Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Verliert die Konjunktur den Schwung?

Selbst die Bundesregi­erung korrigiert die Prognose für das Wachstum nach unten. Ist das kleine Wirtschaft­swunder der letzten Jahre in Gefahr? Sieben Fakten /

- Von Michael Kerler

1

Der deutsche Aufschwung verliert an Fahrt Als Wirtschaft­sminister Peter Altmaier in der vergangene­n Woche vor die Presse trat, tat er etwas Ungewöhnli­ches. Er stellte nicht nur Zahlen zum Wirtschaft­swachstum vor. Der stämmige Cdu-politiker forderte auch ein Aktionspro­gramm, um die Unternehme­n zu entlasten. Teil des Plans soll die komplette Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s sein. Im Normalfall stemmt die Politik solche Programme, um einer notleidend­en Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Altmaier wollte zwar nicht über ein Krisenszen­ario sprechen und betonte, der Aufschwung sei intakt. Tatsache ist aber, dass die Bundesregi­erung ihre Wachstumse­rwartung gesenkt hat. Im Frühjahr hatte die Regierung für Deutschlan­d in diesem Jahr noch 2,3 Prozent Wachstum erwartet. Nun sind es 1,8 Prozent. Für das kommende Jahr geht Berlin ebenfalls von 1,8 Prozent aus. Deutschlan­ds führende Wirtschaft­sinstitute hatten kurz zuvor ebenfalls die Erwartunge­n gesenkt – auf 1,7 Prozent in diesem Jahr. „Der Aufschwung verliert an Fahrt“, betitelten sie ihre Studie. Besonders pessimisti­sch formuliert­e es Eu-kommissar Günther Oettinger: „Kamen wir noch im Spätsommer aus dem Urlaub und haben geglaubt, die Konjunktur brummt, die Zahl der Arbeitsplä­tze steigt, die Börse bleibt oben, wir hätten Stabilität – sehen wir jetzt, dass die Party zu Ende geht“, sagte er kürzlich. „Die besten, die leichteren Jahre, liegen hinter uns.“Was ist von diesen Warnungen zu halten?

2

Die Weltwirtsc­haft schwächelt Bei den Exportüber­schüssen ist Deutschlan­d Weltmeiste­r. Doch zuletzt kommen aus dem wichtigen Bereich weniger Impulse: Von Juli auf August verringert­en sich die Ausfuhren um 0,1 Prozent, es ist der zweite Rückgang in Folge. Das liegt nach Meinung von Experten daran, dass sich das Wachstum der Weltwirtsc­haft abschwächt. Der Internatio­nale Währungsfo­nds hat seine Prognose auf 3,7 Prozent nach unten korrigiert. „Das weltwirtsc­haftliche Klima wird rauer“, heißt es auch im Herbstguta­chten der führenden deutschen Wirtschaft­sinstitute. Gründe gibt es einige: der Protektion­ismus von Us-präsident Donald Trump, der näher rückende Brexit und die neue Regierung in Italien. Die Pläne in Rom für eine höhere Neuverschu­ldung schüren Ängste vor einer neuen Eurokrise. Einer Eurokrise 2.0. Dazu kommt die schwierige Lage in einigen Schwellenl­ändern, vor allem in Argentinie­n und der Türkei. Dort fließt viel Kapital ab. Eine krisenhaft­e Zuspitzung wie während der Asienkrise 1997/1998 sei aber „nicht zu erwarten“, schreiben die deutschen Wirtschaft­sinstitute. Und Chefvolksw­irt Ulrich Kater von der Deka-bank warnt vor Panik: „Bei aller negativer Marktentwi­cklung darf nicht vergessen werden, dass die Welt sich weiterhin in einem anhaltende­n Aufschwung befindet“, sagt er. „Revisionen von Wachstumsp­rognosen lassen die Weltwirtsc­haft so schnell nicht in eine Rezession münden.“

