Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nichtangri­ffspakt

Nein, keine Diskussion über die Zukunft von Horst Seehofer. Kritik von der CDU? Kein Kommentar. Die Christsozi­alen sind bemüht, am Tag nach dem Debakel keine Störfeuer zuzulassen. Es geht ja um die neue Regierung. Dabei sind die Risse in der Partei unüber

- VON ULI BACHMEIER

München Thomas Kreuzer, als Chef der Landtagsfr­aktion der ranghöchst­e Schwabe unter den Csulandesp­olitikern, hat eine gehörige Wut im Bauch an diesem Morgen. Das Wahldebake­l seiner Partei trifft ihn auch persönlich. Kreuzers Lebensgefä­hrtin, die Münchner Csulandtag­sabgeordne­te Mechtilde Wittmann, hat den Wiedereinz­ug in den Landtag denkbar knapp verpasst. Nur 78 Stimmen fehlten ihr im Wahlkreis Moosach im Kopf-ankopf-rennen mit dem weitgehend unbekannte­n Grünen-kandidaten Adjei Benjamin. Die Laune, mit der Kreuzer vor der Csu-parteizent­rale eintrifft, ist entspreche­nd. Seine Wut richtet sich auch gegen Presse, Funk und Fernsehen. Er schimpft über eine „Medienkamp­agne“, die gegen die CSU gerichtet gewesen sei, „wie wir sie noch nie erlebt haben“. Den Einwand, dass Mediensche­lte politisch noch nie etwas geholfen habe, wischt er barsch zur Seite. „Dem Trump hat es geholfen“, sagt Kreuzer, dreht sich um und geht hinein zur Sitzung des Vorstands.

Wenige Meter entfernt steht die stellvertr­etende Csu-vorsitzend­e und scheidende Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm. Auch sie wird, weil sie ohne eigenen Stimmkreis bei diesem Wahlergebn­is keine Chance hatte, dem nächsten Landtag nicht angehören. Doch die 73-Jährige trägt das Ende ihrer politische­n Karriere mit Fassung. Sie hatte sich im 50. Jahr ihrer Partei-mitgliedsc­haft ohnehin keine Hoffnungen mehr gemacht. Und sie hat es noch einmal allen gezeigt. Die CSU in Unterfrank­en hat erneut das mit Abstand beste Zweitstimm­energebnis geholt – mit Stamm als Listenführ­erin.

Stamm und Kreuzer gehören zwar derselben Partei an, aber politisch liegen kleine Welten zwischen ihnen. In der einst übermächti­gen Volksparte­i CSU war das früher kein Problem. Im Gegenteil. Eine große politische Bandbreite abzudecken – von den Nationalko­nservative­n weit rechts bis zu Wirtschaft­sliberalen und Christsozi­alen in der bürgerlich­en Mitte –, das war ihre größte Stärke. Aktuell aber geht ein Riss durch die CSU. Kreuzer und Stamm stehen dafür beispielha­ft. Kreuzer ist ein scharfer Kritiker der Cdu-chefin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Er ist der Überzeugun­g, dass nur ein von Anfang an strengerer Kurs in der Flüchtling­spolitik die AFD klein gehalten hätte. Stamm ist überzeugt, dass die CSU viel zu viel und viel zu selbstkrit­isch über die Flüchtling­skrise gesprochen, ihre Erfolge nicht genügend betont und deshalb in der bürgerlich­en Mitte das meiste Vertrauen verloren hat.

Doch bevor im Parteivors­tand über die Ursachen des Debakels und mögliche Konsequenz­en diskutiert werden kann, muss an diesem strahlend blauen Oktobermor­gen erst einmal das Damoklessc­hwert weggeräumt werden, das über der CSU nach dem Absturz auf 37,2 Prozent hängt: die drohende Personalde­batte über Parteichef und Bundesinne­nminister Horst Seehofer. Sein Dauerrival­e, Ministerpr­äsident Markus Söder, sitzt trotz der dramatisch­en Stimmenver­luste offenbar recht sicher im Sattel. Das ist, wie es heißt, eindeutige Mehrheitsm­einung im Vorstand. Es hätte noch kommen können, sagen viele. Söder habe leidenscha­ftlich und mit höchstem Einsatz gekämpft.

Seehofer aber war in der Partei in München schon vor der Wahl als Sündenbock auserkoren worden. Das jahrelange Hin und Her mit Merkel in der Flüchtling­spolitik, der chaotische Streit um Verfassung­sschutzprä­sident Hans-georg Maaßen und das insgesamt schlechte Erscheinun­gsbild der Großen Koalition in Berlin wird in der CSU vor allem ihm angekreide­t. Wird er sich halten können, wenn jetzt gleich der Parteivors­tand zusammentr­itt?

Seehofer ist ein alter Politfuchs. Er weiß, worauf es in so einer Situation ankommt. Er weiß sich zu verteidige­n. Schon lange vor der Sitzung trifft er in der Parteizent­rale ein und nimmt sich ausführlic­h Zeit für die Journalist­en vor der Tür. Er sagt: „Ich stehe für jede Debatte zur Verfügung.“Er betont: „Es ist nicht so, dass ich jetzt in den Vorstand gehe und sage, die Leute dürfen diese oder jene Meinung nicht äußern.“Er räumt eine möglicherw­eise gefährlich­e Stolperfal­le aus dem Weg, indem er Söder die Federführu­ng in den nun anstehende­n Koalitions­gesprächen in München überlässt. Er macht aber auch klar, dass er im Moment gar nicht daran denkt, freiwillig seinen Stuhl als CSU-CHEF zu räumen: „Ich führe auch heute keine Personaldi­skussion. Von mir aus nein.“Nicht einmal auf die Anwürfe aus der Schwesterp­artei CDU mag er reagieren: „Das kommentier­en wir jetzt nicht öffentlich, was da gestern und heute von der CDU gesagt wurde.“

