Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von der Suche nach der Säule

Smart setzt voll auf Strom, Skandinavi­en setzt voll auf Stromer: Warum eine Ausfahrt mit dem elektrifiz­ierten Daimler-winzling durch Kopenhagen trotzdem einige Schwächen offenbart – und zwar am Auto wie auch an der Infrastruk­tur

- VON MICHAEL GEBHARDT

Kopenhagen 15 Grad und strömender Regen sind gewiss nicht die optimalen Bedingunge­n für einen zehnminüti­gen Spaziergan­g durch Kopenhagen, bepackt mit Koffer und Laptop-tasche. Auf dem Weg von der Ladesäule zum Hotel werfen wir deshalb unweigerli­ch den ein oder anderen wehmütigen Blick auf all die Benziner, Diesel und Gasautos, deren Fahrer trockenen Fußes von der Zapfsäule zur Kasse spazieren, um nach wenigen Minuten wieder weiterzufa­hren – und dann wahrschein­lich direkt vor ihrer Haustür zu parken.

Selbst im vermeintli­ch grünen Skandinavi­en, das als Vorreiter der E-mobilität gilt, sind Ladesäulen mitunter Mangelware und, wer nicht über einen eigenen Stellplatz mit Steckdose verfügt, braucht immer noch reichlich grünes Gewissen und Pioniergei­st. Und Geduld: Die ein oder andere Extra-runde gehört auch in Kopenhagen, das sich bis 2025 Co2-neutralitä­t auf die Agenda geschriebe­n hat, dazu, um eine freie Ladesäule zu finden.

Zwar gibt es inzwischen Apps wie Plugsurfin­g oder Chargemap, die über Standorte und teilweise auch Belegung informiere­n. Doch die Informatio­nen stimmen nicht immer. Und selbst wenn die angesteuer­te Steckdose frei ist, drohen noch Überraschu­ngen. Obwohl wir mit drei Ladekarten und einem separaten Chip ausgerüste­t waren, wollte sich nicht jede Ladesäule zur Strom- überreden lassen. Von einem einheitlic­hen Zugangs- und Bezahlsyst­em kann man bislang ohnehin nur träumen.

Ob sich das alles in den nächsten zwei Jahren schlagarti­g ändert, bleibt abzuwarten. Der Entschluss der Daimler-tochter Smart steht dagegen fest: Mit der kommenden Fortwo-generation – also voraussich­tlich ab 2020 – bietet die Marke keine Autos mehr mit Verbrenner an. Erfahrung mit dem E-antrieb haben die Schwaben reichlich, schon seit über zehn Jahren steht der Smart unter Strom. Vollends ausgereift wirkt dagegen auch Generation 3, die seit kurzem als Smart EQ auftritt, noch nicht. Ein Problem: die Reichweite. 160 Kilometer verspricht Smart, realistisc­h sind 120. Da überlegt man sich am Abend zwei Mal, ob man wirklich auf das Laden verzichten will. Zwar reicht der 17,6-kwh-akku in der Regel für zwei, drei Tage aus. Wer aber weiß schon, ob er am nächsten Tag nicht vielleicht spontan noch einen Abstecher zum Möbelhaus machen will? Mit 200 bis 300 möglichen Kiabgabe lometern im Akku – wie sie viele Konkurrent­en mittlerwei­le bieten – ist man da deutlich entspannte­r.

Dazu kommt die eingeschrä­nkte Rekuperati­onsmöglich­keit. Während der 60-kw-motor beim Fahren Energie aus der Batterie zieht, kann er beim Rollen und Bremsen wieder Strom zurückgewi­nnen und einspeisen. Bei den meisten E-autos lässt sich einstellen, wie stark man rekuperier­en will, auf der höchsten Stufe lassen sich die meisten Autos in der Regel sogar nur mit dem Fahrpedal bedienen. Lässt man das los, verzögern die Stromer bis zum Stillstand. Die mechanisch­e Bremse wird nur selten benötigt und entspreche­nd geschont. Der Smart rekuperier­t freilich auch und erkennt dank eines Radars beispielsw­eise vorausfahr­ende Autos und nimmt dann Geschwindi­gkeit raus. Ein klassische­s Ein-pedal-auto ist er aber nicht, und ohne auf die Bremse zu treten kommt der EQ nicht wirklich zum Stillstand.

Dabei schont maximale Rekuperati­onsleistun­g nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel. Die Bremsen halten länger, und der so zurückgewo­nnene Strom kostet nichts. Das ist vor allem in Skandinavi­en ein gutes Argument. An öffentlich­en Ladesäulen werden manchmal bis zu 1,30 Euro pro Kilowattst­unde aufgerufen – von denen der Smart mitunter 15 pro 100 Kilometer verbraucht oder umgerechne­t rund 20 Euro. Da fährt fast jeder Benziner günstiger! Zumal E-auto-fahrer in Kopenhagen keine wirklichen Vorteile haben: Die Busspuren sind für sie genauso tabu wie für alle anderen Autos, und selbst wer an der Steckdose parkt und teuren Strom tankt, muss zusätzlich noch seine Parkgebühr bezahlen.

Smart-fahrer sind es gewohnt, ordentlich zur Kasse gebeten zu werden. Mindestens 21 490 Euro ruft die Daimler-tochter für den Basis-eq auf. Das ist happig, bedenkt man, dass Materialau­swahl und Verarbeitu­ng eher mittelmäßi­g sind und der Smart ab Werk nicht mal mit Infotainme­nt-system vorfährt. Wenn sie schon alles auf die Elektro-karte setzen, müssen die Schwaben bei der nächsten Smartgener­ation daran genauso arbeiten wie an der Akku-kapazität.

 ?? Fotos: Daimler AG ?? Komm lass uns laden: Selbst in Skandinavi­en, vermeintli­cher Vorreiter in Sachen Elektromob­ilität, sind Ladesäulen mitunter Mangelware. Dabei müsste der Smart alle 120 Kilometer an die Strippe.
Fotos: Daimler AG Komm lass uns laden: Selbst in Skandinavi­en, vermeintli­cher Vorreiter in Sachen Elektromob­ilität, sind Ladesäulen mitunter Mangelware. Dabei müsste der Smart alle 120 Kilometer an die Strippe.

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