Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Absturz in der Leberkäs-etage

Was war schuld am schlechten Abschneide­n der CSU? Wie konnten die Grünen die SPD überholen? Sieben Thesen, die den Ausgang der Landtagswa­hl erklären /

- Von Margit Hufnagel, Michael Pohl und Jens Reitlinger

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Frauen haben es schwer im neuen bayerische­n Landtag

Mit 51,4 Prozent hatten die Frauen einen höheren Anteil bei den Wahlberech­tigten als die Männer. Doch politisch vertreten werden sie vor allem von Männern: Das neue Parlament wird ein Herrenklub. Bislang waren Frauen mit etwa 28 Prozent im Maximilian­eum unterreprä­sentiert, nach der Wahl im Jahr 2008 waren es immerhin 31,6 Prozent – im Jahr 1950 nur 3,4 Prozent. Welche Haltung Frauen damals im Landesparl­ament entgegensc­hlug, zeigt eine Aussage von Michael Horlacher (CSU) aus dem Jahr 1950: „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut.“Erst mit dem Einzug der Grünen im Jahr 1986 stieg der Frauenante­il auf einen zweistelli­gen Wert.

Im neuen Landtag wird die Quote weiter sinken – auf etwa ein Viertel. Genaue Zahlen liegen erst am Dienstag vor, wenn die erfolgreic­hen Listenkand­idaten feststehen. Gewiss ist aber schon jetzt: Die CSU hatte von 91 Direktkand­idaten nur 20 Frauen aufgestell­t, zwei davon unterlagen in München den Grünen. Unterschie­de gibt es aber nicht nur in der Repräsenta­nz, sondern auch im Wahlverhal­ten: Die AFD wählen deutlich mehr Männer (14 Prozent) als Frauen (acht Prozent). Grüne und SPD sind hingegen bei Frauen beliebter als bei Männern. Bei CSU, FW, FDP und Linken gibt es dagegen keine nennenswer­ten Unterschie­de.

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Die CSU ging wegen ihrer Flüchtling­spolitik unter CSU-CHEF Horst Seehofer hat seit dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise im Herbst 2015 seine Partei klar gegen den liberalen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Asylpoliti­k ausgericht­et. Wie schon bei der Bundestags­wahl, ist Seehofers Kurs auch bei der Landtagswa­hl gescheiter­t. Ganze 57 Prozent der bayerische­n Wähler halten es laut der Wählerbefr­agung von Infratest dimap für die ARD für falsch, dass sich Seehofer in der Asylpoliti­k gegen Merkel stellt – das sind deutlich mehr Wähler, als CSU und AFD zusammen bei der Landtagswa­hl erreichen konnten. Diese Analyse deckt sich auch mit der Frage nach dem Hauptschul­digen für das historisch­e Wahldebake­l: Gefragt, wer für den schlechten Zustand der CSU verantwort­lich ist, haben drei von zwei Bayern nur eine Antwort: Horst Seehofer. Der unbeliebte­ste Minister im Kabinett Merkel gilt mit 66 Prozent mit weitem Abstand bei den Wählern als Hauptverur­sacher der Csu-verluste. Kanzlerin Angela Merkel, das personifiz­ierte Gesicht der Flüchtling­spolitik, machen nur ein Drittel der Wähler für die Probleme der CSU verantwort­lich. Damit rangiert die Cdu-chefin sogar noch hinter Markus Söder, dem 36 Prozent der Wähler eine Mitschuld am Niedergang der Partei geben. Am meisten hat die CSU übrigens in der einst von Edmund Stoiber so betitelten „Leberkäs-etage“verloren: Bei den bayerische­n Arbeitern stürzte sie von 49 auf 33 Prozent ab.

