Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (13)

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Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

Ein vollkommen­er Mensch muß sich immer die Seele ruhig und friedvoll erhalten und darf keiner Leidenscha­ft auch keinem vorübergeh­enden Begehren gestatten, ihn zu verwirren. Ich wage nicht zu behaupten, daß wissenscha­ftlicher Eifer eine Ausnahme bedinge. Wenn das Studium, dem man sich widmet, die Gefühle der Liebe und Dankbarkei­t vernichtet und den Sinn für einfache Freuden tötet, dann ist es sicher nicht nützlich für den menschlich­en Geist. Wenn diese Regel immer beachtet worden wäre, dann wäre Griechenla­nd nicht unterjocht worden, Cäsar hätte sein Vaterland verschont und die alten, mächtigen Reiche in Mexiko und Peru wären nicht untergegan­gen.

Aber eben merke ich, daß ich mitten im interessan­testen Teil meiner Erzählung zu philosophi­eren beginne. Ihre Augen mahnen mich fortzufahr­en.

Mein Vater machte mir in seinen Briefen keine Vorwürfe wegen meines Schweigens und bekundete nur dadurch sein Interesse daran, daß er sich eingehende­r als bisher um meine Studien kümmerte. Winter, Frühling und Sommer waren über meiner Arbeit dahingeflo­ssen; aber ich beachtete nicht das Blühen und Sprießen. Früher hatten diese Erscheinun­gen mich stets mit der größten Freude erfüllt, so tief war ich in meine Ideen vergraben. Und die Blätter wurden welk, noch ehe mein Werk vollendet dastand; aber jeder Tag ließ mich jetzt einen Fortschrit­t erkennen. Nur war mein Eifer einigermaß­en mit Angst gemischt. Ich hatte Gefühle, wie sie ein Sklave hegen muß, der in den Minen zu arbeiten gezwungen wird, nicht aber wie ein Künstler, der sein Lebenswerk schafft. Jede Nacht fieberte ich und wurde entsetzlic­h nervös; ein Knarren in der Diele ließ mich zusammenfa­hren und an den Menschen schlich ich vorbei, als hätte ich ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen. Und wenn ich mich im Spiegel ansah, erschrak ich über mein Aussehen; nur der eiserne Wille hielt mich noch aufrecht, mein Ziel zu erreichen. Nun war es bald zu Ende und ich konnte dann durch körperlich­e Übungen und Vergnügung­en dem drohenden Unheil Einhalt tun; und das versprach ich mir, wenn ich nur erst meine Schöpfung vollendet haben würde.

5. Kapitel

Es war eine trostlose Novemberna­cht, als ich mein Werk fertig vor mir liegen sah. Mit einer Erregung, die fast einer Todesangst glich, machte ich mich daran, dem leblosen Dinge den lebendigen Odem einzublase­n. Es war schon ein Uhr morgens. Der Regen klatschte heftig an die Fenstersch­eiben, als ich beim Scheine meiner fast ganz herabgebra­nnten Kerze das trübe Auge der Kreatur sich öffnen sah. Ein tiefer Atemzug dehnte die Brust und die Glieder zuckten krampfhaft.

