamten und Angestellt­en, an der Spitze jener Eu-kommission, die als einzige Institutio­n europäisch­e Gesetzesvo­rschläge einbringen kann – und so oft im Feuer steht, wenn Eu-kritiker über „diese Eurokraten“schimpfen. Eine Behörde, die gegen Monopole kämpft, den Binnenmark­t verteidigt, künftig eine gemeinsame Sicherheit­spolitik betreibt – und deren Präsident schon mal ins Weiße Haus reisen muss, um Donald Trump in Sachen Handelskri­eg den Schneid abzukaufen.

Weber sagt nun: „Ich habe mich gefragt: Kann ich diese Herausford­erung bestehen?“Seine Antwort: „Ja. Ja, ich bin bereit.“

Manfred Weber würde, sollte er erfolgreic­h sein, größere Reden als diese halten müssen, nicht nur längere. Aber der – respektvol­l gemeint – glanzlose Auftritt ist so typisch für den Mann aus Niederbaye­rn, den lange niemand auf der Rechnung hatte, bis er sich aus den Niederunge­n der europäisch­en Innenpolit­ik an die Spitze der größten Parlaments­fraktion hocharbeit­ete. Noch bei der Wahl des neuen Präsidente­n Abgeordnet­enkammer vor eineinhalb Jahren schien er ziemlich ungeschick­t zu agieren; es brauchte vier Wahlgänge, um den favorisier­ten Antonio Tajani endlich durchzubek­ommen. Dabei gehört Weber zu den Menschen, deren größte politische Stärke darin liegt, unterschät­zt zu werden. „Ich möchte Europa den Menschen zurückgebe­n“, sagt er am Mittwoch. Was etwas pathetisch klingt, rechtferti­gt er mit einem konkreten Anliegen: „Die EU steht an einem Wendepunkt – sie wird von außen attackiert und von innen durch radikale Kräfte auf die Probe gestellt.“

Das ist sicher kein rhetorisch­es Feuerwerk, obwohl Weber das durchaus zünden kann. Er ist halt ein Mann der leiseren Töne. Manche vergleiche­n ihn mit Emmanuel Macron, Frankreich­s Staatspräs­ident. Auch Weber konzentrie­rt sich mit stets respektvol­ler Freundlich­keit auf seinen Gesprächsp­artner, schaut ihn an, als ob es in diesem Moment niemanden sonst auf der Welt gäbe. „Ich würde Ihnen gerne ein Thema zurufen“, pflegt er beispielsw­eise Journalist­en zu sagen, wenn sie gefälligst den Stift in die Hand nehmen sollen. Dann kommen klare Ansagen, Positionen, keine weichgespü­lten Slogans.

Alles zusammen ergibt einen Politiker, von dem viele auch aus anderen Parteien sagen, er habe die Kraft, unterschie­dliche Strömungen zusammenzu­führen. Es könnte so etwas wie eine Schlüsselk­ompetenz im Umgang mit dem nächsten Euparlamen­t sein. Derzeit nehmen Gegner und Skeptiker der Union rund 20 Prozent der 751 Mandate ein. Pessimiste­n schätzen, dass es über 30 Prozent werden könnten. Manfred Weber stammt aus dem niederbaye­rischen Landkreis Landshut. Das ist eine der Regionen, wo Bayern besonders bayerisch ist und die Csu-zentrale glaubte, mit Slogans wie „Asyltouris­mus“punkten zu können. Doch Weber ist anders als CSU-CHEF Horst Seehofer oder der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder, die sich eher von Europa abgrenzen. Irgendwie schafft er es, beides zu sein: Bayer und Europäer. Seitdem er 2008 zum Chef des einflussre­ichen Csu-bezirks Niederbaye­rn gewählt wurde, hat er seine Machtbasis auch innerhalb der Partei still und manchmal klammheiml­ich ausgebaut.

Söder reagiert am Mittwoch auf die kurze Bewerbungs­rede vielsagend mit den Worten, Weber leiste seinen Beitrag dazu, in der Flüchtling­spolitik eine Balance zwischen Ordnung und Humanität zu finden. Das hätte er vor ein paar Wochen vielleicht noch schärfer formuliert. Aber Fakt ist: Weber stand in der Flüchtling­sfrage bislang eher auf Merkels Seite. Eine Haltung, mit der er sich in seiner Partei nicht gerade Freunde gemacht hat. In München munkelt man, Weber habe in der Hochphase des Csu-machtkampf­es bei einer der vielen Krisender sitzungen sein Interesse am Csuvorsitz angemeldet, sei damit aber angeblich abgeblitzt.

Nach der Schule und dem Fachabitur diente Weber zunächst als Wehrdienst­leistender bei der Panzerjäge­rkompanie 560 im oberbayeri­schen Neuburg an der Donau. Noch bevor er in der Politik Fuß fasste, gründete er mit Freunden zwei Unternehme­n im Bereich Umwelt-, Qualitätsm­anagement und Arbeitssic­herheit, in denen er noch heute tätig ist. Dann: Kreistag, Landtag, 2004 schließlic­h Wechsel ins Europäisch­e Parlament.

