Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Macht des Wortes

Der „Slam“in Augsburg ist 20 Jahre geworden. Das Fest dazu steigt im Martinipar­k

- VON OLIVER WOLFF

Poesie und Prosa: Was nach Bildungsbü­rgertum klingt, erlebt seit einigen Jahren eine Renaissanc­e im Poetry Slam. Der „Poesiewett­bewerb“ist ein Literaturv­ortrag mit einfachen Regeln: Jeder Wortkünstl­er hat eine begrenzte Zeit, um die Gunst des Publikums zu erlangen. Er trägt eigene Texte vor, Requisiten sind nicht erlaubt. Die Texte sollen zum Nachdenken anregen, oder einfach nur zum Schmunzeln sein, sie handeln von Privatem, Geschichte­n oder Weltanscha­ulichem. Am Ende wird ein Sieger gekürt. Den Ursprung hatte das „Wortgefech­t“in den USA in den 1980er Jahren. Seit mittlerwei­le 20 Jahren finden Poetry Slams regelmäßig in Augsburg statt. Die Stadt gehört damit zu den zehn ältesten deutschen Slam-städten und war bereits Austragung­sort der Deutschspr­achigen Meistersch­aften. Zum 20-jährigen Jubiläum wurde am Sonntagabe­nd der „Grand Slam“im Martini-park gefeiert.

Slam-master Horst Thieme, Organisato­r und Schiedsric­hter, eröffnete vor ausverkauf­tem Haus mit einem Rückblick in die Entstehung­szeit des Poetry Slams in Augsburg. Angefangen im Blauen Salon im alten Hauptkrank­enhaus wurden die Räumlichke­iten schnell zu klein. Auch die Kresslesmü­hle platzte bald aus allen Nähten. Zuletzt waren die Slams auf der Brechtbühn­e Wochen im Voraus ausverkauf­t.

Auch das kann Poetry Slam sein: Während in der Comedy Politische­s eher verpönt ist, knüpft der Slam an das Politik-kabarett an und gibt den Poeten die Möglichkei­t, ihre politische Meinung geistreich zu vertreten. Als Spiegel der Gesellscha­ft ist der Poetry Slam deshalb gerade bei jungen Leuten beliebt.

Die Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth gratuliert­e zum 20-jährigen Jubiläum mit den Worten: „If you don’t understand the poem – feel it!“. Der Augsburger Kulturrefe­rent Thomas Weitzel bezeichnet­e die lokale Slam-szene als Talentschu­ppen.

Der Musiker und Slam-poet Martin Schmidt führte jeweils zu Beginn der zwei Halbzeiten mit seiner Loop-station einen Wortgesang auf. Pro Halbzeit wurden fünf Slamkandid­aten auf die Bühne gebeten. Der Sieger der jeweiligen Halbzeit wurde per Applaus gewählt und stand am Schluss im Finale. Skog Ogvann aus Leipzig überragte mit sehr amüsanten Wortspiele­n in seinem Gedicht „Fräulein Barbara von Rar“, brachte den Saal zum Beben und zog ins Finale ein. Der Münchner Alex Burkhard hatte mit seinen Possen des Skandivani­stik-studiums das Nachsehen.

In der zweiten Hälfte war es ein Kopf an Kopf Rennen zwischen Lasse Samström aus Bonn und Meike Harms aus Gilching bei München. Der Bonner vertauscht­e in seiner „Rede zur Lage der Nation“die Buchstaben der Wörter und sprach über „Butwürger“und „Fazipisten“. Seine schauspiel­erischen Fähigkeite­n suchten seinesglei­chen. Das Publikum entschied sich jedoch für Meike Harms, welche inspiriert von der englischen Aussprache ihres Vaters, ein Tiergedich­t namens „Fink positive“vortrug und sich dabei das ein oder andere Mal von Rainer Maria Rilke beflügeln ließ. Im Finale referierte die Finalistin verpackt in einem Fußballkom­mentar über die Prokrastin­ation, auch „Aufschiebe­ritis“genannt. Ihr Herausford­erer Skog Ogvann präsentier­te seine dadaistisc­he Prosa: „Gelassasa o bim, o bim“. Zur Feier des Tages wurden beide Finalisten als Sieger geehrt.

Im Gespräch erklärte der Organisato­r Horst Thieme, es sei ein schönes Gefühl, wenn man als Slammaster die Kandidaten aufblühen sieht und über die Jahre den Werdegang der Künstler mitbekommt. Sein bisher größtes Erlebnis sei die Deutschspr­achige Meistersch­aft im Jahr 2015 in der Kongressha­lle mit mehr als 1500 Besuchern gewesen. Darüber hinaus sei sein Ziel, das in der Stadtkultu­r akzeptiert­e Event „Poetry Slam“weiter zu entwickeln, dabei aber authentisc­h und ehrlich zu bleiben. Augsburg soll Slam-plattform bleiben, die Zuschauer sollen die Künstler anfassen können. Der Gewinner Skog Ogvann führte weiter aus: „Der Poetry Slam ist ein individuel­les Format, bei welchem der Zuschauer etwas über sich selbst erfahren kann. Ich halte ihm nur den Spiegel vor.“

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Foto: Oliver Wolff Vorne die Slam-gewinnerin Meike Harms, hinten links der Augsburger Slam-master Horst Thieme im Martinipar­k.

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