Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Letzte macht das Licht aus
Abschied Der Lampenhersteller Ledvance hat die Produktion in Augsburg eingestellt. Damit geht für das ehemalige Osram-Werk eine knapp 100-jährige Tradition zu Ende. Und für die Mitarbeiter eine nervenaufreibende Zeit
Mit dem 13. November 2017 verbinden die Ledvance-Mitarbeiter keine guten Erinnerungen. Damals hat der ehemalige Chef des Unternehmens, Jes Munk Hansen, die Schließung des Standorts Augsburg verkündet. Binnen 15 Minuten erklärte er das Ende einer Ära und versetzte den Mitarbeitern einen Stoß in die Magengrube. „Wie wir uns damals fühlten, ist kaum in Worte zu fassen. Das war eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und Angst“, erzählt ein Beschäftigter rückblickend. Heute, an den letzten Tagen des Lampenherstellers – die Produktion wurde am Freitag endgültig eingestellt – fühle es sich beim Rundgang über das Firmengelände komisch an: „Mein Mutter hat hier schon gearbeitet und mein Vater, dann ich und jetzt ist Schluss“, fasst ein Betriebsrat mit einem traurigen Blick zusammen. „So richtig glauben kann ich das noch nicht.“Ihre Namen wollen die Beschäftigten jetzt, wo die Ledvance-Zeit vorbei ist, nicht mehr in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Sorge, dass sie keine neue Stelle mehr finden. Am Dienstag wurde der Belegschaft – teils laufen Kündigungsfristen bis Januar 2019 – mitgeteilt, dass es erste Freistellungen Anfang November geben soll. Ledvance prüfe, für wen dies infrage komme, so Unternehmenssprecher Lars Stühlen.
In den Augen der LedvanceChefs war der Augsburger Standort, an dem vor allem Leuchtstoff- und Energiesparlampen hergestellt worden waren, nicht mehr rentabel. Ein Alternativkonzept der Arbeitnehmervertreter, das neue Wege und Produkte aufgezeigt hatte, lehnten sie ab. Die Beschäftigten der Logistik haben zwar noch eine Galgenfrist bis Ende 2019 und der Maschinenbau wird mit rund 50 Mitarbeitern vorerst bis Ende 2020 fortgeführt. Für alle anderen ist in diesen Tagen Schluss. Wann genau der letzte Mitarbeiter das Gelände verlässt, ist schwer zu sagen. „Zwar ist die Produktion eingestellt, aber an sich ist es ein schleichender Prozess. Immerhin muss das Gelände auch noch irgendwie verwaltet werden“, sagt Unternehmenssprecher Lars Stühlen. Was mit den Flächen passieren soll, ist noch nicht entschieden.
Die Schließung von Ledvance ist nicht nur für die Mitarbeiter hart, sondern bedeutet auch einen Einschnitt in der Historie der Stadt Augsburg. Immerhin wurden an der Berliner Allee rund 100 Jahre lang Lampen hergestellt. Bis 2015 noch unter dem Namen Osram. Zu Spit- zenzeiten hatte das Unternehmen 2000 Beschäftigte am Standort. Das haben auch noch viele der jetzigen Mitarbeiter miterlebt – und auch die vielen Abbauwellen, die folgten, bis zuletzt unter Ledvance nur noch 750 Beschäftigte übrig waren. Es war ein Sterben auf Raten.
Begonnen hat die Osram-Geschichte für Augsburg im Jahr 1919. Damals taten sich AEG, SiemensHalske und die Deutsche Gasglühlicht-AG zur Osram GmbH zusammen und gründeten 1922 die Tochterfirma Wolfram Lampen AG mit Sitz in Augsburg. Es entstanden Neubauten an der heutigen Berliner Allee – mit etwa 150 Beschäftigten.
Fortan gehörte Osram zum Stadtbild und fertigte wegweisende Produkte. Darunter die ab 1930 ausschließlich in Augsburg hergestellten und weltweit begehrten OsramVacublitze und Filmlampen. Das Werk war erfolgreich und konnte 1943 mit über sieben Millionen pro- duzierten Glüh- und Blitzlampen sogar einen Ausstoßrekord erzielen. Nach Kriegsende wurde das Werksgelände erweitert, worauf unter anderem ein neues Glaswerk, ein großes Lagergebäude und ein Entwicklungszentrum entstanden.