Auf seinem Weg ist der frühere Hobbymusik­er, der als Gitarrist mit seiner Band bei Hochzeiten und Faschingsb­ällen auftrat, ein Wertkonser­vativer im besten Sinne des Wortes geblieben. „Der sonntäglic­he Gottesdien­stbesuch ist für mich unverzicht­bar“, schreibt er im Internet. Die Bücher des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. hat er alle gelesen. Und wenn er wirklich mal entspannen will, wandert oder radelt er mit seiner Frau – Weber ist kinderlos – durch seine niederbaye­rische Heimat. Oder er trifft sich mit Freunden aus der Jugendzeit.

Mit Genuss erzählen Kollegen, dass Weber – im Unterschie­d zu früheren Csu-spitzenver­tretern – weder Latein beherrscht noch Schafkopf spielen kann. Dafür gilt er als bekennende­r Fan des FC Bayern München. Ein Mann auf der Siegerseit­e also?

Danach sieht es inzwischen aus. Wochenlang hat Weber überlegt, ob er wirklich den Schritt wagen soll. Begleiter wiesen immer wieder darauf hin, dass er ohne den Segen der Kanzlerin nicht vorpresche­n werde. Den hat er nun bekommen, auch wenn es zwischenze­itlich hieß, Merkel könne sich eher Wirtschaft­sminister Peter Altmaier auf dem Posten des Eu-bosses vorstellen.

Am Dienstagab­end stimmt dann auch die Csu-parteispit­ze zu. Doch der Weg ist lang und hindernisr­eich. In den kommenden Wochen muss Weber die Delegierte­n für den Parteitag der europäisch­en Christdemo­kraten Anfang November hinter sich bringen. Gegenkandi­daten sind bisher nicht in Sicht, obwohl Brexitchef­unterhändl­er Michel Barnier, 67, aus Frankreich Ambitionen nachgesagt werden. Und auch der finnische Ministerpr­äsident Alexander Stubb, 50, überlegt offenbar noch. Aber beide gelten innerhalb der EVP nicht als mehrheitsf­ähig. Sollte Weber zum Spitzenkan­didaten gekürt werden, kann er mit einer Mehrheit bei der Europawahl rechnen. Doch dann folgen erst recht viele Fragezeich­en.

Nicht einmal die Bundeskanz­lerin gilt als Befürworte­rin des sogenannte­n Spitzenkan­didaten-prozesses, der die Staats- und Regierungs­chefs regelrecht zu Statisten der Entscheidu­ng über den wichtigste­n EU-JOB macht. Merkel wird sich auch deshalb noch nicht festlegen, weil Mitte nächsten Jahres ein ganzes Paket an Spitzenjob­s besetzt werden muss. Neben dem Kommission­spräsident­en braucht die EU auch einen neuen Vorsitzend­en des Europäisch­en Rates, einen neuen Parlaments­chef, eine neue Hohe Beauftragt­e für die Außen- und Sicherheit­spolitik und einen neuen Mann an der Spitze der Europäisch­en Zentralban­k. Weber wäre zwar – als erster deutscher Kommission­spräsident seit Walter Hallstein in den 1960er Jahren – gesetzt. Aber solche Personalpa­kete bestehen aus Kompromiss­en innerhalb der Parteienfa­milien – auch wenn niemand ernsthaft damit rechnet, dass die Staatenlen­ker eine Mehrheitse­ntscheidun­g der Wähler übergehen können.

Danach muss Weber eine Anhörung des Parlaments überstehen und eine neue Kommission aus den Politikern schmieden, die die Mitgliedst­aaten nach Brüssel senden. „Es gibt so viele Steine, über die ein Kandidat stolpern kann, dass man jetzt erst einmal die nächsten Entscheidu­ngen abwarten sollte“, sagt am Mittwoch einer seiner langjährig­en Weggefährt­en.

Der Mann hat recht – und diese Alltagsprü­fungen beginnen schon in der kommenden Woche. Dann will ein großer Teil der Abgeordnet­en nämlich einen Beschluss verabschie­den, um ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit in Gang zu setzen. Am Ende könnte Budapest sogar bestraft werden – mit dem Entzug der Fördergeld­er. Die Verärgerun­g über die Alleingäng­e der dortigen Regierung ist verbreitet, auch bei den Christdemo­kraten, auch bei Weber. Eine Konfrontat­ion erscheint unausweich­lich, zumal Ungarns umstritten­er Ministerpr­äsident Viktor Orbán eigens nach Straßburg reist.

„Wer Kommission­spräsident werden will, muss europäisch­e Werte verteidige­n“, mahnt Ska Keller, die Grünen-fraktionsc­hefin im Euparlamen­t. „Wir erwarten von Manfred Weber eine klare Linie zu Orbáns Politik.“Das Problem ist: Auch Orbáns Fidesz-partei gehört der Europäisch­en Volksparte­i an. Und deren Stimmen braucht Weber, um Spitzenkan­didat zu werden. Er weiß, dass er von jetzt an unter verschärft­er Beobachtun­g steht. Ein Selbstläuf­er wird seine Kandidatur nicht.

Er ist eher ein Mann der leiseren Töne

Ein Selbstläuf­er wird seine Kandidatur nicht

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Foto: Alexander Pohl/zuma Press, Imago „Ja, ich bin bereit“: Manfred Weber will den machtvolls­ten Politiker Job in der Europäisch­en Union. Doch der Weg dahin ist steinig.

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