Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Buch wächst in die Welt hinein
Peter Stamm spricht im Anna-gymnasium über sein neues Werk und sein Werden
Einer musste diese Frage stellen. Sie kam gleich als erste im Anna-gymnasium, nachdem der Autor Peter Stamm aus seinem neuen Buch „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“(Verlag S. Fischer) gelesen hatte. „Und“, fragte ein Schüler, „wie viel war jetzt in Ihrem Buch autobiografisch?“„Gar nichts. Und doch einiges“, antwortete Peter Stamm. Zu seiner Lesung im Gymnasium hatten ihn die Ehemaligen-vereinigung Societas Annensis und die Fachschaft Deutsch eingeladen.
Der Schweizer Peter Stamm, der heute zu den namhaften Gegenwartsliteraten zählt, stellte in klarer, authentischer Sprache die ersten Kapitel des Buches vor. Die Hauptfigur ist der Schriftsteller Christoph, der sich in Stockholm mit der viel jüngeren Lena trifft und ihr seine Geschichte erzählt. Sie beginnt damit, dass er, auf Lesereise in seinem Heimatdorf, plötzlich sich selbst als jungem Nachtportier, der er einmal war, begegnet. Lena weiß, wie diese Geschichte, eine Liebesgeschichte, weitergeht. Denn sie ist der Magdalena von damals sehr ähnlich. Ja, sogar gleich. Es beginnt ein wunderbares Wechselspiel von Vergangenheit und Gegenwart, von Identitäten und der großen Frage, ob sich ein Leben einfach wiederholen kann.
Fast eine Stunde ging Stamm auf die Fragen seiner Zuhörer ein. Vor allem die Schüler der Oberstufe waren höchst interessiert und gut vorbereitet. Sie wollten wissen, wie sich so ein Roman entwickelt, ob das Schreiben Freude macht, warum er kaum Gefühle beschreibt, ja auch, wie man sich seinen Arbeitsplatz vorstellen kann. „Mit dem Laptop auf den Knien, an einem Fenster, das bis zum Boden geht und mit Blick auf die Bäume“, sagte Stamm.
„Das Schreiben hat viel mit Präsens zu tun“, sagte er. Ein Roman im Werden sei vergleichbar mit dem Leben. Nichts wiederholt sich einfach. „So wie ich älter werde“, so Stamm, „wächst ein Buch hinein in die Welt, in seine Zeit, nimmt ihren Geruch an.“Als Autor beschreibt er diese Welt und ihre Menschen. Und stellt sich nicht über sie als ein allwissender Erzähler. Von wem denn die Figur Stefanie in seiner Kurzgeschichte „Am Eisweiher“schwanger geworden sei? Stamm: „Ich weiß es nicht. Alles, was nicht im Text ist, das gibt es nicht.“
Und ja, es stimme, dass er keine Gefühle beschreibt. Auch hier wisse der Erzähler nicht mehr als seine Figuren. „Ich versuche, nur das Äußere zu beschreiben, so als würde ich der Figur wirklich begegnen.“An dem Abend wurde deutlich, was der Autor immer wieder aussprach: dass er Freude hat am Scheiben und auch gerne über seine Arbeit redet.