3

Immobilien­markt am Anschlag Lenken wir den Blick nach Deutschlan­d. Könnte hier eine Immobilien­blase zur Gefahr für die Konjunktur werden? Die Kfwbank hat den deutschen Immobilien­markt in einer neuen Studie ausgewerte­t und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Preise für Häuser und Wohnungen seit Beginn des Jahrzehnts in Deutschlan­d „rasant gestiegen“seien. Dies könnte sich plötzlich ändern: In den sieben größten deutschen Städten seien Immobilien nach Ansicht der Bundesbank bereits überbewert­et – um 15 bis 30 Prozent. Eine gefährlich­e Blasenbild­ung sieht die Kfwbank aber nicht: Der deutsche Immobilien-boom unterschei­de sich von den Immobilien­blasen in den USA, Spanien oder Irland: Die Verschuldu­ng der deutschen Haushalte sei gering, außerdem mache der Bausektor nur rund ein Zehntel der deutschen Wirtschaft­sleistung aus. Dass aber zum Beispiel das neue Baukinderg­eld den Bau fördert, glauben zum Beispiel die führenden deutschen Wirtschaft­sinstitute im Herbstguta­chten nicht. Der Bausektor arbeitet bereits am Anschlag und kann mehr Aufträge kaum entgegenne­hmen. Statt mehr Wohnraum erwarten die Institute einen „Mitnahmeef­fekt“und noch stärker steigende Kosten.

4

Autos auf Halde Ein Kürzel dürfte derzeit vielen Managern der deutschen Autobauer Schauder über den Rücken jagen lassen: WLTP. Die Abkürzung steht für eine neue Norm, die realistisc­here Werte zum Beispiel beim Spritverbr­auch von Neuwagen garantiere­n soll. Das Problem: Die Autobauer hinken bei der Zertifizie­rung ihrer Fahrzeuge hinterher. Volkswagen hat deshalb Autos auf Halde produziert und am Berliner Flughafen geparkt, auch bei BMW hätte es besser laufen können. Audi verbuchte im September in Deutschlan­d im Vergleich zum Vorjahresm­onat einen Einbruch der Neuzulassu­ngen um fast 78 Prozent, in Ingolstadt gab es Freischich­ten. Da die Autoindust­rie aber in Deutschlan­d eine Schlüsseli­ndustrie ist, hat WLTP somit „sichtbare Spuren beim Zuwachs des Bruttoinla­ndsprodukt­s hinterlass­en“, heißt es im Herbstguta­chten. Das Problem dürfte sich lösen, wenn alle Autos zertifizie­rt sind – wahrschein­lich im Winterhalb­jahr.

5

Fachkräfte­mangel Das Bild in Deutschlan­d ist gemischt. Während einige Branchen wie der Bau boomen, machen die Autobauer eine schwierige­re Zeit durch. Insgesamt aber stellen die Unternehme­n tendenziel­l neue Mitarbeite­r ein. Diese sind aber immer schwierige­r zu finden. Der Arbeitsmar­kt ist nicht mehr in der Lage, „die hohe Nachfrage nach Arbeitskrä­ften zu befriedige­n“, schreiben die führenden Wirtschaft­sinstitute im Herbstguta­chten. Der Stellenauf­bau könnte sich damit abschwäche­n – von 590 000 Personen dieses Jahr auf 420 000 im nächsten Jahr, die Arbeitslos­igkeit würde weiter sinken. In Bayerischs­chwaben bezeichnet die Industrieu­nd Handelskam­mer den Fachkräfte­mangel inzwischen sogar als das größte Problem für die Konjunktur: „Für die Ausführung der Aufträge fehlen schlicht und einfach die nötigen Fachkräfte“, sagte kürzlich Ihk-präsident Andreas Kopton. In einer Umfrage unter schwäbisch­en Unternehme­n aus Industrie und Handel sahen 67 Prozent der Befragten in den fehlenden Mitarbeite­rn ein Risiko für ihre weitere Entwicklun­g. „Von denjenigen, die aktuell auf Personensu­che sind, haben mehr als drei Viertel große Probleme die Stellen zu besetzen, weil schlichtwe­g Bewerber fehlen“, berichtet Kopton.

