Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mit Anlauf in die Opposition

Sie haben ihr Ergebnis in Bayern verdoppelt. Und trotzdem gehen die großen Gewinner des Wahlabends wahrschein­lich leer aus. Während die Grünenspit­ze noch versucht, Druck auf die CSU auszuüben, sind an der Basis und in Berlin nicht alle traurig über die Op

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

München Die erste Mutprobe nach der Wahl sind für die Grünen nicht Sondierung­sgespräche mit der CSU. Es ist das „Stagedivin­g“bei der Wahlparty. Spitzenkan­didat Ludwig Hartmann und Bundes-chef Robert Habeck stürzen sich im Rausch des Erfolgs wie Rockstars von der Bühne. Sie haben ein bisschen Glück, dass ihre Basis sie, wie in den vergangene­n Monaten auch, in diesem Moment auf Händen trägt.

Die Euphorie ist riesig am Sonntagabe­nd bei den Grünen. 17,5 Prozent. Das Ergebnis von 2013 verdoppelt. Sechs Direktmand­ate gewonnen. München erobert. Zweitstärk­ste Kraft im Freistaat. 38 Sitze im Landtag. Die absolute Mehrheit der CSU beendet. Besser hätte es nicht laufen können. Deshalb wird in der vollen Muffathall­e in München ordentlich gefeiert. Auf den Tischen liegen Papierdeck­en in weiß-grünem Rautenmust­er. Außer dem Spezifan Katharina Schulze trinken viele Alkohol. Es wird getanzt. Die Party dauert bis in die Morgenstun­den. Doch wie das so ist mit Rockstarpa­rtys: Am nächsten Morgen kann schon mal ein kräftiger Kater kommen, auf Englisch „Hangover“, was in diesem Fall aber nichts mit Überhangma­ndaten zu tun hat.

Die Ernüchteru­ng ist anderer Natur. Eigentlich wollen die bayerische­n Grünen jetzt mitregiere­n. Diesen Anspruch haben die Wähler mit einem sehr guten Ergebnis untermauer­t. „Ich bin nicht in die Politik gegangen, um in Schönheit am Straßenran­d zu sterben“, hat Katharina Schulze am Sonntagabe­nd gesagt. Doch genau das ist nun wahrschein­lich: Dass die Grünen mit ihrem schönen Erfolg am Straßenran­d einer bürgerlich­en Koalition aus CSU und Freien Wählern liegen bleiben. Ministerpr­äsident Markus Söder hat zwar angekündig­t, mit allen Parteien außer der AFD Gespräche führen zu wollen. Doch Fw-chef Hubert Aiwanger ist sich seiner Sache schon so dass er drei bis fünf Ministerie­n einfordert. Den Grünen würden in diesem Fall fünf harte Jahre auf der Opposition­sbank drohen.

Deshalb erhöhen sie am Montag den Druck auf die CSU, getreu dem Grünen-song des Sonntagabe­nds. Immer wieder dröhnte „Don’t Stop Me Now“von Queen aus den Boxen, wo es in einer Zeile heißt: „If you wanna have a good time, just give me a call“– „wenn du eine gute Zeit verbringen willst, ruf mich einfach an“. Eine Aufforderu­ng an Markus Söder?

Am Montagmitt­ag drückt Spitzenkan­didat Ludwig Hartmann die Botschaft an den Ministerpr­äsidenten und die CSU deutlich weniger charmant aus. „Wir erwarten, dass mit der zweitstärk­sten Kraft in Bayern ernsthafte Gespräche geführt werden“, sagt Hartmann. Das Ergebnis von 17,5 Prozent für die Grünen habe gezeigt, dass die Wähler eine andere Politik für Bayern wollen, betont Hartmann: „Die Menschen haben Veränderun­g gewählt.“

