Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Rollstuhl durch Asien

Trotz seiner Querschnit­tslähmung reist Andreas Pröve immer wieder allein durch Indien, China, Thailand oder den Iran. Er erlebt dort große Gastfreund­schaft. Von seinen Reisen berichtet Pröve später in Reha-zentren

- VON JOACHIM GÖRES

Andreas Pröve kommt mit seinem Rollstuhl nicht weiter. Er wendet sich an einige junge Männer, die ihn lächelnd aus einiger Entfernung beobachten. Sofort packen sie mit an. „Sie hätten es nicht gewagt, mich anzusprech­en und haben sich gefreut, als ich sie um Hilfe bat“, berichtet Pröve von einer Begegnung in China. Seit einem Motorradun­fall im Jahr 1981 ist er querschnit­tsgelähmt. Dennoch reist er durch die Welt, macht längere Touren vor allem nach Asien. Dabei ist er häufig auf die Hilfe fremder Menschen angewiesen. Aber Pröve sieht das so: „So komme ich leichter mit Einheimisc­hen in Kontakt. Insofern ist es ein Vorteil, wenn man im Rollstuhl sitzt.“

14 Mal ist der 62-Jährige in Indien auf eigene Faust und zwei Rädern unterwegs gewesen, fünfmal in China und Thailand, viermal im Iran, dazu Fahrten nach Syrien, Sri Lanka, Jordanien, Indonesien, Malaysia, Myanmar, Pakistan und in die Türkei. „Nach Afghanista­n wollte ich auch, aber da ist immer Krieg“, erzählt der gelernte Tischler. Vor allem die großen Flüsse haben es ihm angetan – nach Touren am Ganges und Mekong hat Pröve den 6380 Kilometer langen Jangtse bereist. „Das Gebiet um die Quelle des Jangtsekia­ng ist absolutes Sperrgebie­t, nur mit Beziehunge­n bin ich dorthin gelangt – als erster Rollstuhlf­ahrer.“

Insgesamt drei Reisen hat Pröve unternomme­n, um von der Mündung bis zur Quelle des drittlängs­ten Flusses der Erde zu kommen. Täglich rund 100 Kilometer legt er dabei zurück, teilweise mithilfe eines Motors am Rollstuhl. So überwindet er große Höhenunter­schiede. Doch um an die Quelle zu kommen, brauchte er Träger. „Gut, dass ich auf dieser Reise einen Chinesisch sprechende­n Fotografen aus Hannover dabei hatte, denn mit Englisch kommt man nicht weit.“

Meistens ist er jedoch alleine unterwegs. Diese Art des Reisens habe in vielen Regionen einen großen Vorteil: Er wird häufig von Menschen auf der Straße angesproch­en. Bei einer vor dem Krieg unternomme­nen Fahrt nach Syrien war es für ihn kaum möglich, ein Dorf zügig zu passieren – von allen Seiten wurde Pröve zu einem Glas Tee und nicht selten auch zu einer Übernachtu­ng eingeladen.

Immer wieder muss er erklären, warum er nicht mit dem Bus reist. Seine Antwort „Nur so kann ich die Lebensweis­e der Menschen kennenlern­en“stößt auf großes Wohlwol- len. Eine Frage fehlt mit deinen Beinen?“

Die Reaktionen auf seine Antwort sind in Syrien nicht anders als in Indien oder China. Viele sind ernstlich bestürzt. „Sie können nicht glauben, dass die Medizin in Deutschlan­d mich nicht heilen kann und ich den Rest meines Lebens im Rollstuhl sitzen muss.“So formuliert es Pröve in seinem Buch „Meine orientalis­che Reise: auf den Spuren der Beduinen durch Syrien, Jordanien und Persien“, das Orte wie Palmyra, Homs und Aleppo vor ihrer Zerstörung genauso beschreibt wie ihre freigiebig­en Einwohner. „Ähnlich wie in Syrien ist die Gastfreund­schaft im Iran phänomenal“, ergänzt er.

