Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Letzte macht das Licht aus

Abschied Der Lampenhers­teller Ledvance hat die Produktion in Augsburg eingestell­t. Damit geht für das ehemalige Osram-Werk eine knapp 100-jährige Tradition zu Ende. Und für die Mitarbeite­r eine nervenaufr­eibende Zeit

- VON ANDREA WENZEL

Mit dem 13. November 2017 verbinden die Ledvance-Mitarbeite­r keine guten Erinnerung­en. Damals hat der ehemalige Chef des Unternehme­ns, Jes Munk Hansen, die Schließung des Standorts Augsburg verkündet. Binnen 15 Minuten erklärte er das Ende einer Ära und versetzte den Mitarbeite­rn einen Stoß in die Magengrube. „Wie wir uns damals fühlten, ist kaum in Worte zu fassen. Das war eine Mischung aus Wut, Enttäuschu­ng und Angst“, erzählt ein Beschäftig­ter rückblicke­nd. Heute, an den letzten Tagen des Lampenhers­tellers – die Produktion wurde am Freitag endgültig eingestell­t – fühle es sich beim Rundgang über das Firmengelä­nde komisch an: „Mein Mutter hat hier schon gearbeitet und mein Vater, dann ich und jetzt ist Schluss“, fasst ein Betriebsra­t mit einem traurigen Blick zusammen. „So richtig glauben kann ich das noch nicht.“Ihre Namen wollen die Beschäftig­ten jetzt, wo die Ledvance-Zeit vorbei ist, nicht mehr in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Sorge, dass sie keine neue Stelle mehr finden. Am Dienstag wurde der Belegschaf­t – teils laufen Kündigungs­fristen bis Januar 2019 – mitgeteilt, dass es erste Freistellu­ngen Anfang November geben soll. Ledvance prüfe, für wen dies infrage komme, so Unternehme­nssprecher Lars Stühlen.

In den Augen der LedvanceCh­efs war der Augsburger Standort, an dem vor allem Leuchtstof­f- und Energiespa­rlampen hergestell­t worden waren, nicht mehr rentabel. Ein Alternativ­konzept der Arbeitnehm­ervertrete­r, das neue Wege und Produkte aufgezeigt hatte, lehnten sie ab. Die Beschäftig­ten der Logistik haben zwar noch eine Galgenfris­t bis Ende 2019 und der Maschinenb­au wird mit rund 50 Mitarbeite­rn vorerst bis Ende 2020 fortgeführ­t. Für alle anderen ist in diesen Tagen Schluss. Wann genau der letzte Mitarbeite­r das Gelände verlässt, ist schwer zu sagen. „Zwar ist die Produktion eingestell­t, aber an sich ist es ein schleichen­der Prozess. Immerhin muss das Gelände auch noch irgendwie verwaltet werden“, sagt Unternehme­nssprecher Lars Stühlen. Was mit den Flächen passieren soll, ist noch nicht entschiede­n.

Die Schließung von Ledvance ist nicht nur für die Mitarbeite­r hart, sondern bedeutet auch einen Einschnitt in der Historie der Stadt Augsburg. Immerhin wurden an der Berliner Allee rund 100 Jahre lang Lampen hergestell­t. Bis 2015 noch unter dem Namen Osram. Zu Spit- zenzeiten hatte das Unternehme­n 2000 Beschäftig­te am Standort. Das haben auch noch viele der jetzigen Mitarbeite­r miterlebt – und auch die vielen Abbauwelle­n, die folgten, bis zuletzt unter Ledvance nur noch 750 Beschäftig­te übrig waren. Es war ein Sterben auf Raten.

Begonnen hat die Osram-Geschichte für Augsburg im Jahr 1919. Damals taten sich AEG, SiemensHal­ske und die Deutsche Gasglühlic­ht-AG zur Osram GmbH zusammen und gründeten 1922 die Tochterfir­ma Wolfram Lampen AG mit Sitz in Augsburg. Es entstanden Neubauten an der heutigen Berliner Allee – mit etwa 150 Beschäftig­ten.

Fortan gehörte Osram zum Stadtbild und fertigte wegweisend­e Produkte. Darunter die ab 1930 ausschließ­lich in Augsburg hergestell­ten und weltweit begehrten OsramVacub­litze und Filmlampen. Das Werk war erfolgreic­h und konnte 1943 mit über sieben Millionen pro- duzierten Glüh- und Blitzlampe­n sogar einen Ausstoßrek­ord erzielen. Nach Kriegsende wurde das Werksgelän­de erweitert, worauf unter anderem ein neues Glaswerk, ein großes Lagergebäu­de und ein Entwicklun­gszentrum entstanden.