1951 folgten dann erste strukturelle Veränderungen: Die Wolfram AG ging komplett ins Eigentum der Osram GmbH über, die ihrerseits 1978 zu einer 100-prozentigen Tochter von Siemens wurde. Schon bald aber war die klassische Glühlampenfertigung nicht mehr gefragt und auch der Vacublitz wurde binnen kürzester Zeit von elektronischen Varianten abgelöst. Als Ersatz kam die Energiesparlampe, die das eingebrochene Segment zunächst auffing – und zwar so gut, dass Osram Mitte der 90er Jahre die Sonntagsarbeit einführen wollte. Die Mitarbeiterzahl am Standort Augsburg wuchs. Um die 2000 Männer und Frauen hatten Arbeit.
Doch das Erfolgsmodell hielt nicht lange. Die Energiesparlampe konnte sich am Markt nicht richtig durchsetzen. Die LED-Technologie wurde zur immer stärkeren Konkurrenz. 2005 wurde der Trend bereits erkannt, Mitarbeiter machten Zugeständnisse, um den Standort zu halten. Doch die Weltwirtschaftskrise 2007 und die immer weiter sinkende Nachfrage nach den in Augsburg gefertigten Produkten führten schließlich doch zu ersten Entlassungen. Der Personalabbau war nicht mehr aufzuhalten.
2013 ging Osram an die Börse, Siemens war nur noch mit 17 Prozent beteiligt und stieg 2017 komplett aus. 2012 hatte sich die Mitarbeiterzahl in Augsburg schon halbiert, nach weiteren Entlassungswellen waren bis zur Ausgliederung des Lampengeschäfts 2015 in das Tochterunternehmen Ledvance nur noch 900 der einst 2000 Mitarbeiter am Standort übrig. Zum 26. Juli 2016 stand fest: Das chinesische Konsortium MLS wird neuer Eigentümer der Osram-Tochter Ledvance.
Was blieb, waren damals rund 70 Mitarbeiter, die weiterhin für Osram tätig waren und die Option für die Chinesen, ihre Lichtprodukte weiterhin unter der Marke Osram zu vertreiben. Osram selbst, so wie es Augsburg bisher kannte, gab es ab dem Geschäftsjahr 2017 nicht mehr. Nur das Werk in Schwabmünchen blieb weiterhin ein Osram-Standort.
Dennoch war die Hoffnung groß, der neue Eigentümer MLS, der LEDs herstellt, könnte diese Technologie bei Ledvance im großen Stil in Augsburg einsetzen und den Standort so fit für die Zukunft machen. Noch im September 2017 berichteten die Verantwortlichen von der Investition mehrerer Millionen Euro in das Werk und dem Aufbau neuer Produktionslinien. Nur zwei Monate später aber wurde die Schließung verkündet – in einer denkwürdigen Betriebsversammlung, die noch Tage danach für Aufregung sorgte.
Für Experten kam das Aus nicht ganz unvorhergesehen. „Es war ein Abschied auf Raten. Weder Siemens noch Osram waren offenbar daran interessiert, neue, zukunftsfähige Produkte nach Augsburg zu bringen“, fasst ein Insider zusammen. Auch für viele Mitarbeiter ist klar: „Man hat uns langsam verhungern lassen.“
Ändern lässt sich daran nichts mehr. Für die Beschäftigten heißt es Abschied nehmen und sich nach einem neuen Job umsehen. Unterstützt werden sie dabei von der Agentur für Arbeit Augsburg, die einen eigenen Aktionstag mit Stellenbörse plant. Immerhin sind von den rund 650 Betroffenen „nur“noch rund 320 auf Jobsuche. Alle anderen sind durch Altersteilzeit, der Weiterbeschäftigung im Maschinenbau oder neue Arbeitsverhältnisse versorgt. Für die anderen stehen die Chancen ebenfalls gut, wieder in Arbeit zu kommen. „Der Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig und die Ledvance-Mitarbeiter sind bei den Unternehmen der Region gefragt“, sagt Roland Fürst von der Arbeitsagentur. Einschnitte beim Gehalt und den Rahmenbedingungen will er allerdings nicht ausschließen. Der Betriebsrat wandte sich am Dienstag bei der wohl letzten Betriebsversammlung noch einmal an die Kollegen: „Ich wünsche Ihnen allen einen gelungenen Neuanfang. Wo auch immer“, so einer der Sprecher.