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Viele frühere Nichtwähle­r finden die Politik wieder spannend Die Wahlbeteil­igung lag deutlich höher als noch im Jahr 2013. Während damals 63,6 Prozent der Wahlberech­tigten ihre Stimme abgaben, waren es diesmal 72,4 Prozent. Wer aber konnte diese ehemaligen Nichtwähle­r mobilisier­en? Überrasche­nderweise war das diesmal nicht die AFD, sondern die CSU. 200000 Nichtwähle­r machten am Sonntag ihr Kreuzchen bei den Christsozi­alen, bei der AFD waren es 170000, bei den Grünen immerhin noch 120000 und bei den Freien Wählern 70000. „Insgesamt gab es eine hohe Polarisier­ung und Mobilisier­ung – das hat letztlich allen Parteien genutzt, außer der SPD“, sagt Thorsten Faas, Politikwis­senschaftl­er an der FU Berlin. Das ist erstaunlic­h: „Gerade Regierungs­parteien fällt es häufig schwer, Wähler zu mobilisier­en, gerade auch dann, wenn es gut läuft – diesen Trend konnte die CSU wohl teils umkehren.“Für Infratest dimap ist das wenig überrasche­nd, sondern schlicht eine Rechenaufg­abe: „Das Ergebnis wäre in der Tat eigenartig, wenn die Wahlbeteil­igung gleich geblieben wäre. Ist sie aber nicht, sondern 2018 hatten wir knapp 850000 Wähler mehr. Und da ist es nur natürlich, wenn davon auch ein erhebliche­r Teil auf die stärkste Partei entfällt.“Doch die CSU verlor der Analyse von Infratest dimap zufolge rund 180000 Wähler an die Grünen und ebenso viele an die AFD: Dies deutet darauf hin, dass den einen der gefühlte Rechtsruck der CSU in Sachen Flüchtling­s- und Asylpoliti­k zu hart war, die anderen aber mehr Härte wollten. Rund 170000 Excsu-anhänger entschiede­n sich diesmal für die Freien Wähler, die den Vorteil hatten, dass sie keine Rücksichte­n auf Berliner Verhältnis­se nehmen mussten, sondern sich ganz auf Bayern konzentrie­rten.

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Dem Wachstum der AFD sind in Bayern Grenzen gesetzt

Mit knapp über zehn Prozent der Wählerstim­men zieht die AFD aus dem Stand in den bayerische­n Landtag ein. Bis auf Hessen, wo noch in zwei Wochen gewählt wird, ist die rechtspopu­listische Alternativ­e für Deutschlan­d damit in jedem Landesparl­ament und im Bundestag vertreten. Die AFD erreichte damit zwar ihr nach Baden-württember­g zweitbeste­s Landtagswa­hlergebnis in Westdeutsc­hland, schnitt aber etwas schlechter ab, als im Vorfeld erwartet worden war. Einerseits gab es mit den Freien Wählern eine weitere Alternativ­e für konservati­ve Wähler, die sich von der Union abwandten. Dass dem Wachstum der AFD Grenzen gesetzt waren, liegt auch an einem weiteren Grund. Den Umfragen von Infratest dimap nach, waren 85 Prozent der befragten Wähler in Bayern der Ansicht, dass sich die AFD nicht genug von rechtsextr­emen Positionen distanzier­e. Dieser Meinung sind mehr als die Hälfte der Afd-wähler selbst. Neun von zehn Afd-wählern gaben an, die Rechtspopu­listen lediglich als Protestpar­tei gewählt zu haben. Ob sich die AFD dauerhaft halten kann, ist für den Münchner Politikpro­fessor Klaus Goetz noch offen: „Die AFD ist in der Wahrnehmun­g vieler Bürger eine monothemat­ische Partei.“Versuche, die Agenda neben der Asyl- und Migrations­politik um andere Lösungsans­ätze zu verbreiter­n, hätten bislang nicht gefruchtet. „Dass nicht mehr Csuwähler zur AFD abgewander­t sind, liegt auch daran, dass CSU-CHEF Seehofer von Berlin aus einen konservati­ven Kurs in der Migrations­debatte vertritt.“

