Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fleisch für die wachsende Stadt
Warum vor Jahrhunderten ungarische Ochsen bis nach Augsburg getrieben wurden
Sie waren in ganz Mitteleuropa gefragt: Ochsen aus Ungarn. Herden mit hunderten dieser hochgewachsenen, grauweißen Tiere wurden im 16. Jahrhundert von der magyarischen Tiefebene in Richtung der wachsenden Metropolen getrieben. Lediglich während der Expansion des Osmanischen Reiches zwischen 1526 und 1529 kam es zu Lieferengpässen. Doch Augsburg brauchte Fleisch. Der Wohlstand durch Handel und beginnende Textilproduktion zog Menschen in die Reichsstadt. Die Versorgung der 40 000 Einwohner wollte organisiert sein, wie Anna-maria Grillmeier bei Vorstellung ihrer Doktorarbeit „Fleisch für die Stadt“(Wissner Verlag) im gut besetzten Saal des Stadtarchivs sagte.
Für Augsburg und Schwaben war Wien der Hotspot für den Umschlag des ungarischen Viehs. 1000 Kilometer mussten die Trecks zurücklegen, meist entlang der Donau, alle 450 Kilometer wurde Rast gemacht. In Wien warteten Augsburger Viehtreiber, die zuvor Verträge mit den vier Metzgerzünften geschlossen hatten und in deren Auftrag Preise verhandelten. Ihren Ochsen brannten sie die Zeichen der jeweiligen Metzger ein und organisierten den Trieb. Auf 130 Tiere kamen vier bis fünf Treiber zu Pferd und zu Fuß.
Bevor die Ochsen den Augsburger Metzgern übergeben wurden, überquerten sie gegen Zoll die Brü-
und Stadtbibliothek cke in Lechhausen und lagerten auf den städtischen Weiden beim Roten, Wertachbrucker oder Stephinger Tor, um das bei den dreiwöchigen Trecks verlorene Fleisch wieder zuzusetzen. Große Herden grasten auch auf der Unteren Au des Freiherrn von Scherneck und auf der Meringer Au. Schon für 1421 kann Anna-maria Grillmaier schwunghaften Handel mit Vieh aus Südosteuropa nachweisen. Die Augsburger Baumeisterbücher verzeichnen für 1574 12000 Ochsenschlachtungen; das Steppenvieh aus Ungarn, so schätzt Grillmaier, dürfte etwa die Hälfte ausgemacht haben.
Der Fernhandel der Stadt fußte vor allem auf der Händlerfamilie Burkhard. 1551 waren bei der Hinteren Metzg sieben Metzger dieses Namens registriert. Martin Burkhard stand gegen Ende des Jahrhunderts einem Metzgerkonsortium von 24 Personen vor, 1595 führten zwei Verwandte eine 37-köpfige Metzgergesellschaft an. Aufzeichnungen der Zollstationen bestimmen die Größe der Burkhard’schen Trecks. So zahlte die Familie 1590 in Pfaffenhofen Gebühren für 17 Herden mit 2335 Ochsen und 870 Schafen. Der Krieg mit den Osmanen und steigende Zölle störten die Geschäfte im 17. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert verschwinden die Ochsentriebe aus der Landschaft. Vermutlich spielte auch die Armut der Weber in der Stadt eine Rolle. Für sie war Fleisch purer Luxus.