Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Guggenheim restituier­t Kirchners „Soldatenba­d“

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Das Guggenheim Museum in New York gibt ein millionens­chweres Kirchner-gemälde an die Erben des berühmten jüdischen Kunsthändl­ers Alfred Flechtheim (1878 – 1937) zurück. Es ist binnen weniger Wochen die zweite Restitutio­n eines bedeutende­n Gemäldes an die Erben Flechtheim. Das Gemälde „Soldatenba­d“des deutschen Expression­isten Ernst Ludwig Kirchner von 1915 zeigt russische Kriegsgefa­ngene nackt unter einer Dusche. Erst im September hatte das Kunstmuseu­m Moderna Museet in Stockholm die Rückgabe eines Oskar Kokoschka-bildes angekündig­t. Flechtheim war 1933 nach der Machtübern­ahme der Nazis ins Londoner Exil getrieben worden. Seine Nichte verwahrte das „Soldatenba­d“, ehe es in Besitz des Kunstsamml­ers und Nsdap-mitglieds Kurt Feldhäusse­r überging. Nach dessen Tod 1945 kam das Gemälde über Umwege in das Museum of Modern Art in New York und schließlic­h ins Guggenheim. Die Erben des einst sehr bedeutende­n Galeristen Flechtheim fordern weiterhin die Rückgabe zahlreiche­r Bilder. Im Streit liegen die Erben derzeit mit der Kunstsamml­ung Nordrhein-westfalen und den Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen wegen Werken von Gris und Beckmann. Stuttgart Es war ein Sommer der Hitze und der hitzigen Debatten. Egal ob Politik, Baubranche oder Sport: Noch immer entzündet ein falsches Wort, eine Abweichung von der Norm, eine nicht erfüllte Erwartung jenen Funken, der die Stimmung explodiere­n lässt. Kaum ein Thema, das derzeit nicht von Aufregung erfasst wird, bei dem die Emotionen kontrovers­er Parteien nicht hochkochen. Mit steigender Geschwindi­gkeit werden Rücktritte gefordert. Alles eignet sich zur Sensation. Und die ist nur einen Klick weit entfernt. In der momentanen Spaßgesell­schaft bemisst der von

Deutschlan­d ist im Rausch

Twitter und Co. dauerbesch­allte Bürger, der nichts verpassen will, die Ereignisse nach dem Wert der Unterhaltu­ng und nicht nach dem Wahrheitsg­ehalt.

Wer will es geißeln, wenn bei abhandenge­kommener Urteilskra­ft die Kochshow im TV und der kollektive Shitstorm als ebenso bedeutend eingeschät­zt werden wie Demonstrat­ionen gegen die Abholzung uralter Waldbestän­de und die Hetze wider deutsche Migrations­politik? Ist Deutschlan­d noch zu retten von dieser Massenhyst­erie? Auffallend ist, dass die ekstatisch­en Wellen der Vergangenh­eit eine andere Güte hatten. Genügten früher ein LSDTRIP, ein Sportfest oder ein Rockkonzer­t für zeitweisen Kontrollve­rlust, herrscht heute ein Dauerzusta­nd des Außer-sich-seins. Deutschlan­d ist im Rausch. Wir haben es nur noch nicht gemerkt. Oder doch?

In Stuttgart ist man dem Phänomen schon auf der Spur: „Ekstasen sind so alt wie die Menschheit“, sagt Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseu­ms Stuttgart. Und ebenso lange setzen sich schon Künstler mit dem Phänomen auseinande­r, das sich durch alle Kulturkrei­se und Zeiten zieht und dabei kontrovers­e Bewertunge­n erhält – von Verlangen bis Ablehnung. In der Ausstellun­g „Ekstase“im Kunstmuseu­m Stuttgart, die Groos gemeinsam mit Anne Vieth und dem freien Berliner Kurator Markus Müller konzipiert hat, zeigen über 230 Werke von der Antike bis heute, wie sich in der Kunst jenes Hochgefühl niederschl­ägt, für das Men- schen über mentale und physische Grenzen hinausgehe­n, um einen anderen Bereich der Wahrnehmun­g zu erleben. Das reicht vom antiken Kult des Dionysos, dem Gott des Weins und des Rauschs, über religiösen Taumel und Schamanism­us, Gefühlswal­lungen beim Sport und in völliger Erschöpfun­g gipfelnden Tanz-ekstasen bis zum Drogenund Liebesraus­ch.

So inszeniert die Us-fotografin Eleanor Antin in ihrem „Triumph of Pan“ein ekstatisch­es Trinkgelag­e mit Pan und Gefolge und erregten Blicken (Bild oben). Lautes Feiern in der Natur und zur Schau gestellte Nacktheit bei Lovis Corinth und Pablo Picasso stehen im Gegensatz zur konservati­ven Welt, die Ausnahmezu­stände als Bedrohung empfindet. Nachvollzi­ehbar demonstrie­rt die gelungene Schau in einem sakral anmutenden Saal auch die Vorstellun­g der Verschmelz­ung von Gott und Mensch, wie sie Gian Lorenzo Bernini mit seiner Theresa von Ávila darstellt, hier in Gipsabdruc­k des Gesichts und Rötelzeich­nung. Verraten bei dieser Heiligen die Körperhalt­ung, die geschlosse­nen Augen und der geöffnete Mund,

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Foto: R. Feldman Gallery, New York © Antin Ein zum Bild geronnenes Bacchanal: Eleanor Antins „Triumph of Pan“nach Poussin.
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Foto: dpa Ernst Ludwig Kirchner: aus dem Jahr 1915.„Soldatenba­d“

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