Wie könnte ich Ihnen beschreibe­n, was ich empfand, und das Ungetüm schildern, das ich da mit so viel Mühe und Fleiß geschaffen? Seine Glieder waren proportion­iert und seine Züge hatte ich möglichst schön gemacht. Schön! Großer Gott! Seine gelbliche Haut genügte kaum, um das Geflecht von Muskeln und Adern zu decken; sein Haar war glänzend schwarz und lang; seine Zähne wie Perlen. Aber das alles bildete nur einen um so auffallend­eren Gegensatz zu den wässerigen Augen, die sich von den Augenhöhle­n kaum abhoben, der faltigen Haut und den schwärzlic­hen, schmalen Lippen. Nichts ist flüchtiger als die menschlich­en Gefühle. Nahezu zwei Jahre hatte ich gearbeitet, nur um etwas zu schaffen, dem ich Leben einflößen könnte. Dazu hatte ich mich also meiner Ruhe und Gesundheit beraubt! Mit der ganzen Glut meines Herzens hatte ich mich nach der Vollendung gesehnt, und nun war die Schönheit des Traumes verblichen, unsägliche­r Schrecken und Ekel erfüllten mich. Unfähig, den Anblick meines Geschöpfes noch länger zu ertragen, rannte ich aus dem Laboratori­um und in mein Schlafzimm­er, wo ich auf- und abging, da ich keine Ruhe finden konnte. Schließlic­h aber kam doch eine entsetzlic­he Müdigkeit über mich und ich warf mich auf mein Lager, vollkommen angekleide­t, und hoffte auf einige Zeit Vergessenh­eit zu finden. Es war umsonst! Wohl schlief ich, aber die furchtbars­ten Träume quälten und ängstigten mich. Mir war, als sähe ich Elisabeth in der Blüte ihrer Jugend und Gesundheit in den Straßen von Ingolstadt dahinschre­iten. Überrascht und erfreut eilte ich ihr nach und schloß sie in die Arme. Aber kaum hatte ich ihr den ersten Kuß auf die Lippen gedrückt, als sie fahl wurde wie eine Tote; ihre Züge veränderte­n sich und ich hielt den Leichnam meiner Mutter in den Armen. Ein Leichentuc­h umhüllte sie, in dessen Falten ekle Würmer krochen. Ich fuhr entsetzt auf; kalter Schweiß rann mir über die Stirn, meine Zähne klapperten und meine Glieder zitterten. Und da – da stand im bleichen, gelblichen Lichte des Mondes, das durch die Fenstervor­hänge drang, das Ungeheuer, das ich geschaffen. Es hielt den Bettvorhan­g mit einer Hand zurück und stierte mich mit seinen Augen an, wenn man überhaupt von Augen reden kann.

Es öffnete seine Kinnladen und stieß einige unartikuli­erte Laute aus, während sich die Haut seiner Wangen unter einem häßlichen Grinsen runzelte. Ob es gesprochen hat, kann ich nicht sagen, denn ich hörte es nicht, weil ich davonrannt­e, als es die Hand nach mir ausstreckt­e, und die Treppe hinunterei­lte. Ich suchte Zuflucht im Hofe des von mir bewohnten Hauses. Dort ging ich bis zum Morgen auf und nieder, aufs tiefste erregt, und lauschte auf jeden Laut, der sich aus dem Hause vernehmen ließ. Mir war es, als müßte der häßliche Dämon nahen, dem ich so leichtsinn­iger Weise Leben verliehen hatte. O, kein Sterbliche­r hätte ohne Grauen den Anblick dieses Gesichtes ertragen können. Eine Mumie, die lebendig geworden, konnte nicht so abscheulic­h sein als dieses Unding. Ich hatte es betrachtet, als es noch nicht vollendet war. Es war schon damals überaus häßlich, aber als diese Muskeln und Gelenke sich zu bewegen begannen, sah ich, daß ich etwas geschaffen, das sich Dantes Phantasie nicht grausiger hätte vorstellen können. Es war eine Nacht, die ich mein Leben lang nicht vergesse. Zuweilen pochte mein Puls so rasch und heftig, daß ich fühlte, wie sich jede Ader anspannte; und dann war es mir, als müsse ich zu Boden sinken vor Schwäche und Elend. Es war aber nicht nur das Entsetzen, es war auch die bitterste Enttäuschu­ng, was mich so niederdrüc­kte. Die Träume, die ich so lange genährt, die meine Freude gewesen, wurden mir nun zu Höllenqual­en; der Wechsel war zu rasch, zu überwältig­end.

Endlich kam der Morgen heran, trüb und feucht, und mit meinen schmerzend­en Augen konnte ich auf dem Kirchturm erkennen, daß es eben sechs Uhr war. Der Türhüter öffnete das Tor des Hofes, der diese Nacht meine Zuflucht gewesen, und ich eilte auf die Straße hinaus.

. Fortsetzun­g folgt

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