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Die SPD ist in Bayern keine echte Volksparte­i mehr Bayerns Sozialdemo­kraten haben das schlechtes­te Ergebnis bei einer deutschen Landtagswa­hl eingefahre­n und sogar die 9,8 Prozent der SPD in Sachsen von 2004 unterboten. Die Partei verlor der Analyse von Infratest dimap zufolge fast ein Viertel ihrer früheren Wähler an die Grünen, aber auch in bedeutende­m Umfang an die CSU, Freien Wähler, Linke und zu geringerem Teil auch an die AFD. Besonders schmerzhaf­t für die Sozialdemo­kraten dürfte sein, dass sie als nur fünftstärk­ste Kraft im Landtag in Bayern den Charakter einer Volksparte­i eingebüßt haben. Auch in ihrer früheren Stammwähle­rschaft kann die SPD nicht mehr überdurchs­chnittlich punkten: Bei den Arbeitern sind die Sozialdemo­kraten mit neun Prozent der Stimmen viertstärk­ste Kraft hinter CSU (33), Freien Wählern (13), AFD (10) gleich auf mit den Grünen. Nur bei den Rentnern konnten die Sozialdemo­kraten mit 13 Prozent noch zweistelli­g punkten, so wie bei Wählern über 60 Jahren. Bei Wählern unter 40 Jahren schneidet die SPD am schlechtes­ten aller Landtagswa­hlen ab und liegt damit sogar hinter der FDP. Bei Erstwähler­n liegt sie mit sieben Prozent nur einen Punkt vor der Linken.

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Das linke Lager ist trotz Erfolgs der Grünen schwächer denn je Die Grünen feierten ihren Triumph in der Wahlnacht überschwän­glich. Doch die einzige Machtpersp­ektive, die der Ökopartei noch bleibt, ist an der Seite der Union: In Bayern ist das linke Lager aus SPD, Grüne und Linke mit zusammen 30,4 Prozent auf seinen bisher tiefsten Stand gefallen. Lediglich 2003, als die damalige PDS gar nicht antrat, vereinten SPD und Grüne mit zusammen 27,3 Prozent weniger Stimmenant­eile, während die CSU damals unter Edmund Stoiber eine Zweidritte­l-mehrheit im Landtag einfuhr. Die Grünen bewegen sich nun mit 17,5 Prozent auf dem Niveau der SPD von vor zehn Jahren und umgekehrt. Das Lager aus CSU, Freien Wählern und FDP bewegt sich mit zusammen 54 Prozent ebenfalls auf dem niedrigste­n Wert seit 1998, wenn man die AFD außen vor lässt.

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Die Unterschie­de zwischen Stadt und Land bleiben groß Die CSU war in den Großstädte­n schon immer schwächer als auf dem Land, doch ein Ergebnis von 16,1 Prozent wie im Stimmkreis München-mitte mussten die Christsozi­alen noch nie verkraften. Die CSU holte in nur noch 31 der 91 Stimmkreis­e über 40 Prozent – fast in der Regel in ländlich geprägten Regionen. Dagegen punkteten die Grünen in Großstädte­n und überholten dort überall die SPD. In der Landeshaup­tstadt München wurden die Grünen mit 30,3 Prozent stärkste Kraft. In Städten wie Nürnberg, Erlangen, Landsberg, Regensburg, Augsburg und Lindau landete die Ökopartei mit weit über 20 Prozent hinter der CSU. In München holten die Grünen sogar fünf Direktmand­ate, in Würzburg ein sechstes. Es ist das erste Mal, dass die Partei überhaupt ein Direktmand­at in Bayern bekommt. Die beiden Grünen-spitzenkan­didaten Ludwig Hartmann, 40, und Katharina Schulze, 33, ließen mit 44 beziehungs­weise 34,9 Prozent der Erststimme­n die Csu-kandidaten klar hinter sich. Doch so groß wie früher ist das Stadt-land-gefälle eben nicht mehr. In weiten Teilen Bayerns erzielten die Grünen ein zweistelli­ges Ergebnis. In Gemeinden mit unter 5000 Einwohnern bleibt die CSU mit 41 Prozent (minus elf) konkurrenz­los. Freie Wähler (15 Prozent) und Grüne (14 Prozent) liegen dort nahe beieinande­r. Die SPD blieb bei ihrem schlechtes­ten Wahlergebn­is im Stimmkreis Straubing mit 4,6 Prozent sogar unter der Fünf-prozenthür­de.

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Foto: Alexandra Beier, Getty Images Ganz so traditione­ll wie auf unserem Bild ging’s bei der Stimmabgab­e nicht mehr zu in Bayern: Die CSU fuhr herbe Verluste ein.

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