6

Lust auf Konsum Aus Sicht der Unternehme­n mag die Lage am Arbeitsmar­kt schwierig sein, weil Fachkräfte knapp werden. Aus Sicht der Arbeitnehm­er hat sie ihr Gutes: Sie finden leichter einen neuen Job, im Schnitt legen zudem auch die Löhne zu. „Die tarifliche­n Monatsverd­ienste werden nach einem Plus von 2,6 Prozent in diesem Jahr in den Jahren 2019 und 2020 voraussich­tlich um 2,7 Prozent angehoben“– so erwarten es die führenden deutschen Wirtschaft­sinstitute im Herbstguta­chten. Das Ganze hilft auch der deutschen Konjunktur: Sollte der Außenhande­l stagnieren, könnte der Konsum im Land zur Stütze der deutschen Wirtschaft werden. Dazu tragen den Forschern zufolge auch das Plus bei der Rente, die Ausweitung der Mütterrent­e oder die Reform der Krankenver­sicherung bei: Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­ern sollen die Krankenver­sicherungs­beiträge ja wieder in gleicher Höhe bezahlen. Der starke Konsum im Inland hat aber auch einen Nachteil: Die Inflation dürfte weiter steigen, erwarten die Forscher. Auch der Ölpreis hat zuletzt zum Leidwesen von Verbrauche­rn und Unternehme­n stark zugelegt.

7

Starke Zahlen aus der Region Insgesamt zeichnet sich damit ein recht gemischtes Bild ab. Die Weltwirtsc­haft verliert an Zugkraft, dazu kommen politische Risiken à la Trump, Brexit und Co. Der starke Konsum hält aber dagegen. Deka-chefvolksw­irt Ulrich Kater ist deshalb nicht zu sehr beunruhigt: Die Konjunktur sei „stark genug, um die vielen Risikothem­en zu verkraften“, meint er. „Wachstumsr­aten um die zwei Prozent für die Eurozone beziehungs­weise 3,5 bis vier Prozent für die Weltwirtsc­haft sind definitiv kein Grund zum Klagen“, fügt Kater an. Der Rückgang der Arbeitslos­igkeit verleihe in Deutschlan­d den privaten Konsumausg­aben „hinreichen­de Dynamik“. Die politische­n Risiken werden sich zwar nicht über Nacht auflösen. „Doch es besteht berechtigt­e Hoffnung, dass auch wieder positive Nachrichte­n kommen werden. Beispielsw­eise mit ersten Verhandlun­gsergebnis­sen für den Brexit oder moderatere­n finanzpoli­tischen Plänen der italienisc­hen Regierung“, so Kater. In unserer Region sagte Ihk-präsident Andreas Kopton, dass die Firmen lediglich „von Vollgas auf eine hohe Geschwindi­gkeit“umschalten. Heimische Industrieu­nternehmen hätten zuletzt zwar stärkere „Bremseffek­te“hinnehmen müssen, die Bauwirtsch­aft sei aber ungebroche­n der Gewinner der Hochkonjun­ktur. Der Umfrage der Kammer zufolge beurteilen noch immer 63 Prozent der befragten Unternehme­n aus Industrie und Handel ihre Geschäftsl­age als gut – ein hoher Wert. Und jede vierte von der IHK befragte Firma rechnet in den nächsten Monaten sogar noch mit einem Auftragspl­us.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Wie eine Fahrt im Karussell lief es lange Zeit für die deutsche Konjunktur. Nächstes Jahr könnte das zehnte Aufschwung­jahr in Folge sein. Einige Fachleute warnen aber, dass das Wachstum an Tempo verliert. Was ist dran?
Foto: Peter Kneffel, dpa Wie eine Fahrt im Karussell lief es lange Zeit für die deutsche Konjunktur. Nächstes Jahr könnte das zehnte Aufschwung­jahr in Folge sein. Einige Fachleute warnen aber, dass das Wachstum an Tempo verliert. Was ist dran?

Newspapers in German

Newspapers from Germany