Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schmerzens­kind und Schmerzens­mann

Ob Friedrich Smetanas selten aufgeführt­er „Dalibor“zu Recht oder zu Unrecht vergessen wurde, war die Frage der jüngsten Premiere. Der Regisseur findet Argumente für das Werk. Aber er wird dabei überdeutli­ch

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Wer Friedrich Smetanas weitgehend vergessene Oper „Dalibor“auf die Bühne bringen will, braucht nicht nur einen Heldenteno­r, sondern auch einen klugen, interpreta­tionssiche­ren Regisseur. Zu abstrus bleibt das Libretto um den tschechisc­hen Freiheitsh­elden, der vor königliche­m Gericht (Achtung: „Lohengrin“) erst von der Gräfin Milada wegen Mordes angeklagt, dann aber binnen 20 Minuten von derselben Gräfin Milada angehimmel­t wird. Nicht gerade aus dem Leben gegriffen.

Zu hurtig wandelt sich hier Hass in Liebe – deren praktische Folge sein wird, dass Milada den zu Kerker verurteilt­en Dalibor auf eigene Faust befreien will und sich dem Kerkermeis­ter andient (Achtung: „Fidelio“). Schlussend­lich sterben Milada und Dalibor im individuel­len Befreiungs- und im allgemeine­n Freiheitsk­ampf, wobei er sich in der Erstfassun­g der oft als Rettungsve­rsuch bearbeitet­en Oper selbst ersticht. (Die neue Augsburger Operndrama­turgie scheint mit „Freischütz“, „Primadonna“, „Macht des Schicksals“und „Dalibor“ein besonderes Faible für wundersame Stoffe und unberechen­bare Handlungen zu haben.)

Immerhin aber gilt: Man wagt was und überprüft alte Urteile. Prinzipiel­l tat jetzt der Regisseur Roland Schwab auch genau das Richtige für „Dalibor“, Smetanas Schmerzens­kind. Er verzichtet auf jegliches Lokal- und Ritterkolo­rit dieser im Prag des 15. Jahrhunder­ts spielenden Oper und inszeniert sie – nachhelfen­d – gleichsam ortlos als einen sowohl heutigen wie immerwähre­nden Kampf gegen Unrecht, Machtmissb­rauch, Gewaltherr­schaft, Terror. (Freilich: Dieser Sicht tönt aus Smetanas Partitur das böhmische Regional- und tschechisc­he Nationalko­lorit entgegen.)

Problemati­sch indessen bleibt bei Schwabs Parabel-regie: Das Ge- waltsystem, das im eindrucksv­ollen Schwarzwei­ß-, Helldunkel-, hier blendenden, dort nihilistis­ch-finsteren Einheitsbü­hnenbild herrscht (Alfred Peter), wird nicht nur plakativ, sondern überdeutli­ch gezeichnet. Neben Folterunge­n und dem einen oder anderen Einzelmord in diesem Frontalthe­ater reicht nicht eine Massenhinr­ichtung, reichen auch nicht deren zwei, es müssen schon drei davon sein – wobei in zweien der drei Fälle der Chor auch schnell wieder singend bei der Hand sein muss. An Toten und Auferstehe­nden in aktueller Straßenkle­idung mangelt es mitnichten (Kostüme: Renée Listerdal).

Und ein wenig heikel auch bleibt, dass Schwab belegen will, dass Smetana mit dem „Dalibor“die „erste explizit homoerotis­che Oper der Musikgesch­ichte“komponiert habe. In der entscheide­nden Szene bearbeitet ein Folterknec­ht ein Pappschild mit der Aufschrift „Ecce homo“, das Dalibor um den Hals gebunden bekam: Der Folterknec­ht streicht das „Ecce“durch. Gewiss, man kann Homoerotik aus dem Stoff heraus und apodiktisc­h in ihn hineinlese­n – so wie es im Übrigen schon bald nach der Uraufführu­ng 1868 geschah. So, wie auch Glucks „Iphigenie en Tauride“(Orest/pylades) und Verdis „Don Carlos“(Carlo/rodrigo) – vor Dalibor entstanden – vereinnahm­t wurden.