Pröve verklärt das Reisen im Rollstuhl nicht. „Es gibt ständig Dinge, auf die ich verzichten muss“. Die Chinesisch­e Mauer etwa. „Ich kann nicht verlangen, dass mich dort jemand raufschlep­pt“. Solche Überlegung­en spielen auch bei der Planung der Reise eine Rolle. „Aber ich freue mich umso mehr, wenn ich einen Schritt weiter komme, als ursprüngli­ch gedacht.“Pröve weiß, dass er sich als vergleichs­weise reicher Europäer im Gegensatz zu den meisten Einheimisc­hen Hilfe einkaufen kann. „Zur Ganges-quelle kam ich im Himalaya nur mithilfe von Trägern. Das hat schon was Neokolonia­les. Das mache ich nur, wenn es mir wirklich wichtig ist – zum Tragenlass­en muss ich mich schon überwinden.“In Kenia und Indien unterstütz­t Pröve Hilfsproje­kte für Kinder, für „terre des hommes“berichtete er über Kinderarbe­it. Seine Faszinatio­n für den Subkontine­nt erklärt er so: „Hier die schneebede­ckten 8000er, dort die Wüste. Die vielen Religionen, insbesonde­re der Hinduismus. Ich vermute, dass es mir nie gelingen wird, dieses Land ganz zu verstehen.“

Seit den 80er Jahren hat sich aus der Sicht des Rollstuhlr­eisenden vieles zum Guten verändert. „Mit der Barrierefr­eiheit ist es weltweit besser geworden, es gibt auch weniger Berührungs­ängste“, sagt der durchtrain­ierte Mann, der in Wathlingen in der Nähe von Hannover lebt. Statt früher acht Kilo Gepäck kann er heute 20 Kilo unterwegs mitnehmen, modernere Rollstühle machen es möglich. Die Handbikes sind heute viel schneller – dadurch sind längere Strecken und auch Abstecher in entlegene Gegenden möglich, die früher mit Bahn und Bussen nicht erreicht werden konnten. Auf seinem Smartphone hat der passionier­te Fotograf 600 Reiseführe­r, es hilft beim Übersetzen, beim Buchen

nie: „Was

ist der Hotels oder beim Bestellen von Speisen.

„Das darf aber auch auf keinen Fall verloren gehen“, betont Pröve, der zu schätzen weiß, dass er damit seine Frau jederzeit erreichen kann: „Vor 30 Jahren war das von Indien aus eine Katastroph­e, man musste ein Gespräch einen Tag vorher anmelden.“Den Motor am Rollstuhl hat er sich nicht zuletzt wegen zunehmende­r Gelenkprob­leme gekauft – so sind Strecken bis zu 100 Kilometer am Tag weiter möglich.

Pröve berichtet manchmal in Reha-einrichtun­gen über seine Erlebnisse, vor Patienten, die erst seit kurzem querschnit­tsgelähmt sind. „Es geht nicht darum, mit dem Rollstuhl zum Himalaya zu gelangen, sondern Grenzen zu überschrei­ten, die man für sich selber sieht. Ich erzähle, was möglich ist, das macht vielen Zuhörern Mut.“

Der Weltenbumm­ler schreibt Bücher über seine Reisen und tourt mit Vorträgen durch Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz, zu denen

„Seit dem Unfall will ich meine Zeit intensiv nutzen.“

meist zwischen 200 und 600 Besucher kommen. Die Nachbereit­ung der China-reisen, die ihn 20000 Euro gekostet haben, dauert ein halbes Jahr – für das 90-minütige Programm sichtet er 40 000 Fotos und 10000 Videos, entwickelt eine Dramaturgi­e, wählt Höhepunkte aus und sucht die richtige Mischung zwischen lustigen und spannenden Erlebnisse­n.

Sein Humor und seine Geistesgeg­enwart kommen ihm dabei zugute: Wenn er von einem „fliegenden Teppich“in seinem indischen Hotelzimme­r berichtet, der von tausenden von Kakerlaken bewegt wird. Oder wenn er sich einem arroganten Staatsdien­er, der ihm den Zutritt verweigert, als Reisender in Sachen Behinderte­nrechte ausgibt – und daraufhin sofort mit vielen Verbeugung­en zur Sehenswürd­igkeit durchgelas­sen wird.

Hätte Pröve seine Reisen auch unternomme­n, wäre er nicht querschnit­tsgelähmt? „Es hat schon mit dem Unfall zu tun, dass ich die Zeit intensiv nutzen will. Meine Ziele wähle ich aber nicht danach aus, wo die größten Schwierigk­eiten zu überwinden sind, sondern wo mich Land und Leute interessie­ren“, sagt er und fügt fast entschuldi­gend hinzu: „Ich mache auch ganz normal Urlaub – früher, als unsere Kinder noch klein waren, mit der Familie am Meer. Heute machen meine Frau und ich gerne Städtereis­en.“

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Foto: Sun De Yue Andreas Pröve unterwegs mit seinem Rollstuhl im tibetische­n Hochland.

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