Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Große Nase und hippe Liebesvers­e

Tagsüber wird Cyril gehänselt, abends ist er als Maskenmann ein gefeierter Rapper. Regisseur Aron Lehmann macht aus dem Klassiker „Cyrano de Bergerac“einen frechen Jugendfilm

- VON MARTIN SCHWICKERT

Cyril (Aaron Hilmer) ist Kummer gewohnt. Seit den ersten Schultagen wird er wegen seiner riesigen Nase geärgert. Das Leben auf dem Schulhof ist für ihn ein fortwähren­des Spießruten­laufen. Trotzdem hat Cyril sein Selbstwert­gefühl nicht verloren. Er hat ein Ventil gefunden, durch das er seine Wut und seine Sehnsüchte hinaus lassen kann: Mit einer Maske über dem Gesicht liefert er sich in Hip-hop-battles erbitterte Reimgefech­te. Er ist schnell, er ist schlagfert­ig und seine Worte fliegen direkt aus seinem schmerzend­en Herzen hinaus. Der geheimnisv­olle Maskenmann wird in der Szene gefeiert und am Morgen danach von seinen Mitschüler­n verachtet. Und jetzt geht es auch noch auf Klassenfah­rt. Nach Berlin. Krank stellen hilft nicht. Die ebenfalls recht großnäsige Mutter (Anke Engelke) ist unerbittli­ch.

Aber dann, kurz bevor der Bus seine Türen schließt, fährt Roxy (Luna Wedler) vor. Die neue Mitschüler­in, die gerade von einem englischen Internat geflogen ist, hat genauso wenig Lust auf Klassenfah­rt. Die beiden verstehen sich prächtig. Aber trotz tosendem Herzen rechnet sich Cyril keine Chancen bei diesem Mädchen aus, das bald von allen umschwärmt wird. Oberaufrei­ßer Benno (Jonas Ems) hat schon eine Wette abgeschlos­sen, dass er die Neue samt Beweisvide­o ins Bett kriegt. Roxy hingegen interessie­rt sich eher für den superhübsc­hen, aber leider auch superhohle­n Rick (Damian Hardung), der sich malerisch mit Gitarre auf dem Mäuerchen drappiert, jedoch im direkten zwischenme­nschlichen Umgang kein Wort herausbeko­mmt. Um Bennos Pläne zu durchkreuz­en hilft Cyril dem unbedarfte­n Nick, denn die Worte, die dem Schönling fehlen, hat er im Übermaß. Herzerweic­hende Liebesgedi­chte fliegen Roxy über den Whatsapp-account des tumben Strohmanne­s entgegen. Dramatisch­e amouröse Verwicklun­gen nehmen ihre Fahrt auf.

Große Nase, eine unerreichb­are Frau und fein geschmiede­te Liebesvers­e – die Plotzutate­n, die Aron Lehmann in „Das schönste Mädchen der Welt“auf der Leinwand ausbreitet, kommen einem irgendwie bekannt vor. Kein Wunder, denn Lehmann hat den Literaturu­nd Kinoklassi­ker „Cyrano de Bergerac“dreist ins hippe Jugendfilm­format übersetzt. Der Erzählrahm­en einer Klassenfah­rt und die coolen Sprüche docken am Publikumsl­iebling „Fack ju Göhte“an. Aber tief drin schlägt das Herz eines klassische­n Verwechslu­ngsdramas.

Kann das gut gehen? Eigentlich nicht, tut es aber trotzdem. Weil die Drehbuchau­toren Lars Kraume („Das schweigend­e Klassenzim­mer“) und Judy Horney sich dem jungen Zielpublik­um nicht durch Pennälerhu­mor anbiedern. Vielmehr bringen sie ihre Geschichte genau in jene Balance zwischen leichter Komödie und Herzblutdr­ama, die ja auch dem Wesen pubertärer Liebesfind­ung stets innewohnt. Mit dem Wechselver­hältnis zwischen äußerer und innerer Schönheit wird hier zudem ein ewiges Thema der Adoleszenz glaubwürdi­g und ohne fadenschei­niges Moralisier­en ins Zentrum gerückt.

Aaron Hilmer und Luna Wedler geben ein herzallerl­iebstes, verhindert­es Liebespaar ab, gerade weil hier die klassische­n Geschlecht­erzuschrei­bungen gut aufgemisch­t werden. Mit „Das schönste Mädchen der Welt“zeigt Aron Lehmann, dass man eine jugendlich­e Zielgruppe bestens unterhalte­n und sie trotzdem ernst nehmen kann. Damit setzt der Film ein selbstbewu­sstes Zeichen gegen die Verblödung­sstrategie­n, die immer noch viel zu viele amerikanis­che und deutsche Teenie-komödien antreiben.

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Foto: Nadja Klier/tobis Film Das verhindert­e Liebespaar Roxy (Luna Wedler) und Cyril (Aaron Hilmer) auf Klassenfah­rt.

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