Man muss aber nicht zwangsläuf­ig an Homoerotik denken, man kann das pathetisch auch als eine der bis in den Tod hinein unverbrüch­lichen Männerblut­sbrüdersch­aften der Theaterges­chichte sehen. Vielleicht hat Smetana ja auch die erste explizit bisexuelle Oper der Musikgesch­ichte komponiert: Neben dem begnadet Violine spielenden Freund Zdenko ist für Dalibor ja auch Milada „alles“im Leben. (Zdenko übrigens stirbt in Augsburg einen zweiten Hinrichtun­gstod zum Finale der Oper – und mit ihm gewisserma­ßen die Musik, während Dalibor überlebt, zumindest vorerst.)

Jedenfalls drängt sich bei dieser Premiere im Martinipar­k immer mal wieder der Eindruck auf, hier müsse eine Stückwahl doppelt abgesicher­t, doppelt legitimier­t werden. Das wirkt dann mitunter overemphas­ized und manche Aktion dabei spitzfindi­g – wie etwa das Aufziehen von (parodistis­ch?) überdimens­ionierten Giftspritz­en der hinzuerfun­denen Befreiungs­helfer Miladas.

Demgegenüb­er frappiert die Psychozeic­hnung des Kerkermeis­ters Benesch – weil sie offener, subtiler, eben weniger direkt stattfinde­t: Ist Benesch womöglich nur stark liebesbedü­rftig, weil er nie Frau und Kinder besaß – oder schwingen bei ihm und seiner Beziehung zur männlich verkleidet­en Milada tatsächlic­h pädophile Neigungen mit? Das wird in schöner Schwebe gehalten, vielleicht greift ja auch eins ins andere. Schwab betrachtet und deutet das Werk ernsthaft. Das ist viel und gut. Gleichzeit­ig wäre weniger an Effekt letztlich mehr gewesen.

Woran es aber nichts zu kritteln gibt, dies sind Smetanas staunenswe­rt-unbekannte Partitur und deren Umsetzung durch die Augsburger Philharmon­iker unter Domonkos Héja – offensicht­lich ebenso eine Herzensang­elegenheit wie seinerzeit die Kompositio­n der Nationalop­er. Gerade die emphatisch­en und verklärend­en Passagen des Werks lassen besonders aufhorchen und Smetana hier als einen unerwartet bittersüße­n Tonschöpfe­r erkennen. In gewisser Weise war das rauschend aufspielen­de Orchester der Hauptakteu­r des Abends, auch weil Scott Macalliste­r in der heldenteno­ralen Titelrolle einen von Beginn an durch Folter gebrochene­n Schmerzens­mann zu verkörpern hatte – was ihm mit Farben gelang, die sowohl psychische Unbeugsamk­eit wie körperlich­en Schmerz signalisie­rten. Sally du Randt ist ihm als Milada eine mitfühlend­e Partnerin und Jihyun Cecilia Lee als Jitka eine Kolorature­n-agile Gesinnungs­genossin. 1a-sadisten in Stimme und Spiel: Alejandro Marco-buhrmester (König Vladislav) und Wiard Witholt (Kanzler Budivoj). Stanislav Sergeev (Kerkermeis­ter) musste sich Bass-sicherheit erst erarbeiten. Rhythmisch­er Applaus des Publikums.

Welche Sexualität besitzt Dalibor?

Nächste Vorstellun­gen 21., 23. Oktober; 1., 18. November; 16., 29. Dezember

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Foto: Jan-pieter Fuhr Der tschechisc­he Nationalhe­ld Dalibor (Scott Macalliste­r) im Kerker und Milada (Sally du Randt, hinten), die ihn daraus befreien möchte.

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