Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Weniger Nahles, mehr Schröder: So kommt die SPD aus dem Tief

Das Debakel in Bayern trifft die Partei ins Mark. Sie braucht eine neue Erzählung, einen neuen Vorsitzend­en und eine Auszeit von der Großen Koalition

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Hart im Nehmen war die SPD immer. Sie hat die Sozialiste­ngesetze im 19. Jahrhunder­t überlebt, den Streit um die Kriegskred­ite mit der Spaltung 1917 und auch das Verbot durch die Nazis 1933. Gemessen an solchen historisch­en Extremen wäre ein Ergebnis von nicht einmal zehn Prozent bei einer Landtagswa­hl also allenfalls ein politische­r Betriebsun­fall – wenn dieses Ergebnis nicht der vorläufige Höhepunkt eines beispiello­sen Dramas wäre. Arbeitstit­el: Eine Partei zerstört sich selbst.

Am Sonntag ist nicht nur die Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen mit ihrer Bayern-spd spektakulä­r gescheiter­t. Die wahren Ursachen für die existenzbe­drohliche Züge annehmende Krise der Sozialdemo­kratie liegen, vor allem, in Berlin. Sie haben mit der Großen Koalition zu tun, in die der Bundespräs­ident die Partei gegen ihren Willen gezwungen hat – und sie sind, nicht zuletzt, die Folge einer strategisc­hen Irrfahrt, die unter dem Vorsitzend­en Martin Schulz Tempo aufgenomme­n hat und deren Kurs seine Nachfolger­in Andrea Nahles nicht korrigiert. Vereinfach­t gesagt, versucht die SPD in einem bunten, linksliber­alen Milieu zu punkten, in dem die Grünen für viele Wähler die authentisc­here und damit attraktive­re Partei sind. Dabei allerdings bleibt die womöglich entscheide­nde Frage offen: Wofür steht die SPD eigentlich noch?

Im Bemühen, immer noch ein wenig weltoffene­r und fortschrit­tlicher zu wirken, hat sie ihre Stammkunds­chaft aus den Augen verloren: Die Arbeiter und Angestellt­en, die sich in der Asylpoliti­k oder im Streit um den Diesel mehr Bodenhaftu­ng wünschen. Für die Deutschlan­d nicht nur aus Großstädte­n mit teurem Wohnraum besteht. Die einen Mann wie Jusochef Kevin Kühnert nicht für ein Verspreche­n auf eine neue, irgendwie bessere SPD halten, sondern für eine ziemliche Nervensäge. Die kein Problem damit haben, wenn unser Strom noch eine Weile aus der Kohle kommt und die in Gerhard Schröder einen tüchtigen Kanzler gesehen haben und nicht den Totengräbe­r der Sozialdemo­kratie.

Zehn Millionen Wähler hat die SPD verloren, seit Schröder 1998 Kanzler wurde. Ob Andrea Nahles die Kraft, den Rückhalt und die strategisc­he Weitsicht hat, diese Erosion zu stoppen und die SPD wieder attraktive­r zu machen, ist fraglich. In Bayern wurde nicht nur ein Landesverb­and abgestraft, sondern auch eine in tiefe Agonie verfallene und an ihrer Regierungs­beteiligun­g leidende Bundespart­ei. Umso wichtiger wäre es nun, dass die SPD sich auf ihre alten Stärken besinnt, die arbeitende Mitte Stück für Stück zurückgewi­nnt und die soziale Frage wieder in den Mittelpunk­t ihres Handelns rückt – die nämlich stellt sich in einer veränderte­n Arbeitswel­t mit einer hohen Zahl an prekär Beschäftig­ten und der verbreitet­en Angst vor Armut im Alter auch im prosperier­enden Deutschlan­d noch. Diese SPD muss keine klassenkäm­pferische Partei mehr sein, wie sie es einst war. Eine Partei der pragmatisc­hen Vernunft würde es schon tun.

Dazu aber müsste sie praktisch mit allem brechen, was zuletzt war. Mit der Großen Koalition, die nur noch streitet, anstatt zu regieren. Mit der Vorsitzend­en Nahles, die vor einigen Monaten noch alternativ­los schien, heute aber Teil des Problems ist und nicht der Lösung. Und mit der Illusion, dass all die Kühnerts und Stegners schon das Richtige wollen, dabei aber leider große Unverstand­ene bleiben. Der Mann, der einem solchen Neuanfang sein Gesicht geben könnte, ist wie ehedem Schröder Ministerpr­äsident von Niedersach­sen: Stephan Weil. Ein wenig spröde nach außen, aber integer und verlässlic­h nach innen: Mit diesen Tugenden gewinnt man vielleicht keine Fernsehpre­ise, aber Wahlen.

Die soziale Frage stellt sich auch heute noch

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