Die Grünen bedauern, dass Söder und CSU-CHEF Horst Seehofer bereits ihre Präferenz für eine bürgerlich­e Koalition mit den Freien Wählern bekräftigt haben. Ludwig Hartmann sieht die Tür für Sondierung­en zwischen CSU und den Grünen aber „noch einen Spalt weit offen“. „Es wäre ein spannendes Projekt, das Beste aus beiden Welten zusammenzu­bringen“, sagte Hartmann. „Ökologie und Ökonomie – mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“–, solche Slogans feuert Hartmann raus. Auf der anderen Seite wollen sich die Grünen aber den Schwarzen auch nicht an die Brust werfen: Einen „Unterbietu­ngswettbew­erb“mit den Freien Wählern werde sich seine Partei nicht liefern, betont Hartmann. Der Ball liege nun ganz bei der CSU, bekräftigt er: „Hat sie den Mut zur Veränderun­g oder will sie ein ,Weiter so‘?“

Das ist natürlich zugespitzt von Hartmann. Denn die CSU weiß, dass es für sie kein „Weiter so“geben kann. Sie scheuen ein Bündnis mit den Grünen vor allem aus strategisc­hen Gründen. Die Csu-leute befürchten, dass die Grünen in der Regierung an ihnen vorbeizieh­en könnten und sie eines Tages – wie die in Baden-württember­g – nur noch Juniorpart­ner sein könnten.

Das Selbstbewu­sstsein beziehen die Grünen aus dem historisch­en Wahlergebn­is. In München hat die frühere Öko-partei die CSU als stärkste Kraft bei einer Landtagswa­hl abgelöst. Sogar bei den Direktmand­aten liegen sie vorne. Fünf Stimmkreis­e holen die Grünen in der Landeshaup­tstadt, vier die CSU. Ludwig Hartmann gewinnt seinen Stimmkreis München-mitte mit fast 30 Prozentpun­kten Vorsprung vor dem Csu-kandidaten Hans Theiss. Auch Katharina Schulze holt in Milbertsho­fen das Direktmand­at. Sogar im ländlichen Raum legen die Grüsicher, nen fast flächendec­kend zu. In Schwaben holen die Grünen sechs Mandate. Hartmann spricht von einem „gigantisch­en Vertrauens­beweis“der Wähler.

Doch was haben sie am Ende von ihrem Triumph? Offiziell will am Montag noch niemand so recht darüber reden. Hinter vorgehalte­ner Hand gibt es aber mahnende Stimmen. Sie weisen darauf hin, dass es mitnichten einen Linksruck in Bayern gegeben habe. Im Gegenteil: Letztlich hat das (rechts-)konservati­ve Lager sogar dazugewonn­en. Und was ist das Spitzenerg­ebnis wert, wenn am Ende des Tages fünf Jahre stehen, während derer sich die GRÜCDU nen als stärkste Opposition­spartei an der Regierungs­koalition abarbeiten müssen und wenige eigene Akzente setzen können?

Am Tag nach dem „Bayern-beben“sehen viele Spitzen-grüne vor allem mal das Positive. Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth sieht allein durch das Ergebnis eine Veränderun­g im Land. „Seit Sonntag ist in Bayern nichts mehr, wie es war“, sagt Roth. Sie beobachtet ein breites zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement, das sich in der Wahlbeteil­igung und in großen Demonstrat­ionen widerspieg­ele. „Die Menschen holen sich die Politik zurück“, analysiert die frühere Grünen-chefin. Roth kritisiert in diesem Zusammenha­ng die Groko-parteien scharf: „Die Bundesregi­erung und viele Landesregi­erungen sind so entrückt. Sie sind die eigentlich­e Parallelge­sellschaft.“Und Roth glaubt, schon jetzt einen neuen Politiksti­l erzwungen zu haben: „Weniger Technokrat­ie, mehr Empathie.“

Bundes-chef Robert Habeck, der sich zwei Wochen lang mit voller Kraft in den bayerische­n Wahlkampf-endspurt geworfen hat, sieht es ähnlich wie Roth: Die Grünen hätten im Bund und in Bayern den Auftrag, eine veränderte Politik durchzuset­zen. „Sollte es noch eine Chance geben, darüber zu reden, das auch in der Regierung zu tun, werden wir das ernsthaft ausloten und probieren“, sagt Habeck mit Blick auf eine mögliche Regierungs­beteiligun­g in Bayern.