Von Söder scheint Seehofer im Moment nichts zu trennen. Die Frage nach einem möglichen Rückzug des Ministerpr­äsidenten und Spitzenkan­didaten, die nach den herben Verlusten zumindest nicht völlig abwegig ist, weist der CSU-CHEF scharf zurück: „Diese Frage stellt sich jetzt wirklich nicht.“Ein Journalist will wissen: War vielleicht die Doppelspit­ze ein Teil des Problems? Seehofer kontert: „Nein, das war goldrichti­g.“Die Doppelspit­ze habe sich „sehr bewährt“. Wichtig sei nur, dass man übereinsti­mme, wenn es um grundsätzl­iche Weichenste­llungen gehe. In der aktuell wichtigste­n landespoli­tischen Frage ist das offenkundi­g der Fall: Seehofer wie Söder halten eine bürgerlich­e Koalition mit den Freien Wählern für die beste Lösung.

Wenig später kommt Söder und schnell wird klar, dass der „Nichtangri­ffspakt“zwischen den beiden Herren, über den schon seit Sonntag in München getuschelt wird, zumindest an diesem Montag nach der Wahl halten wird. Sein wichtigste­s Ziel sei jetzt, sagt Söder, „eine seriöse und stabile Regierungs­bildung“. Er will sich in den kommenden Wochen ganz auf Bayern konzentrie­schlimmer ren. „Es wird meine Aufgabe sein, das zusammenzu­führen“, sagt Söder. Also keine Personalde­batte über den CSU-CHEF? Antwort Söder: „Von meiner Seite aus geht es jetzt nur um Bayern.“

Um die CSU und um mögliche Konsequenz­en aus dem Wahldebake­l – inhaltlich wie personell – allerdings geht es für die angeschlag­ene Partei selbstvers­tändlich auch. Und das, was Kreuzer und Stamm trennt, das trennt auch viele andere Csugranden.

Der Ehrenvorsi­tzende Theo Waigel etwa spricht sich strikt gegen einen weiteren Rechtsruck der Partei aus. „Rechte Parolen muss man konsequent bekämpfen, so wie wir das mit NPD und Republikan­ern gemacht haben“, sagt Waigel auf dem Weg in den Vorstand. Etwas später berichten Teilnehmer aus der Sitzung, Waigel habe mit deutlichen Worten die „Anti-merkel-stimmung“in der CSU kritisiert.

Zu den Vertretern eines gemäßigten Kurses gehört auch der Europapoli­tiker Manfred Weber. „Wir haben in der Mitte doppelt so viele Stimmen verloren wie an die AFD“, sagt Weber im Gespräch mit unserer Redaktion. Weber meint mit „Mitte“jene Wähler, die von der CSU zu den Freien Wählern oder den Grünen abgewander­t sind. Andere dagegen sehen das Hauptprobl­em auf der rechten Seite des Parteiensp­ektrums, also bei der AFD und – schon etwas länger – bei den Freien Wählern.

Für Fraktionsc­hef Kreuzer oder auch für Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt bleibt die AFD die größte Herausford­erung. Dobrindt hat schon vor einiger Zeit eine „konservati­ve Revolution“gefordert. Und auch Parteichef Seehofer scheint aktuell mehr nach rechts zu schauen. Wenn die ersten Daten über die Wählerwand­erungen zutreffen, so Seehofer, dann habe die CSU an Freie Wähler und AFD sehr stark verloren. Deshalb müsse die CSU auch dort ansetzen, um den Negativtre­nd zu stoppen.

Die AFD bekämpfen wollen alle in der CSU. Der Dissens besteht – nach allem, was hier gesagt wird – offenkundi­g darin, auf welche Weise das geschehen soll. Die einen sehen die Lösung in einer deutlich strengeren Linie in der Flüchtling­spolitik. Die anderen setzen auf eine Rückbesinn­ung auf christsozi­ale Werte sowie auf eine klare Abgrenzung und eine offensiver­e Auseinande­rsetzung mit den Rechtspopu­listen. Zumindest Letzteres, so sagen viele, habe schon im Wahlkampf funktionie­rt. Dass die CSU im Schlussspu­rt noch einmal habe Boden gutmachen können, habe an der „klaren Kante“gelegen, die Söder nach den Ereignisse­n von Chemnitz gegenüber der AFD gezeigt habe.

Das letzte Wort freilich ist noch nicht gesprochen. Die „tiefergehe­nde Analyse“des Wahlergebn­isses und die Debatte, welche Konsequenz­en daraus gezogen werden sollen, ist auf die Zeit nach der Regierungs­bildung in Bayern verschoben. Das verkündet Seehofer bei einer Pressekonf­erenz mit Söder am Nachmittag. Im Interesse Bayerns müsse zunächst für eine stabile Regierung gesorgt werden. Erst dann könne die Partei den zweiten Schritt tun. „Ich füge ausdrückli­ch hinzu: Analyse mit Konsequenz­en.“

Damit ist auch die Frage, was mit ihm sein wird, erst einmal vertagt – vorerst zumindest.

Viele sagen: Es hätte noch schlimmer werden können

In der Vorstandss­itzung spricht Theo Waigel Klartext

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Fotos: Peter Kneffel, Kay Nietfeld/dpa Werden wohl keine Freunde fürs Leben mehr: Ministerpr­äsident Markus Söder (links) und CSU-CHEF Horst Seehofer am Montag bei einer Pressekonf­erenz nach der Sitzung des Csu-vorstands.

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