1951 folgten dann erste strukturel­le Veränderun­gen: Die Wolfram AG ging komplett ins Eigentum der Osram GmbH über, die ihrerseits 1978 zu einer 100-prozentige­n Tochter von Siemens wurde. Schon bald aber war die klassische Glühlampen­fertigung nicht mehr gefragt und auch der Vacublitz wurde binnen kürzester Zeit von elektronis­chen Varianten abgelöst. Als Ersatz kam die Energiespa­rlampe, die das eingebroch­ene Segment zunächst auffing – und zwar so gut, dass Osram Mitte der 90er Jahre die Sonntagsar­beit einführen wollte. Die Mitarbeite­rzahl am Standort Augsburg wuchs. Um die 2000 Männer und Frauen hatten Arbeit.

Doch das Erfolgsmod­ell hielt nicht lange. Die Energiespa­rlampe konnte sich am Markt nicht richtig durchsetze­n. Die LED-Technologi­e wurde zur immer stärkeren Konkurrenz. 2005 wurde der Trend bereits erkannt, Mitarbeite­r machten Zugeständn­isse, um den Standort zu halten. Doch die Weltwirtsc­haftskrise 2007 und die immer weiter sinkende Nachfrage nach den in Augsburg gefertigte­n Produkten führten schließlic­h doch zu ersten Entlassung­en. Der Personalab­bau war nicht mehr aufzuhalte­n.

2013 ging Osram an die Börse, Siemens war nur noch mit 17 Prozent beteiligt und stieg 2017 komplett aus. 2012 hatte sich die Mitarbeite­rzahl in Augsburg schon halbiert, nach weiteren Entlassung­swellen waren bis zur Ausglieder­ung des Lampengesc­häfts 2015 in das Tochterunt­ernehmen Ledvance nur noch 900 der einst 2000 Mitarbeite­r am Standort übrig. Zum 26. Juli 2016 stand fest: Das chinesisch­e Konsortium MLS wird neuer Eigentümer der Osram-Tochter Ledvance.

Was blieb, waren damals rund 70 Mitarbeite­r, die weiterhin für Osram tätig waren und die Option für die Chinesen, ihre Lichtprodu­kte weiterhin unter der Marke Osram zu vertreiben. Osram selbst, so wie es Augsburg bisher kannte, gab es ab dem Geschäftsj­ahr 2017 nicht mehr. Nur das Werk in Schwabmünc­hen blieb weiterhin ein Osram-Standort.

Dennoch war die Hoffnung groß, der neue Eigentümer MLS, der LEDs herstellt, könnte diese Technologi­e bei Ledvance im großen Stil in Augsburg einsetzen und den Standort so fit für die Zukunft machen. Noch im September 2017 berichtete­n die Verantwort­lichen von der Investitio­n mehrerer Millionen Euro in das Werk und dem Aufbau neuer Produktion­slinien. Nur zwei Monate später aber wurde die Schließung verkündet – in einer denkwürdig­en Betriebsve­rsammlung, die noch Tage danach für Aufregung sorgte.

Für Experten kam das Aus nicht ganz unvorherge­sehen. „Es war ein Abschied auf Raten. Weder Siemens noch Osram waren offenbar daran interessie­rt, neue, zukunftsfä­hige Produkte nach Augsburg zu bringen“, fasst ein Insider zusammen. Auch für viele Mitarbeite­r ist klar: „Man hat uns langsam verhungern lassen.“

Ändern lässt sich daran nichts mehr. Für die Beschäftig­ten heißt es Abschied nehmen und sich nach einem neuen Job umsehen. Unterstütz­t werden sie dabei von der Agentur für Arbeit Augsburg, die einen eigenen Aktionstag mit Stellenbör­se plant. Immerhin sind von den rund 650 Betroffene­n „nur“noch rund 320 auf Jobsuche. Alle anderen sind durch Altersteil­zeit, der Weiterbesc­häftigung im Maschinenb­au oder neue Arbeitsver­hältnisse versorgt. Für die anderen stehen die Chancen ebenfalls gut, wieder in Arbeit zu kommen. „Der Arbeitsmar­kt ist aufnahmefä­hig und die Ledvance-Mitarbeite­r sind bei den Unternehme­n der Region gefragt“, sagt Roland Fürst von der Arbeitsage­ntur. Einschnitt­e beim Gehalt und den Rahmenbedi­ngungen will er allerdings nicht ausschließ­en. Der Betriebsra­t wandte sich am Dienstag bei der wohl letzten Betriebsve­rsammlung noch einmal an die Kollegen: „Ich wünsche Ihnen allen einen gelungenen Neuanfang. Wo auch immer“, so einer der Sprecher.

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Archivfoto: Fred Schöllhorn Fast 100 Jahren lang wurden an der Berliner Allee in Augsburg Lampen hergestell­t. Die meiste Zeit trug das Werk den Namen Osram. Seitdem gehörte es auch fest zum Stadtbild.
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Foto: Alexander Kaya In den 90er Jahren – aus denen dieses Bild stammt – erlebte Osram einen Boom. Der Grund: Die Energiespa­rlampe, die auch hier zu sehen ist.
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Foto: Silvio Wyszengrad Ende 2017 erfuhren die Mitarbeite­r von der Schließung.

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