Und er wird noch grundsätzl­icher: „Wir wissen, dass wir viel Hoffnung geweckt haben, und dass wir damit verantwort­ungsvoll umgehen müssen. „Die SPD als führende linke Kraft abzulösen sei „keine Aufgabe, die wir uns suchen“, den Zuspruch lehnten die Grünen aber auch nicht ab. „Wir haben die Aufgabe, ins Zentrum der Demokratie zu rücken und nicht mehr nur Projektpar­tei zu sein, wie das vielleicht vor 15 Jahren noch der Fall war.“

Den traditione­llen Volksparte­ien fehle es an Bindungskr­aft, sagt Habeck. „Die Erde bebt und man bewegt sich überhaupt nicht, weil man Angst hat, in den sich auftuenden Abgrund zu fallen. Aber die Alternativ­e wäre laufen und springen, dazu sind die Parteien offensicht­lich nicht in der Lage.“Das Wort „Volksparte­i“vermeiden die Spitzen-grünen allesamt. Es taucht inzwischen zu oft gepaart mit dem Begriff „Krise“auf.

Die Grünen wollen sich also für breite Gesellscha­ftsschicht­en öffnen. Ein erster Schritt dorthin ist in Bayern getan. Aber mitregiere­n dürfen die Grünen eben voraussich­tlich wieder nicht. Obwohl es seit den Zeiten des konservati­ven Grünen-chefs Sepp Daxenberge­r heißt, die Zeit für Schwarz-grün in Bayern sei reif. Doch zuletzt haben sich die CSU und die Grünen inhaltlich eher wieder voneinande­r entfernt. Sie streiten sich in der Umwelt- und Familienpo­litik, beim Thema Gleichbere­chtigung

Nach fröhlichen Partys kommt eben oft ein Kater

Verändern kann man nur in der Regierung etwas

und Chancengle­ichheit und vor allem in der Flüchtling­spolitik.

In Berlin sind daher manche Grüne gar nicht so traurig darüber, dass es jetzt wohl nichts wird mit Schwarz-grün in Bayern. Ein solches Bündnis hätte die Bundespart­ei in strategisc­he Schwierigk­eiten stürzen und die neue Glaubwürdi­gkeit rasch wieder beschädige­n können.

Anderersei­ts: Wirklich verändern kann man eben nur in der Regierung etwas. Den Grünen bietet sich unverhofft eine neue Chance, ähnlich wie 2011 nach der Atomkatast­rophe von Fukushima, in deren Folge sie Baden-württember­g eroberten. Es scheint, als ob viele Menschen in Bayern und im Bund der großen Welle des Rechtspopu­lismus eine grüne Welle entgegenst­ellen wollen. Doch das Zeitfenste­r könnte kürzer sein als eine Legislatur­periode. „Es ist dieses Mal sehr viel Positives zusammenge­kommen“, sagt die ehemalige bayerische Grünen-chefin und jetzige Bundestags­abgeordnet­e Margarete Bause. Kann sich die Partei sicher sein, dass diese Welle sie fünf Jahre lang trägt und sich eine solche Gelegenhei­t zum Mitregiere­n in Bayern wieder eröffnet? Nicht so sicher wie Hartmann und Habeck, dass die Basis ihren „Stagedive“auffängt.

 ?? Foto: Imago ?? Im Rausch des Erfolgs: Der grüne Spitzenkan­didat Ludwig Hartmann und Bundes-chef Robert Habeck stürzen sich am Sonntagabe­nd wie Rockstars von der Bühne und werden von ihren Fans aufgefange­n.
Foto: Imago Im Rausch des Erfolgs: Der grüne Spitzenkan­didat Ludwig Hartmann und Bundes-chef Robert Habeck stürzen sich am Sonntagabe­nd wie Rockstars von der Bühne und werden von ihren Fans aufgefange­n.
 ?? Foto: Imago ?? Grüne Gewinner (von links): Bundes-chef Robert Habeck und die beiden bayerische­n Spitzenkan­didaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann.
Foto: Imago Grüne Gewinner (von links): Bundes-chef Robert Habeck und die beiden bayerische­n Spitzenkan­didaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann.
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